Thüringische Landeszeitung (Jena)
Kranke Tiere auf dem Biohof
Studien: Millionen Nutztiere leiden unter Krankheiten auch bei ökologischer Haltung
Ob bei Grillhähnchen, Steaks oder Burgern: Viele Menschen kaufen bewusst Fleisch von Tieren, die mit mehr Platz im Stall oder auf einem Bio-Hof groß geworden sind und geben dafür auch gerne mehr Geld aus. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Tiere auch gesund sind, bevor sie geschlachtet werden und auf dem Teller landen.
Millionen Nutztiere leiden massiv unter Krankheiten, Verletzungen und Schmerzen, egal ob sie auf einem Öko-Hof oder einem konventionellen Betrieb gehalten werden. Diese ernüchternde Erkenntnis hat eine systematische Auswertung tiermedizinischer Studien aus Deutschland, der Schweiz und Dänemark durch die Verbraucherorganisation Foodwatch zusammen mit Tiermedizinern ergeben.
Haltungskennzeichen verbessert nicht die Tiergesundheit
„Ob Hühner, Schweine oder Kühe gesund sind, hängt nicht einfach davon ab, ob der Stall ein paar Zentimeter größer ist oder Stroh auf dem Boden liegt, sondern ganz entscheidend vom Stallmanagement der Landwirtinnen und Landwirte“, sagt Annemarie Botzki von Foodwatch. Die Tiergesundheit hänge von dem Handeln jedes einzelnen Betriebs ab, unabhängig davon, ob es sich um einen Öko-Hof oder konventionellen Hof handele.
Entscheidend sei, wie die Landwirte mit ihren Tieren umgehen, sie füttern, impfen und welche Hygieneregeln sie einhalten, erläutert Albert
Sundrum, Veterinär-Professor und ehemaliger Leiter Tierernährung und Gesundheit an der Universität Kassel. „Jeder Hof handelt hier anders. Viele Betriebe haben das Gesundheitsmanagement gut im Griff, während andere immer wieder Probleme mit kranken und verletzten Tieren haben – und zwar unabhängig von der Haltungsform oder der Betriebsgröße.“
Das Kernproblem aber sei: „Es gibt bisher keinerlei gesetzliche Vorgaben für Tierhalter, dass sie ihre Tiere gesund halten müssen – weder in der ökologischen noch in der konventionellen Haltung.“Für Sundrum steht aber fest: Tiere, die krank sind oder unter Schmerzen leiden, erfahren auch in größeren Ställen kein echtes Tierwohl. Sie müssten vorrangig behandelt und geheilt werden.
So verbessere auch das von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) geplante Tierhaltungskennzeichen nicht die Gesundheit der Tiere. Das Siegel informiere nur über die unterschiedlichen Haltungsformen, aber nicht über den Gesundheitszustand der
Tiere, kritisiert Foodwatch. Die Bundesregierung plant ein staatliches Tierhaltungskennzeichen. Dieses sortiert Fleisch nach fünf Stufen ein, je nachdem wie die Tiere gehalten wurden: Stall, Stall+Platz, Frischluftstall, Auslauf/Freiland und Bio.
Das Tückische: Die Konsumenten können im Supermarkt oder beim Metzger nicht am Fleisch erkennen, ob das Tier vorm Schlachten gesund oder krank war oder ob die Milch und Eier, die sie kaufen, von gesunden oder kranken Tieren stammen. Fleisch von kranken Tieren ist in der Regel für Verbraucher nicht gesundheitsschädlich. Nur für die Tiere sind ihre Krankheiten oft mit großen Schmerzen verbunden. Und hiervon gibt es viele bei allen Arten und in allen Haltungsformen, wie mehrere ausgewertete Studien zeigen.
So hatten in einer Untersuchung knapp 40 Prozent aller Schweine in konventioneller Haltung krankhafte Befunde wie Lungenentzündungen, offene Wunden oder Abszesse – und in der Bio-Haltung waren es mit 35 Prozent nur geringfügig weniger. An schmerzhaften Erkrankungen der Klauen leiden bis zu 39 Prozent aller Milchkühe. In einer Untersuchung von Bio-Ställen litt jede zweite Milchkuh an einer Euterentzündung. In der Haltung von Legehennen weisen bis zu 97 Prozent aller Hühner Knochenbrüche auf – und zwar in der konventionellen Haltung ebenso wie auf Bio-Höfen.
Eine Ursache für die Krankheiten liegt in dem System Tierhaltung begründet. Aus Schweinen, Kühen und Hühnern werde „das letzte bisschen rausgepresst, damit sie möglichst viel Fleisch, Eier und Milch liefern“, so die Studie. So entstehen
Euterentzündungen, weil Kühen täglich bis zu 60 Liter Milch abgepumpt werde. Hühnern brechen die Knochen, weil die vielen Eier, die sie legen müssen, ihnen das Kalzium für den Skelettbau entziehen.
Tiergesundheit in Betrieben muss größere Rolle spielen
Damit Tiere gesund aufwachsen können, fordert Foodwatch Özdemir auf, Maßnahmen für mehr Tiergesundheit zu ergreifen. Konkret müssten alle Krankheiten und Verletzungen von Kühen, Schweinen und Hühnern in jedem Betrieb systematisch erfasst werden und die Ergebnisse in Form eines Gesundheitsindexes veröffentlicht werden. Solche Daten würden schon heute in Schlachthöfen erfasst und könnten verwendet werden.
Betriebe mit vielen kranken Tieren sollten beraten und zu Verbesserungen aufgefordert werden. Wenn Betriebe immer wieder schlechte Ergebnisse hätten, müssten diese Konsequenzen erfahren. Ihnen könnten die Agrarsubventionen gekürzt werden, schlägt Foodwatch vor. Landwirte, die ihre Tiere gut behandeln, sollten wiederum belohnt werden, in dem sie höhere Preise auf Schlachthöfen erhalten.
Foodwatch kritisiert auch das Versagen der Ämter. Im Durchschnitt erfolgten Tierschutzkontrollen nur einmal alle 17 Jahre. Ermittlungen verliefen oft im Sand, Tierquälereien hätten oft keine juristischen Folgen. Im Grundgesetz ist der Tierschutz als Staatsziel verankert. Hierfür sollte der Gesetzgeber endlich konsequent eintreten.