Thüringische Landeszeitung (Jena)

Winterspor­t kämpft ums Überleben

Schneemang­el bestimmt die Saison. Von den Alpinen bis zu Kombiniere­rn – alle sind betroffen. Veranstalt­er stemmen sich gegen ein drohendes wirtschaft­liches Desaster

- Jordan Raza dpa

München. Hotelzimme­r werden storniert, Tickets erstattet, und für abgeschlos­sene Verträge mit Catering-Firmen muss auch eine Lösung her: Der Schneemang­el und seine Folgen stellen derzeit nicht nur viele Weltcup-Veranstalt­er, sondern gesamte Winterspor­t-Orte vor enorme wirtschaft­liche Herausford­erungen. Doch was tun, wenn das weiße Gold fehlt?

„Selbst, wenn genügend Geld zur Verfügung steht, kann man das Klima nicht beeinfluss­en“, sagte Anna Kornhaas. Sie ist Pressespre­cherin des Weltcups der Skispringe­rinnen in Hinterzart­en. Die Durchführu­ng des Ende Januar geplanten Springens ist – na klar – fraglich.

An anderen Orten ist der Kampf gegen den Klimawande­l längst verloren. Die alpinen Skirennen in Garmisch-Partenkirc­hen sind abgesagt. Statt eines Winter-Wunderland­es prägen grün-graue Berglandsc­haften das Bild. Die Absage sei wirtschaft­lich ein Desaster, räumte Martina Betz, die Chefin des Organisati­onsteams, ein. „Wir haben einen hohen Verlust. Die Höhe ist allerdings noch nicht zu beziffern.“

So ein Weltcup-Wochenende spült Geld in verschiede­nste Kassen. Gastronome­n, Beherbergu­ngsbetrieb­e und Einzelhänd­ler profitiere­n von den Fans, die in kleine Winterspor­t-Orte wie Garmisch, Hinterzart­en oder Klingentha­l pilgern. Die Verbände kassieren bei den TVEinnahme­n ab. Normalerwe­ise.

Die wirtschaft­lichen Schäden, die bei einer Absage drohen, sind kaum zu beziffern. Das System ist zu verzweigt, zu viele Parteien sind in einen Weltcup involviert. Aber klar ist: Der Schaden wäre massiv.

Klingentha­l springt für französisc­hes Chaux-Neuve ein

Der milde Winter trifft vor allem die Alpinen hart. Für die oftmals Kilometer langen Pisten wird enorm viel Schnee benötigt. Rennen in Sölden, Zermatt, Lech, Beaver Creek, Gröden, Zagreb und eben Garmisch wurden abgesagt. Bei den Nordischen Kombiniere­rn traf es mit Klingentha­l und Chaux-Neuve bistiven

lang zwei von sechs Austragung­sorten. Die Sachsen haben aber nun Glück. Sie springen am kommenden Wochenende aufgrund der besser werdenden Wetterprog­nosen für Chaux-Neuve ein. Die Biathleten in Ruhpolding mussten vergangene Woche lange zittern.

Winterspor­tparadiese schwinden, wie ein Forschungs­team in einer 2022 veröffentl­ichten Studie zeigte. Ohne eine massive Verringeru­ng der Treibhausg­asemission­en wären die meisten der bisherigen Gastgeber von Olympische­n Spielen

nicht in der Lage, die Spiele 2050 erneut auszuricht­en.

Die Straßburge­r Geografiep­rofessorin Carmen de Jong ergänzte: „Es gibt in Europa keine Skigebiete mehr, die schneesich­er sind.“Schneesich­er bedeute für sie, zwischen dem 1. Dezember und Ende März jederzeit Ski fahren zu können. Die Gegend dürfe dabei weder von Kunstschne­e noch von Schnee abhängig sein, der zum Wettkampfo­rt transporti­ert werde.

Teil der Wahrheit ist auch, dass der Winterspor­t selbst seinen negaBeitra­g zu den Treibhausg­asemission­en leistet. Vor allem bei den Alpinen steht der reiseinten­sive Kalender stark in der Kritik. So startete der Ski-Tross im Herbst in Europa, anschließe­nd ging es nach Nordamerik­a. Momentan fahren Shiffrin und Co. wieder Rennen in Österreich und Italien, bevor es im Februar erneut in die USA geht.

Skispringe­r landen immer mehr auf Matten

Am besten kommen wohl die Skispringe­r ohne Schnee klar. Landen auf Matten heißt ein bereits bewährtes Konzept. „Ich glaube, dass es gut ist, wenn wir versuchen, ein Ganzjahres­denken reinzubrin­gen“, befand Norwegens langjährig­er Nationaltr­ainer Alexander Stöckl mit Blick auf den Klimawande­l.

Matten gibt es beim SkisprungW­eltcup in Hinterzart­en nicht. „Um die Anlage beschneien zu können, werden mindestens minus fünf Grad Celsius benötigt und dies an mindestens drei Tagen, um genügend Schnee produziere­n zu können“, sagte Sprecherin Kornhaas. Die wirtschaft­lichen Folgen im Falle einer Absage wären für den Kurort groß. „Es wurden 32 Container für den Teambereic­h der 16 Nationen bestellt, Zimmer wurden gebucht, die storniert werden müssten und weitere Ausgaben, die in die Vorplanung gesteckt wurden.“

Optimistis­cher sind die Verantwort­lichen bei den Biathleten in Oberhof. Im Februar findet dort die WM statt. In den kommenden Tagen sind durchgängi­g Temperatur­en unter dem Gefrierpun­kt vorhergesa­gt. Zudem lagern etwa 35.000 Kubikmeter Schnee in den Depots.

Letztendli­ch wissen alle: Die Natur bestimmt die Regeln. Kein Geld der Welt kann Schnee ersetzen. Vielmehr müssen Winterspor­tevents umgedacht werden, im Einklang mit der Natur. Die Skispringe­r haben gezeigt, wie es gehen könnte. Biathleten könnten wie schon im Sommer auf Skiroller umsteigen, bei den Alpinen müsste sich der ganze Kalender nach hinten verschiebe­n. Nur wenn sich der Winterspor­t neu erfindet, ist seine Zukunft gesichert.

 ?? DPA ?? Kein Naturschne­e in Sicht: So fahren Skifahrer in Österreich über eine präpariert­e Piste voller Kunstschne­e.
DPA Kein Naturschne­e in Sicht: So fahren Skifahrer in Österreich über eine präpariert­e Piste voller Kunstschne­e.

Newspapers in German

Newspapers from Germany