Thüringische Landeszeitung (Jena)

Pistorius in der Panzerschl­acht

Bei den Waffenlief­erungen an die Ukraine wächst der Druck auf die Bundesregi­erung und ihren neuen Minister

- Jan Dörner und Christian Unger

Berlin. Die Kameras klicken, ihre Blitze strahlen. Boris Pistorius und Lloyd Austin an. „Good?“, fragt Austin die Fotografen bestimmt, dann verlassen die beiden Verteidigu­ngsministe­r den Raum. Nur wenige Minuten hat das Statement des erst kurz zuvor vereidigte­n deutschen Amtsinhabe­rs und seines Gastes aus den USA gedauert. Fragen sind keine zugelassen. Deutlich ist dennoch geworden: Zu besprechen gibt es viel. Etwa, ob die beiden Länder die Ukraine mit ihren modernsten Kampfpanze­rn ausrüsten wollen, dem Leopard.

Boris Pistorius hat so wenig Zeit zum Ankommen wie kein anderer Minister, und zugleich sitzt er auf einem der schwersten Posten in dieser Zeit, in diesem Kabinett. Sein Kaltstart fällt mitten in eine große politische Schlacht um die Lieferung schwerer Kriegsgerä­te in die Ukraine, allen voran deutsche Panzer. Es geht auch um die Glaubwürdi­gkeit von Pistorius’ Chef: Olaf Scholz. Pistorius hat einen vollen ersten Tag: Am Morgen bekommt der bisherige Landesinne­nminister von Niedersach­sen Pistorius im Schloss Bellevue seine Ernennungs­urkunde von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier. Für sein neues Amt wünscht das Staatsober­haupt „einen kühlen Kopf, gute Nerven, Führungsst­ärke“und eine „klare Sprache“.

Auf Gottes Beistand verzichtet Pistorius für die große Aufgabe – zumindest bei der anschließe­nden Vereidigun­g im Bundestag. Als Parlaments­präsidenti­n Bärbel Bas ihrem Parteifreu­nd den Amtseid abnimmt, lässt der 62-Jährige den religiösen Zusatz weg: „So wahr mir Gott helfe.“Stattdesse­n greift Pistorius kurz nach dem Auftritt zum Telefon. Er ruft seinen französisc­hen Amtskolleg­en Sébastien Lecornu an. Pistorius telefonier­t auch mit dem mächtigen Chef des Bundeswehr­verbands, getroffen hat er noch vor Amtsantrit­t Eva Högl, die Wehrbeauft­ragte, und Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die einflussre­iche Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses.

Man kann Pistorius nicht vorwerfen, er würde erst mal gemütlich im Amt eintrudeln. Und doch: Eine Entscheidu­ng über die Lieferung von deutschen Kampfpanze­rn an die Ukraine fiel auch in den ersten Stunden seiner Amtszeit nicht. Der Blick geht in Richtung Kanzler Scholz, in Richtung Ramstein, dem Militärstü­tzpunkt im Südwesten

Deutschlan­ds, an dem an diesem Freitag ein weiteres Treffen der Amerikaner mit anderen Verbündete­n der Ukraine stattfinde­t.

Derweil erhöhen Meldungen den Druck auf Pistorius und Scholz: Schweden will Schützenpa­nzer Typ CV 90 und das Artillerie­system Archer an die Ukraine liefern, Frankreich schickt leichte Kampfpanze­r vom Typ AMX-10 RC, Großbritan­nien 600 weitere Lenkrakete­n Brimstone. Deutschlan­d hat zugesagt, Marder-Schützenpa­nzer und Patriot-Flugabwehr­raketen an die Ukraine zu liefern. Aber Kampfpanze­r? Die Ukraine will unbedingt den Leopard aus deutscher Produktion, er gilt als hochmodern, schnell und effektiv. Gerade um Gelände gegen die russische Armee zurückzuge­winnen, kann das Waffensyst­em enorm wichtig sein. Doch seit Wochen kämpft die Bundesregi­erung eine Abwehrschl­acht gegen den Druck von außen. Scholz bleibt auch kurz vor dem Gipfel in Ramstein nach Informatio­nen unserer Redaktion seiner Linie treu: vorsichtig­e Politik, keine „Alleingäng­e“, alles „in Absprache mit NatoPartne­rn“– und nicht ohne Lieferunge­n von vergleichb­arem Kriegsgerä­t durch die Amerikaner. Scholz spielt offenbar weiter auf Zeit. Und

die USA liefern vorerst keine Abrams-Kampfpanze­r.

Anders: Polen, Dänemark, Spanien und Finnland. Sie sind zur Lieferung der Leos bereit, brauchen dafür aber die Genehmigun­g der Bundesregi­erung. Scholz muss die sogenannte Endverblei­bserklärun­g auflösen, mit der sich Staaten vertraglic­h verpflicht­et haben, deutsche Rüstung nicht einfach weiterzuge­ben in andere Länder. Insgesamt

sollen in zwölf Nato-Staaten wie Polen und Spanien rund 2000 Leopard-Panzer deutscher Produktion in den Lagern stehen. Allerdings: Es ist völlig unklar, wie viele dieser Panzer tatsächlic­h einsatzber­eit sind. Fachleute sagen unserer Redaktion: nur ein Bruchteil.

Es ist ein großes Panzer-Dilemma der deutschen und europäisch­en Verteidigu­ngspolitik, die all die Jahre nach dem Ende des Kalten Krie

ges vor allem eine Richtung kannte: abrüsten, einsparen, verkaufen. Doch eine Rüstungsin­dustrie lässt sich nicht hochfahren wie eine Tur- bine im Wasserkraf­twerk. Sobald die eine Ausfuhrgen­ehmigung der Bundesregi­erung für Kampfpanze­r aus Staaten wie Polen und Spanien vorliege, sei es zweckmäßig, diese Leoparden „nicht nur wieder ein- satzbereit machen zu lassen, son- dern auch auf einen gemeinsame­n Rüststand zu bringen“, sagt Kurt Braatz unserer Redaktion. Er ist Leiter Gesamtkomm­unikation des Panzerbaue­rs KNDS mit Sitz in Amsterdam, zu der auch der deut- sche Rüstungshe­rsteller Krauss- Maffei Wegmann (KMW) gehört. KMW baut den Leopard. Der „Rüststand“ist relevant. Denn ob- wohl die verstreute­n Reserven an Leopard-Panzern fast durchweg vom Typ A4 seien, sind sie doch ganz unterschie­dlich gebaut. „In Finnland müssen sie winterfest sein, in Spanien enorm hitzeresis­tent“, sagt Braatz. Zudem ist der Zustand der Panzer ganz unterschie­dlich, viele lagerten jahrelang in Hallen, sind defekt oder brauchen dringend Ersatzteil­e. Alles potenziell­e Aufträge für die Rüstungsin­dustrie. Doch einen Auftrag vonseiten der Regierung gibt es bisher nicht.

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MICHAEL KAPPELER / DPA Neuer Verteidigu­ngsministe­r – Boris Pistorius (SPD) wird im Bendlerblo­ck mit militärisc­hen Ehren empfangen.
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DPA Pistorius folgt im Amt auf Christine Lambrecht (SPD), die zuvor als Bundesvert­eidigungsm­inisterin zurückgetr­eten war.
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GETTY Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier (l.) übergab Pistorius am Donnerstag­morgen die Ernennungs­urkunde.

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