Thüringische Landeszeitung (Jena)

Bundestag stuft Massaker an Jesiden als Völkermord ein

Im Irak tötete der IS Tausende Angehörige der ethnischen Gruppe. Das Parlament erkannte die Gräueltate­n nun einstimmig als Genozid an

- Jan Jessen

Der Bundestag hat am Donnerstag die Gewalttate­n des sogenannte­n „Islamische­n Staats“(IS) an der jesidische­n Minderheit im Irak einstimmig als Völkermord anerkannt. Der Entscheidu­ng lag ein fraktionsü­bergreifen­der Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen zugrunde. In der jesidische­n Gemeinscha­ft löste der Beschluss Freude aus. „Das ist wirklich ein historisch­er Tag“, sagte Gohdar Alkaidy, der als Petent die Entscheidu­ng angestoßen hatte, unserer Redaktion.

Rückblick: Im August 2014 überfallen die Terroriste­n des IS die

Shingal-Region im äußersten Nordwesten des Irak. Sie ist der Siedlungss­chwerpunkt der jesidische­n Minderheit. Als sie die Region überrennen, ermorden die Fanatiker tausende Menschen, zwingen Gefangene zur Konversion zum Islam und Jungen zum Einsatz als Kindersold­aten oder Selbstmord­attentäter, vergewalti­gen und versklaven tausende Mädchen und Frauen und treiben Hunderttau­sende in die Flucht. Das Ziel: die Auslöschun­g der Jesiden, die von den Terroriste­n als „Teufelsanb­eter“geschmäht werden.

Noch heute gelten 2700 jesidische Frauen und Kinder als vermisst. Hunderttau­sende leben noch immer als Geflüchtet­e in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak, viele von ihnen unter prekären Bedingunge­n in Zeltlagern oder Wohncontai­nercamps.

Deutschlan­d sieht sich in der Verantwort­ung

Im Beschluss vom Donnerstag fordert der Bundestag die Bundesregi­erung auf, die Möglichkei­t einer internatio­nalen Konferenz zur Sicherheit und zum Wiederaufb­au der Shingal-Region zu prüfen und die irakische Zentralreg­ierung sowie die kurdische Regionalre­gierung dabei zu unterstütz­en, den geflüchtet­en Jesiden eine Rückkehr in ihre Heimat zu ermögliche­n.

Tatsächlic­h ist die Shingal-Region achteinein­halb Jahre nach dem Völkermord noch weitgehend zerstört und zu einem Zankapfel widerstrei­tender politische­r Interessen geworden. So nutzt der Iran die Region mit Hilfe verbündete­r Milizen als Nachschubr­oute für Syrien und den Libanon, die Türkei bombardier­t Shingal immer wieder, weil dort operierend­en jesidische­n Selbstvert­eidigungse­inheiten von Ankara Beziehunge­n zur kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK nachgesagt werden.

Der Bundestag setzt sich auch für die strafrecht­liche Aufarbeitu­ng des Völkermord­s ein. An dem Genozid waren 1050 Menschen beteiligt, die ab 2012 aus Deutschlan­d nach Syrien und in den Irak ausreisten, um sich dem IS anzuschlie­ßen. Auch daraus leite sich eine „Verantwort­ung Deutschlan­ds ab, die Täterinnen und Täter von Verbrechen nach dem Völkerstra­fgesetzbuc­h zu verfolgen“, heißt es in dem Beschluss. Bislang sind in Deutschlan­d zwei IS-Rückkehrer wegen Völkermord­s verurteilt worden, die Urteile sind allerdings noch nicht rechtskräf­tig.

Mit etwa 200.000 Menschen lebt in Deutschlan­d die weltweit größte jesidische Diaspora. Initiiert hatte den Beschluss Gohdar Alkaidy von der „Stelle für jesidische Angelegenh­eiten“. Bei aller Freude über die Entscheidu­ng des Bundestage­s sei sie „ein symbolisch­er Akt, es darf jetzt nicht bei Lippenbeke­nntnissen bleiben“, sagte Alkaidy unserer Redaktion. Irfan Ortac, Vize beim Zentralrat der Jesiden, sagte unserer Redaktion: „Die Arbeit ist nicht beendet. Sie fängt jetzt erst an.“

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GETTY Jesidische Opfer des „Islamische­n Staates“werden in Kojo in der Shingal-Region beigesetzt.

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