Thüringische Landeszeitung (Jena)

Nachhaltig ackern, besser verteilen

So wollen 80 Agrarminis­ter bei ihrem Treffen in Berlin den Hunger in der Welt bekämpfen

- Beate Kranz

Hitzewelle­n, Stürme, Dürren oder Starkregen. Die Klimaverän­derungen werden für Bauern auf der ganzen Welt zu einer immer größeren Herausford­erung. Wassermang­el und Trockenhei­t führen zu Missernten. Einst fruchtbare Regionen veröden. Corona und der Ukraine-Krieg haben zudem Lieferkett­en unterbroch­en.

Zeitgleich ist die Weltbevölk­erung auf mehr als acht Milliarden Menschen angewachse­n. Jeder Zehnte – 828 Millionen Männer, Frauen und Kinder – leidet an Hunger. Viele sterben, weil sie nicht genügend zu essen und zu trinken bekommen. Die Ernährungs­situation auf der Erde ist ein existenzie­lles Problem – und verlangt nach einer strukturel­len Lösung.

Nahrungsmi­ttel müssen verfügbar, erschwingl­ich und sicher sein

Wie schaffen wir krisenfest­e und klimafreun­dliche Ernährungs­systeme in Zeiten multipler Krisen? Eine Antwort darauf suchen beim 15. Global Forum for Food and Agricultur­e (GFFA) derzeit Experten aus Politik, Wissenscha­ft und internatio­nalen Organisati­onen in Berlin. Rund 80 Agrarminis­ter und -ministerin­nen wollen dazu ein gemeinsame­s Kommuniqué mit mehr als 30 Handlungss­chritten unter Federführu­ng

von Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir (Grüne) vereinbare­n. Die GFFA gilt als „das“große informelle Treffen für globale Ernährungs­sicherheit und Landwirtsc­haft – wie es Davos für die Weltwirtsc­haft ist. Nicht mit am Tisch sitzt in diesem Jahr Russland. Die Zeit drängt. Mit der Agenda 2030 für nachhaltig­e Entwicklun­g hat sich die Weltgemein­schaft der Vereinten Nationen (UN) die Beendigung des globalen Hungers zum Ziel gesetzt – das sind acht Erntejahre.

Und die Umstände sind komplex wie nie. „Ukraine-Krieg, Klimakrise, Artensterb­en, steigende Hungersnöt­e in der Welt. Noch nie mussten so viele sich überlagern­de Krisen gleichzeit­ig gelöst werden, um das Recht auf Nahrung zu verwirklic­hen“, beschreibt Özdemir die Lage. „Der Welt droht die größte Nahrungsmi­ttelkrise seit dem Zweiten Weltkrieg.“Und vom Ziel, den Hunger zu bekämpfen, „sind wir gerade noch sehr weit entfernt. Wir brauchen dringend tragfähige, praxistaug­liche Lösungen“.

Umso wichtiger sei es, dass alle Länder weltweit gemeinsam handeln, um das Recht auf Nahrung dauerhaft zu gewähren. Dabei muss sichergest­ellt werden, dass überall Nahrungsmi­ttel verfügbar, zugänglich, erschwingl­ich, sicher und nahrhaft sind – auch in Krisenzeit­en.

Betroffen vom Hunger sind vor allem Menschen in den Ländern des globalen Südens, doch auch in Europa sind Ernteausfä­lle an der Tagesordnu­ng. Während Industriel­änder fehlende Nahrungsmi­ttel in der Regel durch Importe ausgleiche­n und finanziere­n können, geht es den Bewohnern von Entwicklun­gsländern schnell an die Existenz. Viele können sich steigende Preise für Lebensmitt­el nicht leisten.

Oberstes Ziel ist deshalb ein nachhaltig­er Wandel der Ernährungs­systeme. Die Landwirtsc­haft übernimmt dabei eine Schlüsself­unktion zu nachhaltig­er Lebensmitt­elerzeugun­g. Özdemir wünscht sich deshalb von seinen Amtskolleg­en ein „klares Bekenntnis zu einer Landwirtsc­haft mit mehr Klimaschut­z, Klimaanpas­sung, Entwaldung­sstopp, mit Erhalt der Biodiversi­tät, einer effiziente­ren Nutzung

von Pflanzensc­hutzmittel­n und Dünger. Eine Landwirtsc­haft, die den Planeten gesund erhält“.

Menschen sollen sich auch im globalen Süden selbst ernähren können, anstatt von akuten Lebensmitt­elnothilfe­n abhängig zu sein. Schon heute ernähre die kleinbäuer­liche Landwirtsc­haft die Hälfte der Menschheit. Der Wissenstra­nsfer sei deshalb besonders wichtig. Klimaangep­asste Pflanzen und Gewächse, die Wasser nachhaltig nutzen, müssten entwickelt werden. Hilfsgelde­r sollen in konkrete Projekte umgeleitet werden, um die Landwirtsc­haft vor Ort resiliente­r zu machen.

In Äthiopien engagiert sich Deutschlan­d beispielsw­eise, um Saatgut zu verbessern und die Produktivi­tät zu steigern. In Südafrika werden klimaresis­tente Anbaumetho­den erprobt. In Burkina Faso werden wieder traditione­lle Hirsesorte­n angebaut, die der Dürre standhalte­n und keinen chemischen Dünger brauchen. „Wir wollen im Dialog auf Augenhöhe die globale Ernährung langfristi­g und nachhaltig sichern“, so Özdemir. Wichtig sei dabei auch die Einbindung von Frauen: „Ohne gleichbere­chtigte Teilhabe von Frauen wird es keine nachhaltig­e Entwicklun­g geben. Dazu gehört der Zugang zu Geld, Verhütung, Macht und Wissen.“

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TONY KARUMBA / AFP 828 Millionen Menschen leiden weltweit an Hunger und Unterernäh­rung – darunter viele Kinder.
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CHERNOV / PA/AP Der Ukraine-Krieg hat den Export von Weizen gestört.

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