Thüringische Landeszeitung (Jena)
Im Winter hat das Salü den Lenz gepachtet
In den Mini-Farmen des Mikrobiologen Evgeni Bratovanov wachsen delikate Pilze, die im Salü frisch zubereitet werden
Tino Agthe und Sandra Albold sitzen auf der großen gemütlichen Couch in ihrem „Salü“. Seit es im Jahr 2016 im Paradies-Park eröffnet wurde, hat es sich zu einem äußerst beliebten Restaurant entwickelt. Im Sommer sind die Plätze nahe der Saale meist gut gefüllt, man genießt die grüne Paradiespark-Idylle, Kinder spielen im Sandkasten und schlecken kühle Kugeln vom Eisstand. Doch die Couch, auf der Gastronom Agthe mit seiner Geschäftspartnerin sitzt, befindet sich nicht im Paradies. Sie sitzen im Salü in Jena-Ost.
Seit Dezember gibt es ein Winterquartier fürs Salü. Eigentlich, sagt Agthe, sei das Salü im Paradies schon immer ein Saisongeschäft gewesen, doch die Mitarbeiter konnten nicht alle ein halbes Jahr daheim bleiben. Man musste im Winter öffnen und von den Reserven des Sommers leben. „Das war machbar, aber kräftezehrend.“Es sei leichter, für zwei Lokale die Pacht zu zahlen, als die Mitarbeiter im Winter zu bezahlen, ohne die entsprechenden Einnahmen zu generieren, sagt Agthe.
Aktion Wandlungswelten hatte das Lenz 2022 aufgegeben
Als bekannt wurde, dass das Café Lenz der Aktion Wandlungswelten in Jena-Ost aufgrund von Personalproblemen schließt, sahen Agthe und Albold eine Option für die Zukunft, eine Winterresidenz. Seit 1. Dezember 2022 kann man im vegetarisch, veganen Restaurant „Salü“in der Schenkstraße 21 essen gehen. Wenn er die Teller klappern höre und der Laden voll sei, das sei ein tolles Gefühl, sagt Agthe. Auch das Salü im Paradies habe Agthe immer
als Restaurant gesehen, er sei schließlich Koch, doch von vielen Gästen werde das Salü eher als Café wahrgenommen. Klar bei drei Bäckerinnen, die täglich frische Kuchen präsentieren, sei das auch naheliegend. Doch auf das Essen habe Agthe schon immer großen Wert gelegt.
Das Salü im Lenz habe nun einen viel stärkeren Restaurant-Charakter, findet Agthe. 70 Plätze bietet das Lokal, eine Spielecke für Kinder, ein gut gefülltes Bücherregal und die typische Salü-Speisekarte, über die auch der beliebte „Orient-Express“wieder zischt, mit dem selbst gemachten Naan-Brot, Falafeln und gegrillten Auberginen. Wer im Salü essen geht, der müsse die Bereitschaft
mitbringen, etwas zu kosten, was er noch nicht kenne, sagt Agthe. Er kreiere gern selbst, stelle aus traditionellen Lebensmitteln neue Kombinationen zusammen, dabei bediene er sich aus allen Ländern. Nun im ehemaligen „Lenz“traue sich Agthe, auch offensiv mit dem Label vegetarisch und vegan zu werben.
Am vergangenen Mittwoch war nun Evgeni Bratovanov im Salü zu Gast und brachte etwas Außergewöhnliches mit: zwei Pilz-Minifarmen. Der Mikrobiologe Bratovanov startete im November 2021 sein Unternehmen „Paradiespilze“, die erste urbane Pilzfarm in Jena. Wenn Bratovanov über Pilze spricht, spürt man seine Begeisterung für diese
Lebewesen, die wie er selbst sagt, biologisch betrachtet mehr Tier als Pflanze seien. Er möchte Pilze populärer machen, Wissen über sie verbreiten. Wer jetzt an Champignons und Steinpilze denkt, liegt vielleicht nicht völlig falsch, aber was Bratovanov züchtet, sind besonders feine und delikate Pilze, die man im Supermarkt nicht findet – zum Beispiel der Igel-Stachelbart, die Kastanienseitlinge oder die Taubenblauen Seitlinge. „Sie können nicht so ohne Weiteres transportiert werden“, erklärt Bratovanov.
Er züchtet die Pilze in speziellem Substrat; Sägemehl oder Holzspäne verwende er dazu unter anderem – alles von lokalen Herstellen –, Abfallprodukte, die sonst kaum Verwendung finden. Das Upcycling spielt in der gesamten Pilzzucht von Evgeni eine große Rolle, so auch bei den beiden Mini-Farmen, die nun im Salü aufgestellt wurden. Sie entstanden aus einer so genannten Tape-Library, ein Gerät, das Magnetbänder automatisch in Laufwerke einlegt. Ein Institut wollte das Gerät verschrotten. Evgeni baute es zur transportablen Pilz-Farm um.
Die beiden Zuchtschränke halten Temperatur, Luftfeuchtigkeit sowie Sauerstoffgehalt konstant. So fühlen sich die Pilze in den Schränken besonders wohl und man kann ihnen im wahrsten Sinne des Wortes beim Wachsen zusehen. In nur einer Woche sind aus den Substratboxen Pilze gewachsen, die erntereif sind. Dann können die Gäste des Salü sich ihre Pilze selbst aussuchen und sie kommen frisch geerntet und zubereitet auf den Teller.
Irgendwann vielleicht ganzjährig zwei Standorte
Evgeni könnte sich vorstellen, solche Mini-Farmen in Kindergärten oder Schulen aufzustellen. So könnten die Kinder sehen, wie die Pilze wachsen. Man könnte Wissen über diese oft noch unbekannten und faszinierenden Lebewesen vermitteln. Bis es soweit ist, kann man zunächst im Winterquartier des Salüs die Pilze wachsen sehen und von ihnen kosten. „Wir wissen von keinem anderen Restaurant in Deutschland, das so etwas anbietet“, sagt Agthe. Vielleicht, so Agthe, könne das Winterquartier auch ganzjährig betrieben werden, als zweiter Standort des Salü. Doch vorerst sei geplant, das Salü im Lenz von November bis Ende März zu öffnen, das Salü im Paradies dann von April bis Ende Oktober.