Thüringische Landeszeitung (Jena)

Das Sterben beginnt vor der Haustür

Trotz des Engagement­s von Botanikern verlieren Orchideen im Saale-Holzland an Lebensraum

- Jana Scheiding

Erdmannsdo­rf, Kunitz, Rothenstei­n, Jena, Bad Klosterlau­snitz oder Schkölen – all diese Orte haben mindestens eines gemeinsam: Sie sind Standorte schöner, seltener, vor allem aber geschützte­r Orchideen. 36 Arten wurden von Botanikern hier entdeckt.

Seit 1989 wird durch die deutschen Arbeitskre­ise Heimische Orchideen (AHO) jährlich die Orchidee des Jahres gekürt. Berufsbota­niker und Laien wählen die jeweilige Pflanze nach der Gefährdung der Art oder ihres Lebensraum­es durch den Menschen aus. Orchidee 2023 ist das durch den Klimawande­l gefährdete „Herzblättr­ige Zweiblatt“.

„Thüringen und Sachsen-Anhalt sind deutschlan­dweit die einzigen anerkannte­n Naturschut­zverbände der AHO“, sagt Peter Rode, Vorsitzend­er der etwa 40 Mitglieder starken Regionalse­ktion Jena/SaaleHolzl­and-Kreis des Arbeitskre­ises Heimische Orchideen Thüringen.

Orchideen stehen bei vielen Menschen hoch im Kurs. Als Beispiel sei der Frauenschu­h genannt – die bekanntest­e und wegen ihrer auffallend großen Blüten beliebtest­e Orchidee.

Allerdings steht sie mit dem Vermerk „stark gefährdet“auf der Roten Liste. Weit verbreitet hingegen sei die Rotbraune Stendelwur­z, die sich gern an Waldwegen ausbreitet, dort aber im schlimmste­n Fall Opfer von Forstarbei­tern werden kann.

Botanische­r Artenschut­z

Diese und weitere Infos finden sich in der Broschüre „Orchideen in Jena und im Saale-Holzland-Kreis“. Einer der fünf Autoren ist Peter Rode. „Man kann für Pflanzen nur etwas tun, indem man ihren Lebensraum erhält“, ist er überzeugt. Gemeinsam pflegen die Orchideenf­reunde Feuchtwies­en, hegen Waldbiotop­e, mähen auf dem Dohlenstei­n bei Kahla – dem größten Bergsturz in der Jenaer Umgebung – riesige Pflegefläc­hen.

Botanische­r Artenschut­z liege allen Beteiligte­n am Herzen, sagt Rode. „Um versierte Antworten geben zu können, unternehme­n wir Exkursione­n, erstellen ein Fundmonito­ring und organisier­en Biotoppfle­geeinsätze.“Außerdem führe der Verein eine Datenbank für Naturschut­z. Das Frühjahr wird von jedem Mitglied der hiesigen Sektion

mit Spannung erwartet. „Dann schwärmen wir aus, um den Bestand zu sichten“, beschreibt Rode. „Jeder von uns ist gespannt, ob seine

Schützling­e vom vergangene­n Jahr es geschafft haben.“Jedes Jahr finden mehrere Exkursione­n statt, zu denen Interessie­rte herzlich willkommen sind. Wie viele Besucher bleiben den Naturschüt­zern treu? Der Sektions-Chef bringt es auf den Punkt: „Das Interesse, etwas Schönes zu sehen, ist groß. Die Lust am Mitmachen mittel und die Leidenscha­ft, eine Position einzunehme­n, geht gegen Null.“Dabei sei Nachwuchs immens wichtig, „der Altersdurc­hschnitt liegt im Landesvere­in derzeit bei über 70 Jahren“.

Der Stadtrodae­r ist botanisch vielseitig interessie­rt, doch an den Orchideen fasziniere ihn deren Lobby. „Es gibt viele Pflanzen, die solch ein Interesse wert wären, doch darum kümmert sich niemand.“Vielleicht liegt es einfach an ihrer Schönheit, wie auch Peter Rode zugibt. „Manche Orchideen sind herrlich farbig, andere duften wie Holunder – das ist für mich der Frühling“, schwärmt er.

Insgesamt dauert die Blühsaison von Mitte April bis Anfang September. Manche Orchideen brachten ihre Lebensweis­e aus dem Mittelmeer­raum mit, sie treiben Ende September aus. Kartiert werden nicht nur blühende Pflanzen, sondern der gesamte Bestand. „Somit ist die Saison in vollem Gange“, sagt Rode. Allerdings bereiten die schönen Pflanzen ihren Beschützer­n auch Sorgen: „Orchideen sind konkurrenz­schwach und passen nicht mehr in die heutige Bewirtscha­ftungsweis­e. Früher blieben Wiesen bis Juni stehen. Wenn ich heute im Mai meine Schützling­e zähle, ist alles ringsum alles abgemäht. Anderersei­ts verbuschen Flächen, die nicht bewirtscha­ftet werden.

Auch in den Wäldern ist für lichtliebe­nde Arten immer weniger Platz“, beklagt Rode. So schrumpfte laut aktueller Broschüre das Gemeine Knabenkrau­t von mehreren tausend Pflanzen (vor 1940) auf fünf blühende Exemplare. Offenbar gibt es jedoch auch Gewinner der Veränderun­gen: Die Pyramiden-Spitzorchi­s wurde nach Jahrzehnte­n in Rothenstei­n wiederentd­eckt.

Wenn Peter Rode sieht, was die vergangene­n drei Jahre mit der Natur anstellten, könnte ihm das Herz brechen. „Es steckt so viel Fleiß in Bewirtscha­ftung und Bewässerun­g der Schutzfläc­hen. Nun können wir zusehen, wie sie austrockne­n. Das ist bitter und ein Indiz dafür, dass sich unsere Umwelt rasant verändert. Nicht irgendwo, sondern vor unserer Haustür. In Jena und im Saale-Holzland.“

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SCHEIDING Peter Rode mit der neuen Orchideen-Broschüre, die über die Geschäftss­telle des AHO Thüringen bestellt werden kann.

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