Thüringische Landeszeitung (Jena)
Kiew muss weiter auf Leopard warten
Treffen der 50 Ukraine-Verbündeten in Ramstein bringt keine Einigung zu Lieferungen. Pistorius will Bestände überprüfen
Berlin/Ramstein. Kurz bevor Boris Pistorius nahe der Flugfelder von Ramstein vor die Mikrofone tritt, meldet Russlands Regierung einen Erfolg: Es geht um die Ortschaft Klischtschijiwka. Ein Dorf, nur ein paar Straßen, Häuser, eine Kirche. Das Örtchen liegt im Süden der Stadt Bachmut. Eine der entscheidenden Schlachten in diesem Monat führt die Ukraine mit Russland derzeit genau dort. Moskaus Militärführung behauptet nun, „Sturmtruppen“hätten mit Hilfe der Luftwaffe den Ort „befreit“.
Die Angaben lassen sich bisher nicht unabhängig überprüfen. Doch stimmt die Nachricht, ist Russlands Armee einen Schritt näher an der Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Bachmut. Von dort aus könnte Russland die Offensive im Donbass steuern, die Ukraine massiv schwächen. Die Nachricht zu Klischtschijiwka ist ein Indiz dafür, wie sehr die Ukraine militärisch unter Druck steht. Wie sehr sie Waffen und Munition aus dem Westen benötigt. Wie eng es im Frühjahr für das Land werden kann. Aber die Blicke Deutschlands und der Welt gehen an diesem Freitag vor allem nach Ramstein, in die Westpfalz. Zu Boris Pistorius.
Der neue Verteidigungsminister redet nach dem Gipfel der 50 Ukraine-Verbündeten auf der US-Militärbasis schon einige Minuten vor den Kameras über die Unterstützung der Ukraine, die Deutschland weiter leisten werde. Über die „dramatische Lage“in dem Land angesichts der fortdauernden russischen Bombardements. Dann aber kommt Pistorius auf das Thema, auf das alle gewartet haben: Deutschland liefert derzeit keine Kampfpanzer vom Typ Leopard. Deutschland erteilt auch keine Genehmigung an andere Nato-Staaten, die einen Teil ihrer Leopard-Bestände an die Ukraine ausliefern wollen, aber dafür die vertraglich festgelegte Erlaubnis vom Herstellerland Deutschland benötigen. Bedeutet: Keine Kampfpanzer für die Ukraine. Vorerst, jedenfalls.
SPD-Politiker Pistorius sagt, dass es für die Lieferung der Panzer „kein einheitliches Meinungsbild“bei dem Treffen gegeben habe. „Der Eindruck, der gelegentlich entstanden ist, es gebe eine geschlossene Koalition und Deutschland stehe im Weg, dieser Eindruck ist falsch“, sagt Pistorius. Hinter den Kulissen ringen die Regierungsvertreterinnen und -vertreter offenbar länger um die Frage der Panzer-Lieferungen – und kommen doch nicht zu einem Ergebnis. Auch die USA schicken weiterhin keine eigenen Kampfpanzer.
Die Linie von Bundeskanzler Olaf Scholz ist: Deutschland liefert nur Kampfpanzer, wenn das NatoBündnis geschlossen ist. Und vor allem auch die USA mitziehen.
Der FDP-Verteidigungspolitiker Marcus Faber kritisiert im Gespräch
mit unserer Redaktion die Haltung der Bundesregierung. „Deutschland darf anderen Ländern bei der Hilfe für die Ukraine nicht im Wege stehen. Das Mindes
te ist, dass die Bundesregierung jetzt den Partnerstaaten die Exportgenehmigungen für Leopard-Panzer erteilt.“Ähnlich hatten sich andere ranghohe Politikerinnen und Politiker von Grünen und FDP geäußert. In der Ampelkoalition gibt es keine Einigkeit darüber, mit welchen Waffen und wie schnell die Ukraine unterstützt werden soll. Was SPDMinister Pistorius ankündigt, ist die Prüfung des Bestandes an Panzern vom Typ Leopard, sowohl in der Bundeswehr als auch in der Rüstungsindustrie. Für den „Fall der Fälle“, falls Deutschland doch Panzer an die Ukraine schicke. Die politische Entscheidung werde „so bald wie möglich getroffen“, sagt Pistorius. Details nennt er nicht.
Was die Bundeswehr an LeopardBeständen hat, ist jedoch recht klar. Das Verteidigungsministerium teilte auf Nachfrage mit, die Truppe verfüge über rund 320 Leopard-2-Panzer. Nicht alle sind einsatzbereit. Laut Medienberichten sind nur etwa 130 Fahrzeuge kampffähig. Und auch nicht alle davon kann die Bundeswehr ausliefern. Am Ende blieben nur ein gutes Dutzend Kampfpanzer, die aktuell in Richtung Ukraine gehen könnten. Auch die Lager der Rüstungsindustrie sind weitestgehend leer. Hersteller wie
Krauss-Maffei Wegmann können aktuell keine Leopard 2 liefern. Rheinmetall hat nach eigenen An- gaben noch 22 Panzer vom Typ 2 und knapp 90 vom Typ 1. Doch be- vor diese in die Ukraine gehen könnten, müssten sie erst instand gesetzt werden. Das dauert Monate.
Militärexperten und Nachrich- tendienste erwarten schon in den ersten Frühjahrswochen eine er- neute Offensive der russischen Ar- mee in der Ukraine. Zugleich rei- chen die russischen Vorräte an Waf- fen und Munition noch für Monate des Krieges. Bei der ukrainischen Armee aber nehmen die Lager an Munition und Kriegsgerät drama- tisch ab. Vor dem Gipfel in Ram- stein hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj an den Westen appelliert. „Die Zeit ist kritisch“, sagte er. Russland ziehe seine Kräfte, seine letzten Kräfte zusammen. „Wir müssen schneller werden.“Und an Deutschland gerichtet: Die Bundesregierung möge endlich Kampfpanzer liefern. „Die ukrainische Bevölkerung schaut auf uns. Der Kreml schaut auf uns. Und die Geschichte schaut auf uns. Also werden wir nicht nachlassen“, sagt der US-Ver- teidigungsminister Lloyd Austin in Ramstein. „Dies ist ein entscheiden- der Moment.“