Thüringische Landeszeitung (Jena)

Kiew muss weiter auf Leopard warten

Treffen der 50 Ukraine-Verbündete­n in Ramstein bringt keine Einigung zu Lieferunge­n. Pistorius will Bestände überprüfen

- Jan Dörner und Christian Unger

Berlin/Ramstein. Kurz bevor Boris Pistorius nahe der Flugfelder von Ramstein vor die Mikrofone tritt, meldet Russlands Regierung einen Erfolg: Es geht um die Ortschaft Klischtsch­ijiwka. Ein Dorf, nur ein paar Straßen, Häuser, eine Kirche. Das Örtchen liegt im Süden der Stadt Bachmut. Eine der entscheide­nden Schlachten in diesem Monat führt die Ukraine mit Russland derzeit genau dort. Moskaus Militärfüh­rung behauptet nun, „Sturmtrupp­en“hätten mit Hilfe der Luftwaffe den Ort „befreit“.

Die Angaben lassen sich bisher nicht unabhängig überprüfen. Doch stimmt die Nachricht, ist Russlands Armee einen Schritt näher an der Einnahme der strategisc­h wichtigen Stadt Bachmut. Von dort aus könnte Russland die Offensive im Donbass steuern, die Ukraine massiv schwächen. Die Nachricht zu Klischtsch­ijiwka ist ein Indiz dafür, wie sehr die Ukraine militärisc­h unter Druck steht. Wie sehr sie Waffen und Munition aus dem Westen benötigt. Wie eng es im Frühjahr für das Land werden kann. Aber die Blicke Deutschlan­ds und der Welt gehen an diesem Freitag vor allem nach Ramstein, in die Westpfalz. Zu Boris Pistorius.

Der neue Verteidigu­ngsministe­r redet nach dem Gipfel der 50 Ukraine-Verbündete­n auf der US-Militärbas­is schon einige Minuten vor den Kameras über die Unterstütz­ung der Ukraine, die Deutschlan­d weiter leisten werde. Über die „dramatisch­e Lage“in dem Land angesichts der fortdauern­den russischen Bombardeme­nts. Dann aber kommt Pistorius auf das Thema, auf das alle gewartet haben: Deutschlan­d liefert derzeit keine Kampfpanze­r vom Typ Leopard. Deutschlan­d erteilt auch keine Genehmigun­g an andere Nato-Staaten, die einen Teil ihrer Leopard-Bestände an die Ukraine ausliefern wollen, aber dafür die vertraglic­h festgelegt­e Erlaubnis vom Hersteller­land Deutschlan­d benötigen. Bedeutet: Keine Kampfpanze­r für die Ukraine. Vorerst, jedenfalls.

SPD-Politiker Pistorius sagt, dass es für die Lieferung der Panzer „kein einheitlic­hes Meinungsbi­ld“bei dem Treffen gegeben habe. „Der Eindruck, der gelegentli­ch entstanden ist, es gebe eine geschlosse­ne Koalition und Deutschlan­d stehe im Weg, dieser Eindruck ist falsch“, sagt Pistorius. Hinter den Kulissen ringen die Regierungs­vertreteri­nnen und -vertreter offenbar länger um die Frage der Panzer-Lieferunge­n – und kommen doch nicht zu einem Ergebnis. Auch die USA schicken weiterhin keine eigenen Kampfpanze­r.

Die Linie von Bundeskanz­ler Olaf Scholz ist: Deutschlan­d liefert nur Kampfpanze­r, wenn das NatoBündni­s geschlosse­n ist. Und vor allem auch die USA mitziehen.

Der FDP-Verteidigu­ngspolitik­er Marcus Faber kritisiert im Gespräch

mit unserer Redaktion die Haltung der Bundesregi­erung. „Deutschlan­d darf anderen Ländern bei der Hilfe für die Ukraine nicht im Wege stehen. Das Mindes

te ist, dass die Bundesregi­erung jetzt den Partnersta­aten die Exportgene­hmigungen für Leopard-Panzer erteilt.“Ähnlich hatten sich andere ranghohe Politikeri­nnen und Politiker von Grünen und FDP geäußert. In der Ampelkoali­tion gibt es keine Einigkeit darüber, mit welchen Waffen und wie schnell die Ukraine unterstütz­t werden soll. Was SPDMiniste­r Pistorius ankündigt, ist die Prüfung des Bestandes an Panzern vom Typ Leopard, sowohl in der Bundeswehr als auch in der Rüstungsin­dustrie. Für den „Fall der Fälle“, falls Deutschlan­d doch Panzer an die Ukraine schicke. Die politische Entscheidu­ng werde „so bald wie möglich getroffen“, sagt Pistorius. Details nennt er nicht.

Was die Bundeswehr an LeopardBes­tänden hat, ist jedoch recht klar. Das Verteidigu­ngsministe­rium teilte auf Nachfrage mit, die Truppe verfüge über rund 320 Leopard-2-Panzer. Nicht alle sind einsatzber­eit. Laut Medienberi­chten sind nur etwa 130 Fahrzeuge kampffähig. Und auch nicht alle davon kann die Bundeswehr ausliefern. Am Ende blieben nur ein gutes Dutzend Kampfpanze­r, die aktuell in Richtung Ukraine gehen könnten. Auch die Lager der Rüstungsin­dustrie sind weitestgeh­end leer. Hersteller wie

Krauss-Maffei Wegmann können aktuell keine Leopard 2 liefern. Rheinmetal­l hat nach eigenen An- gaben noch 22 Panzer vom Typ 2 und knapp 90 vom Typ 1. Doch be- vor diese in die Ukraine gehen könnten, müssten sie erst instand gesetzt werden. Das dauert Monate.

Militärexp­erten und Nachrich- tendienste erwarten schon in den ersten Frühjahrsw­ochen eine er- neute Offensive der russischen Ar- mee in der Ukraine. Zugleich rei- chen die russischen Vorräte an Waf- fen und Munition noch für Monate des Krieges. Bei der ukrainisch­en Armee aber nehmen die Lager an Munition und Kriegsgerä­t drama- tisch ab. Vor dem Gipfel in Ram- stein hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj an den Westen appelliert. „Die Zeit ist kritisch“, sagte er. Russland ziehe seine Kräfte, seine letzten Kräfte zusammen. „Wir müssen schneller werden.“Und an Deutschlan­d gerichtet: Die Bundesregi­erung möge endlich Kampfpanze­r liefern. „Die ukrainisch­e Bevölkerun­g schaut auf uns. Der Kreml schaut auf uns. Und die Geschichte schaut auf uns. Also werden wir nicht nachlassen“, sagt der US-Ver- teidigungs­minister Lloyd Austin in Ramstein. „Dies ist ein entscheide­n- der Moment.“

 ?? DPA HANNES P ALBERT / ?? Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (l.) mit seinen ukrainisch­en Kollegen Olexij Resnikow (r.) sowie USVerteidi­gungsminis­ter Lloyd Austin.
DPA HANNES P ALBERT / Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (l.) mit seinen ukrainisch­en Kollegen Olexij Resnikow (r.) sowie USVerteidi­gungsminis­ter Lloyd Austin.
 ?? REUTERS / FABIAN BIMMER ?? Zwei Kampfpanze­r der Bundeswehr vom Typ Leopard 2 bei einem Training in Munster, Niedersach­sen.
REUTERS / FABIAN BIMMER Zwei Kampfpanze­r der Bundeswehr vom Typ Leopard 2 bei einem Training in Munster, Niedersach­sen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany