Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Gaspreisbr­emse ist nicht gerecht“

Wer viel Energie spart, wird bestraft – ein Besuch bei Betroffene­n

- Christian Schneebeck

Kurz vor dem vereinbart­en Gesprächst­ermin schreibt Michael Bock noch eine E-Mail. Darin die Botschaft: Er finde es wichtig, jedes Thema „aus mehreren Perspektiv­en zu beleuchten“. Nur so werde man zum „Brückenbau­er zwischen extremen Positionen“. Volle Ablehnung oder komplette Zustimmung, das wären in diesem Fall wohl die Extreme. Was die Gaspreisbr­emse betrifft, vertritt Bock weder die eine noch die andere Position. Der Hamburger lobt die Bundesregi­erung zwar dafür, dass sie die Bürger in der Energiekri­se entlastet. Aber er sagt auch: „Wer frühzeitig gehandelt hat, wird jetzt bestraft.“

Als die Politik im vergangene­n Jahr an die Bevölkerun­g appelliert­e, wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine und einer drohenden Mangellage möglichst viel Gas, Öl und Strom zu sparen, schritten Bock und seine Frau direkt zur Tat. Sie beschleuni­gten bereits länger laufende Sanierunge­n an ihrem Einfamilie­nhaus, dämmten zum Beispiel Heizungsro­hre und statteten sich mit Smarthome-Technologi­e aus. Warmes Wasser produziere­n sie seither nur noch eine Stunde am Morgen. So berichtet es der 54jährige, selbststän­dige Programmie­rer. All das hatte Erfolg: Bis Oktober 2022 sank der Gasverbrau­ch der Bocks um 18,1 Prozent – von 38.500 auf 31.500 Kilowattst­unden. Dann kam die Gaspreisbr­emse.

Mit ihr deckelt die Bundesregi­erung den Gaspreis für 80 Prozent des Vorjahresv­erbrauchs bei Privathaus­halten sowie kleinen und mittleren Unternehme­n auf zwölf Cent pro Kilowattst­unde. Für die restlichen 20 Prozent wird der volle Preis des jeweiligen Anbieters fällig. Der liegt in Bocks Fall aktuell bei 18 Cent – nach knapp fünf Cent im vergangene­n Jahr. Welche Menge genau bezuschuss­t wird, hängt von der sogenannte­n Jahresverb­rauchsprog­nose ab, die Versorger auf der Basis von September 2022 erstellt haben. Spart man – verglichen mit

diesem Wert – mehr als 20 Prozent ein, gibt es für jede weniger verbraucht­e Kilowattst­unde außerdem den hohen Vertragspr­eis des Anbieters erstattet. Deshalb lohnte sich im Herbst unter Umständen sogar der kurzfristi­ge Wechsel zu einem teureren Versorger.

Verbrauche­rschützer und Opposition üben Kritik

Was komplizier­t anmutet, bedeutet für Michael Bock: Wegen seiner Einsparung­en wird er von Anfang Januar an gut 25.000 Kilowattst­unden zum gedeckelte­n Preis bekommen. Hätte er seinen Verbrauch vor September 2022 nicht gesenkt, wären es knapp 31.000 Kilowattst­unden. So viel zur Mathematik. Bock lenkt den Blick lieber auf die sozialpoli­tische Dimension dahinter. Als Hausbesitz­er mit gutem Einkommen sei er „privilegie­rt“und könne sich im Zweifel auch teurere Energie leisten. „Aber was ist mit Menschen, die weniger Geld oder kaum Möglichkei­ten haben, in einer kleinen Wohnung Energie zu sparen?“

„Die Gaspreisbr­emse ist nicht gerecht“, sagt Thomas Engelke, Leiter Energie und Bauen beim Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and, unserer Redaktion. Er verweist auf die Bevorteilu­ng bisheriger „Vielverbra­ucher“

und fordert, dass die Kosten für Gas- und Fernwärme bei niedrigen Bedarfen komplett gedeckelt werden sollten. Gar „eklatante Mängel“in sozialer und ökologisch­er Hinsicht wirft Dietmar Bartsch, Fraktionsv­orsitzende­r der Linken im Bundestag, der Gaspreisbr­emse vor. „Wer letztes Jahr Habecks Sparappell­e umgesetzt hat, ist der Dumme“, sagt der Opposition­spolitiker gegenüber dieser Zeitung. „Der Villenbesi­tzer, der die Sauna im Keller und null gespart hat, hat dagegen einen satten Vorteil.“

So empfindet es auch Peter Frey. Er ist Zahnarzt und lebt in Olfen im Münsterlan­d. Vom 8. März bis zum 1. Dezember 2022 habe er sein Haus gar nicht beheizt und den Gasverbrau­ch so von 24.000 auf 6000 Kilowattst­unden geviertelt, erzählt der 58-Jährige. Warum? Wegen Putin, antwortet Frey. „Von dem, was der jetzt noch verkauft, möchte ich nichts haben“, sei sein Gedanke nach dem Überfall auf die Ukraine gewesen. Ähnlich wie Michael Bock sagt auch Frey, für den nun 4800 statt 19.200 Kilowattst­unden gedeckelt werden, dass er selbst als Besserverd­iener mit den höheren Preisen klarkomme. Der soziale Aspekt mache ihn aber wütend. Und:

„Wer frühzeitig gehandelt hat, ist der Angeschmie­rte.“

Alternativ­e Konzepte für die Bedarfsber­echnung, etwa mit einem Durchschni­ttsverbrau­ch mehrerer Jahre oder einem Koeffizien­ten abhängig von der Strenge des Winters, seien zu aufwendig und daher kontraprod­uktiv, erklärt das zuständige Bundeswirt­schaftsmin­isterium auf Nachfrage unserer Redaktion. „Dies würde eine zeitnahe Umsetzung der Entlastung möglicherw­eise gefährden“, so eine Ministeriu­mssprecher­in. „Wenn es schnell gehen soll, muss es einfach gehen“, heißt es vom Verband Kommunaler Unternehme­n (VKU). Und eine Sprecherin des Bundesverb­andes der Energie- und Wasserwirt­schaft (BDE) ist überzeugt, dass „pauschale Lösungen“gerade der einzig gangbare Weg seien.

Bei Michael Bock scheint unterdesse­n auch der Ehrgeiz geweckt. Er werde natürlich weiter sparen, habe dafür längst „die eine oder andere Stellschra­ube“im Blick, erzählt er. Dann lobt er die Bundesregi­erung noch einmal für ihr Krisenmana­gement. Das ist die eine Seite. Die andere folgt sogleich: „Aber irgendjema­nd hätte bei der Konstrukti­on der Energiepre­isbremsen besser nachdenken sollen.“

Wer letztes Jahr Habecks Sparappell­e umgesetzt hat, ist der Dumme. Dietmar Bartsch, Fraktionsv­orsitzende­r der Linken im Bundestag

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MAGUNIA / FUNKE FOTO SERVICES Energie zu sparen, liegt Michael Bock aus Hamburg am Herzen. Die Gaspreisbr­emse hat seiner Meinung nach aber einen gravierend­en Fehler.

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