Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Perlen der Moderne“
Die Kunstsammlung Gera zeigt ab Sonntag Höhepunkte der exquisiten Sammlung Niescher
Als Otto Dix unmittelbar nach Hitlers Machtantritt seine Stelle als Kunstprofessor in Dresden verliert, ist der Unternehmer Fritz Niescher einer der Mäzene, die dem Künstler den Lebensunterhalt sichern. Der Margarinefabrikant aus Chemnitz kauft einige Werke an, lässt sich aber auch Auftragsarbeiten vom gebürtigen Geraer anfertigen. Im Laufe seines Lebens trägt der kunstsinnige Unternehmer eine beachtliche Kunstsammlung zusammen.
Neben Otto Dix bilden auch Werke von Ernst Barlach einen zweiten großen Schwerpunkt. Darüber hinaus finden sich in der mehr als 500
Arbeiten umfassenden Privatsammlung auch Bilder und Plastiken weiterer namhafter Größen aus der deutschen Kunstszene des 20. Jahrhunderts wie Paul Klee, Lyonel Feininger, George Grosz, Oskar Kokoschka und Gerhard Marcks. Seit 2021 befindet sich die Sammlung als zehnjährige Dauerleihgabe im Besitz der Kunstsammlung Gera. Nach einer umfangreichen BarlachAusstellung folgt nun die zweite große Sonderschau: Unter dem Titel „Perlen der Moderne“gibt sie einen repräsentativen Überblick über die exquisite Kollektion Niescher. Eröffnet wird die Ausstellung diesen Sonntag, 22. Januar.
Gleich zu Beginn empfängt George Grosz’ aquarelliertes „Ehepaar II“(1925) den Besucher. Passend zur Schau betrachten hier elegant gekleidete Eheleute irgendetwas außerhalb des Bildraumes. Vielleicht seien es Museumsbesucher,
mutmaßt Kuratorin Claudia Schönjahn. Zugleich ist das zarte Bild erotisch aufgeladen. Die Gattin trägt ein hauchdünnes Kleid, das die Konturen ihres schlanken Körpers durchscheinen lässt.
65 Arbeiten von mehr als 20 Künstlern
Ein ganz bekanntes Motiv zeigt Otto Dix’ sarkastische Radierung „Streichholzhändler“(1920). Der Thüringer schuf die druckgrafische Wiederholung nach einem seiner vier berühmten „Kriegskrüppelbilder“. Ein blinder Streichholzverkäufer ohne Arme und Beine sitzt auf dem Gehweg. Passantenbeine drängen von ihm weg, während ein
Dackel auf ihn uriniert. Ob Übertreibung oder Alltagsimpression: Dix fängt hier Zeitgeist ein – die Verelendung einstiger Kriegshelden nach dem Ersten Weltkrieg.
Einen ganz anderen Ton schlägt Otto Dix auf seinem Aquarell „Artistenfamilie“an. Hier klingt seine Faszination für die Welt des Zirkus und des Varietés an. Wunderbar passend hat Kuratorin Schönjahn George Grosz’ „Ehepaar I“(1923) dazugehängt. Er leicht schmunzelnd, sie interessiert die Lippen gekraust, blickten die Zwei hinüber zu Dix’ Trapezkünstlern.
Ob Barlachs Schnitzarbeit „Stehende Bäuerin“(1908), Otto Muellers anmutige „Drei Mädchen im
Profil“(1921), Karl Schmidt-Rottluffs „Mädchenkopf“(1915) oder die Arbeiten der Weimarer Bauhäusler Feininger und Klee: Die Ausstellung zeigt anhand von 65 Arbeiten von mehr als 20 Künstlern, über welche Qualität die Sammlungs Niescher verfügt. Bis 19. März können die Besucher im Südflügel der Geraer Orangerie genussvoll durch die Moderne flanieren. Zur Ausstellung hat die Kunstsammlung ihren neuen Dix-Bestandskatalog (38 Euro) herausgegeben, der 583 Kunstwerke vorstellt.
Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr zu sehen. Nächste Führung: Samstag, 4. Februar, 15 Uhr.