Thüringische Landeszeitung (Jena)
Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt
Computer können inzwischen Essays auf Hochschulniveau schreiben. Unklar ist, wie viele Jobs das kosten wird
Köln. Ein Textgenerator, der Shakespeare nachahmt oder komplette Hausarbeiten und Artikel schreibt oder ein Bildgenerator, der anhand kurzer Beschreibungen beeindruckende Illustrationen erschafft: Die Möglichkeiten, die Künstliche Intelligenz (KI) mittlerweile bietet, sind verblüffend. Und zum Teil beängstigend.
Schließlich stellt sich schnell die Frage: Wird meine Arbeit schon bald überflüssig, wenn eine KI meinen Job schneller und günstiger erledigen kann? „Letztendlich ist die Frage nach der Automatisierung eine Sache, die uns als Produktionsstandort seit Dekaden beschäftigt“, sagt Frank Riemensperger, Präsidiumsmitglied bei der Akademie der Technikwissenschaften (acatech).
Diverse Branchen sind womöglich vom Wandel betroffen
Laut Sascha Stowasser, Leiter des ifaa (Institut für angewandte Arbeitswissenschaft), lassen sich insbesondere solche Tätigkeiten durch KI ersetzen, die wirtschaftlich abgebildet werden können. Dafür spielt es etwa eine Rolle, ob eine Tätigkeit in Unternehmen nur selten verfügbar ist oder sich massenweise substituieren lässt. Manche Branchen werden dabei verstärkt beeinflusst, so Stowasser. Der Arbeitswissenschaftler zählt zum Beispiel den Finanzsektor und die Versicherungsbranche auf, wo viele Datenmengen vorliegen. Eine KI kann Marktanalysen schneller auswerten und Unregelmäßigkeiten in Kontoauszügen verlässlicher aufzeigen als ein Mensch.
Wichtige weitere Branchen sind Stowasser zufolge etwa Industrie und Produktion, Fertigung und Montage oder Logistik und Instandhaltung. „Auch im Personalbereich, wenn es etwa um Job-Matching oder das Prüfen von Bewerbungsunterlagen geht, ist das Potenzial hoch.“
Der Einsatz von KI werde dabei vor Berufen mit hohen Qualifikationsanforderungen nicht halt machen. Ärzte zum Beispiel können Bilddaten kaum besser analysieren als eine Maschine. Ein Algorithmus kann Gerichtsgutachten deutlich
schneller erstellen als ein Jurist, der dafür Tage bräuchte. Ob Komposition von Filmmusik oder die Sportkolumne im Netz – „es wird im Prinzip jegliches Berufsbildungsprofil treffen. Überall da, wo vielen Daten vorhanden sind, kann die KI kommen und die Tätigkeit ersetzen.“
Muss das nun Grund zur Panik sein? Laut Stowasser nicht. „Der Arzt ist dann zum Beispiel wieder das, was er mal war“, sagt er. „Er wirkt als Schnittstelle zu den Menschen und hat idealerweise wieder mehr Zeit, zu erklären.“
Ängste, dass eine Technologie Arbeitsplätze wegnimmt, habe es genauso bei der Einführung der Dampfmaschine oder des Computers gegeben. „Das Szenario, dass Menschen reihenweise Arbeitsplätze verloren haben, ist nie eingetreten. Ein ähnliches Bild erwarte ich auch bei der KI“, sagt Stowasser.
Vera Starker, Wirtschaftspsychologin, Beraterin und Co-Founderin des Thinktanks Next Work Innovation (NWI), schätzt die Lage etwas weniger optimistisch ein. Ihrer Einschätzung nach wird die Debatte um den Einsatz von KI in der Arbeitswelt etwas zu sorglos geführt. „Wenn wir rein auf das Substituierungspotenzial gucken, gibt es in Deutschland sehr gegenläufige Aussagen“, sagt sie.
„Würden alle Jobs ersetzt, bei denen das rein theoretisch möglich ist, würden wir viele Tätigkeiten in den kommenden Jahrzehnten nicht mehr brauchen.“Dieses Szenario würde sich auch durch Jobs, die durch den Fachkräftemangel unbesetzt bleiben, nicht ausgleichen lassen, weil es kompetenzseitig kein Matching gebe. „Aus meiner Sicht sind wir letztendlich erst am Anfang dessen, was kommen wird.“
Angst hält Starker aber dennoch nicht für einen guten Ratgeber. Sie rät Berufstätigen, für sich selbst eine Einschätzung zu treffen und herauszufinden, wie sich das Substituierungspotenzial des eigenen Jobprofils bewerten lässt.
KI nicht nur Bedrohung sehen, sondern auch als Chance
Dazu muss man sich die nötigen Infos beschaffen. „Da muss ich mich eben an den Rechner setzen und recherchieren, wie wahrscheinlich Substituierungen in meiner Tätigkeit oder in meiner Branche in Zukunft sind.“
Anfangs kann dabei zum Beispiel der Job-Futuromat des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) helfen. Das Online-Tool soll bei der Beantwortung der Frage helfen, ob digitale Technologien einen Job verändern werden. Diese Infos gilt es zu evaluieren und für sich selbst Bilanz zu ziehen, so Starker: Welcher Erwerbsweg liegt noch vor mir? Und wie kann ich mich, für das was kommt, fit machen? Die sich auftuende Weggabelung sollten Beschäftigte als Chance auffassen. „Die Fantasievorstellung der langen Erwerbsbiografie ist ohnehin lange vorbei“, sagt Starker. Kaum jemand wird mehr sein gesamtes Arbeitsleben mit derselben Tätigkeit verbringen. Auf Basis ihrer Recherche können Beschäftigte demnach für sich abwägen: Welche Möglichkeiten liegen für mich in der aktuellen Entwicklung? Was würde ich vielleicht beruflich gerne tun? „Wir müssen rauskrabbeln aus der Angst und rein in das, was geht.“
Eine Frage in der Diskussion um den Einsatz von KI in der Arbeitswelt ist aber auch, was theoretisch möglich ist und was tatsächlich umgesetzt wird. Nach Stowassers Erfahrung planen Unternehmen bislang selten, ganze Prozesse oder Tätigkeiten mittels KI zu ersetzen.
„Wir müssen Ängste der Menschen wahrnehmen, dürfen diese aber nicht überbewerten. Faktisch können keine Massenentlassungen aufgrund KI-Systemen belegt werden. Es gibt auch keinerlei Intentionen in den Unternehmen, die KI für großflächige Rationalisierungsmaßnahmen zu nutzen.“In einem idealen Szenario sollten starke Algorithmen hoch beschäftigte Menschen dabei unterstützen, ihre Arbeit zu bewältigen, so Stowasser. Damit dieser Ausblick erfüllt wird, müssen Beschäftigte dem Experten zufolge künftig vor allem Neugierde und Offenheit gegenüber neuen Technologien zeigen.
Wichtiger sei Weiterbildung. Nicht jeder müsse deswegen zum Programmierer oder KI-Experten werden. „Es wäre übertrieben, wenn jeder alles über neuronales Lernen weiß.“Beschäftigte sollten aber den richtigen Umgang mit KI lernen. Eine KI sollte keine „Black Box“sein und Beschäftigte müssen zum Beispiel erkennen können, wann die KI „Datenmüll“produziert. „Ich muss lernen, Algorithmen nicht einfach zu 100 Prozent zu vertrauen“, so Stowasser.
„Ich glaube, die Zukunft gehört der Interaktion von Mensch und Maschine“, sagt Riemensperger. Der Mensch werde in seinem Wirken kontinuierlich besser unterstützt. Dazu gelte es Wege zu finden, wie sich die Mensch-MaschineInteraktion in künftigen Zeiten besser nutzen lässt.
Überall da, wo viele Daten vorhanden sind, kann die KI kommen und die Tätigkeit ersetzen. Sascha Stowasser, Institut für angewandte Arbeitswissenschaft