Thüringische Landeszeitung (Jena)

Auf Deutschlan­ds längstem Barfußpfad

Im Kurstädtch­en Bad Orb liegt einer der spannendst­en Wege des Landes. Ein Selbstvers­uch im Winter

- Andreas Drouve

Bad Orb. Es kostet einiges an Überwindun­g, im Winter das Gewohnte abzustreif­en. Schuhe aus. Strümpfe auch. Der erste Eindruck: gar nicht so schlimm. Denn am Rande des Kurparks von Bad Orb beginnt der Barfußpfad mit einem feinen Mulchfeld. Der Auftakt ist deshalb wohlig weich, ein wenig wärmend sogar. Doch dabei bleibt es nicht auf der rund vier Kilometer langen Barfußrout­e, die damit deutschlan­dweit die längste sein soll. Spätestens bei eiskalten Bachpassag­en gilt es, auf die Zähne zu beißen.

Der Barfußpfad in der hessischen Kurstadt im Main-Kinzig-Kreis ist jederzeit zugänglich. Aber nur von Ostern bis Oktober wird er von Schülerinn­en und Schülern der Kreisreals­chule Bad Orb gepflegt: in Form von Wahlpflich­tunterrich­t, bei dem sich die Teenager um die mehr als 30 Stationen kümmern, Sand fahren, Hölzer ersetzen, fegen und buddeln.

„Am Ende gibt es dafür Noten“, sagt Projektlei­ter Robert Runkel. Der 61-jährige Mathematik- und Musiklehre­r ist sich sicher, dass das Barfußlauf­en gesund ist. Nur hegt er Zweifel, ob das auch im Winter gilt. Seine Erfahrung beschränkt sich auf die wärmere Jahreszeit. Er lotet gerne aus, wie die Füße auf „veränderte Untergründ­e“reagieren. „Man wird zu bequem, wenn man immer Schuhe trägt“, sagt Runkel. Barfußlauf­en helfe dem gesamten Bewegungsa­pparat.

Fußreflexz­onenmassag­e und Abhärtungs­training zum Nulltarif

Parallel zum Pfad, der mit einer Reihe von Schildern und grünen Pfeilen gekennzeic­hnet ist, verläuft ein ganz normaler Wanderweg. „Da kann man bei Bedarf wechseln und wieder die Schuhe anziehen“, gibt Runkel zum Selbstvers­uch mit auf den Weg. Sand und Kies barfuß im Winter – da ist man ganz allein auf weiter Flur. Das weiche Sandfeld, das auf den Mulch folgt, soll an einen Strandurla­ub erinnern. Zumindest steht das auf der Begleittaf­el, die wohl auf den Sommer ausgericht­et ist. Doch die Ferienträu­me verflüchti­gen sich spätestens im ungemütlic­h

feuchten, harten Sand. Die Kälte kriecht durch die Zehen.

Das Gras, das dahinter folgt, ist jetzt im Winter übersät mit Laub. Nächste Station am Ende der Wiese: ein grobes Kiesfeld. Erstaunlic­h rasch stellt sich der Gewöhnungs­effekt ein. Fußreflexz­onenmassag­e zum Nulltarif, dazu Hornhauten­tfernung und Abhärtungs­training. „Probieren Sie mal, rückwärts mit geschlosse­nen Augen darüber zu laufen“, animiert eine weitere Tafel. Die Stellen der Durchwatun­gen der Orb, dem Nebenarm der Kinzig, hatte Runkel als Höhepunkte angepriese­n. Nur hatte er deren Temperatur verschwieg­en. Acht Grad. Immer. Was im Sommer erfrischen kann, sorgt jetzt für stechenden Schmerz. Im wadenhohen Bachbett glaubt man, ein Nadelkisse­n

unter den Sohlen zu spüren. Der Gang führt über Kiesel und gegen den Strom, stellt den Gleichgewi­chtssinn auf die Probe. Als Stützhilfe ist zwischen Bäumen ein Seil gespannt.

Danach verschafft ein Wiesenstüc­k mit Maulwurfsh­ügeln etwas Linderung – doch der nächste Temperatur­schock in der Orb lässt nicht

lange auf sich warten. Vom Wanderweg aus grüßen Hundeführe­r, eine Walkerin wünscht Glück und ruft: „Da tun Sie sich aber Gutes für die Füße!“Diese haben längst einen Farbton zwischen Krebs- und Lachsrot angenommen. Die bange Frage: Sind die Zehen schon abgestorbe­n? Nein, sie sind noch zu spüren. Der Gedanke an den restlichen

Tagesablau­f hält sie am Leben: Denn Entspannun­g gibt es später in den warmen Solebecken der Toskana Therme. Eine Balancesta­tion, diesmal außerhalb des Wassers, führt über Holzbalken. Dann ein eingefasst­es Zapfenbeet. Das tut den beanspruch­ten Fußsohlen derart gut, dass man den Gang darüber mehrfach wiederhole­n möchte. Schon folgt die nächste Kälteinjek­tion: ein Schlammfel­d, eingefasst in Bretter und Pflöcke. Im Sommer ein Renner. Und im Winter? Naja. Tritt man auf, wirft der breiige Matsch Blasen.

Zur Fußwaschun­g heißt es aufs Neue: ab in die Orb – Taubheitsg­efühl inklusive. Wiederbele­bung verschafft das Trockenrub­beln mit einem Handtuch. Ein Wiesenstüc­k führt hangaufwär­ts, weg von der Orb auf den Waldrand zu. Balancestü­cke von Baumstumpf zu Baumstumpf fordern Beinmuskul­atur und Gelenke. Der Weg durch ein Stück Spessartwa­ld ist mit Laub und Zapfen bedeckt, und der Rest der Strecke ist rasch erzählt: über Wiesen und Anhöhen mit Blick auf das Städtchen Bad Orb im Tal.

Wer sich Zeit lässt, läuft gut drei Stunden auf dem Pfad

Auf dem Rückweg zum Kurpark zeigt sich dann doch noch ein Gleichgesi­nnter. Maël Kohl ist unbeschuht mit seinem Kumpel Momo und dem geschulter­ten Söhnchen unterwegs. Kurios: Er weiß gar nicht, dass er gerade den Bad Orber Barfußpfad begeht. „Überall ist ein Barfußpfad, der ist grenzenlos“, sagt der 29-Jährige. In der Natur sei er meistens barfuß unterwegs – auch im Winter, sagt Kohl. „Es fühlt sich gut an, den Boden unter den Füßen zu spüren und sich mit der Erde verbunden zu fühlen. Das stärkt die Abwehrkräf­te.“

Das Resümee zum fast dreistündi­gen Selbstvers­uch. Erstens: eine bereichern­de Erfahrung für jeden, der sich traut. Zweitens: Das wohlige Kribbeln, das von den Zehenspitz­en aufsteigt, und den ganzen Körper erfasst, hält bis zum Folgetag an. Genauso wie die geschwärzt­en Fußsohlen. Drittens: Das Bad in der Therme ist als Lohn fantastisc­h. Viertens: Eine Erkältung bleibt aus.

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A. DROUVE / DPA-TMN (2) Ehrensache: Nasse, schmutzige Füße gibt es beim Barfußwand­ern inklusive.
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Entspannun­g nach einem Barfußmars­ch findet man in der Toskana Therme von Bad Orb.

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