Thüringische Landeszeitung (Jena)
Kennwort Kufe
Wie die Staatssicherheit Rodel-Weltmeisterschaften zu DDR-Zeiten überwacht hat
Oberhof. „Um 09.00 Uhr verließen sechs männliche Personen (ca. 18 – 23 Jahre) das FDGB-Ferienheim ‚Georgi Dimitroff‘ und gingen zum Reisebus“, heißt es im Beobachtungsbericht der Staatssicherheit vom 25. Januar 1985. Die westdeutsche Nationalmannschaft – zu Gast bei der Rodel-Weltmeisterschaft 1985 in Oberhof – plant abseits des Sports einen Tagesausflug nach Erfurt. Gleich mehrere Mitarbeiter der Suhler Observationsabteilung bespitzeln die Reisegruppe.
Die Stasi war 1985 mit großer Besatzung im DDR-Wintersportzentrum eingerückt, um die Wettkämpfe zu überwachen. Sie hatte sich in derselben Oberhofer Unterkunft einquartiert wie die BRD-Mannschaft. Nicht nur deren Mitglieder standen unter ständiger Beobachtung. Das zeigt die Forschungsarbeit des Historikers Sascha Münzel vom Stasi-Unterlagen-Archiv, der einen IM-Vorgang und zehn Sachakten mit 400 Seiten ausgewertet hat. „Die Stasi bekam von der SED den Auftrag, für störungsfreie Wettkämpfe zu sorgen und die Weltmeisterschaften umfassend zu sichern: So durften weder organisatorische Mängel, technische Störungen, unliebsame Unmutsäußerungen noch öffentlicher Protest gegen die Zustände in der DDR das Bild der ostdeutschen Wintersportnation trüben“, sagt Münzel.
Der Suhler Stasi-Bezirkschef Gerhard Lange hielt in seinem Einsatzplan fest, dass es während der Weltmeisterschaften vor allem darauf ankam, „Provokationen, Demonstrativhandlungen, […], staatsfeindliche anonyme und mündliche Hetze, insbesondere massenwirksame Aktionen, Rowdytum, Zusammenrottungen und Widerstandshandlungen gegen staatliche Maßnahmen“unter allen Umständen zu verhindern.
Journalisten und Diplomaten aus westlichem Ausland im Blick
Zudem sollte eine „politisch-operative Aufklärung und Kontrolle der Aktivitäten von Korrespondenten, Diplomaten und anderer bevorrechteter Personen nichtsozialistischer und politisch-interessierter Länder“erfolgen. Sicherungsmaßnahmen im Post- und Fernmeldewesen und bei den Massenmedien sollten eine „stabile Nachrichtenverbindung zur aktuellen und störungsfreien Berichterstattung“sicherstellen.
Details zum Großeinsatz gehen aus der Vertraulichen Verschlusssache o008-10/85 hervor. Demnach wird der zentrale Führungspunkt der Sicherungsgruppe im FDGBFerienheim Georgi Dimitroff im Zimmer 110 eingerichtet. Vier Arbeitsgruppen kümmern sich um eine systematische Überwachung. Neben einem mobilen Einsatztrupp sind neun hauptamtliche Mitarbeiter für die Sportstätte, insbesondere zum Schutz des Maschinenhauses, abgestellt, acht weitere für die „Unterkunfts- und Verpflegungsobjekte“. Drei Mitarbeiter umfasst
die Arbeitsgruppe Massenmedien.
Inoffizielle Mitarbeiter werden speziell instruiert und erhalten die Telefonnummer 588, um unter dem Kennwort Kufe verdächtige Beobachtungen sofort zu melden. „Die Inoffiziellen Mitarbeiter hielten im Ort Oberhof und besonders in den Gaststätten und Bars, im Interhotel ‚Panorama‘ und an der Rennschlittenbahn Augen und Ohren offen“, sagt Münzel.
Zusammen mit der Volkspolizei versuchte die Stasi, Personen, die sie als „negativ-dekadent“oder als „negativ-feindlich“, beispielsweise Ausreisewillige, identifizierte, von der Wettkampfstätte und Oberhof fernzuhalten. Die DDR-Organe sahen die Gefahr, dass missliebige Bürgerinnen und Bürger vor den Augen der internationalen Sportwelt ihr Anliegen massen- und medienwirksam vertreten könnten.
Während der Weltmeisterschaft befand sich Münzel zufolge vor allem das bundesdeutsche Team im Blickfeld. „Bereits vor den Weltmeisterschaften verschaffte sich die
DDR-Geheimpolizei Zugang zur kompletten Mannschaftsliste. Aus dieser ging, neben Personenangaben, auch die jeweilige Zimmerbelegung hervor“, sagt der Historiker. Die 15-köpfige BRD-Delegation, der auch der spätere Olympiasieger Georg Hackl angehörte, umzingelten gleich mehrere Inoffizielle Mitarbeiter. „Diese registrierten akribisch, welche Teammitglieder den Kontakt zu Oberhofer Bürgern suchten oder sich bis spät in die Nacht in Bars und Gaststätten aufhielten“, sagt Münzel. Außerdem leitete die Stasi gegen die Bundesbürger „spezifische Kontrollmaßnahmen“ein.
Stasi-Spitzel direkt im Sportstätten-Betrieb
Ferner findet der Historiker Anhaltspunkte dafür, dass die Stasi nach den Weltmeisterschaften ein Vorfall besonders beschäftigte: Ein Mitglied der bundesdeutschen Rennrodelannschaft geriet den Verdacht r Sportspionage gen die DDR. Er tte sich wohl zu ensiv für Teile n Rennschlitten d diverse Ausrüsngsgegenstände eressiert. Einen treuen Zubeiter hatte die aatssicherheit an r Sportstätte. Wähnd der RennrodelM ist laut Münzel ch IM „Barbara“m Einsatz gekomn. Sein Führungsofier habe die Arbeit obt und später bilanrt, dass er über „vieltige Möglichkeiten r Kontaktherstellung ausländischen Teilhmern [verfüge] und gezielte Informationen [erarbeiten könne].“
Bis zuletzt arbeitete „Barbara“mit der Geheimpolizei zusammen. Noch am 3. November 1989, einen Tag vor der ersten Großkundgebung des Neuen Forums in Suhl, verriet er einen Bahnarbeiter an die Stasi und hob hervor, dass dieser „…ein konsequenter Fürsprecher der ‚Wende in der DDR‘ in Bezug auf Meinungsfreiheit und ‚freie Wahlen‘“sei. Die Stasi war also nicht nur bei Großereignissen im Bilde, was im Vorzeigeort Oberhof passiert.