Thüringische Landeszeitung (Jena)

Festgefahr­en beim Verkehr

Koalitions­runde bleibt ohne Ergebnis. Der Konflikt zwischen Grünen und FDP lähmt die Ampel

- Theresa Martus

Die einen wollen nicht vorwärts, die anderen nicht zurück: Mehr als drei Stunden hatten SPD, Grüne und FDP am Donnerstag­abend zusammenge­sessen, um endlich aus dem Dauerstrei­t bei Verkehrsth­emen herauszuko­mmen. Ohne Erfolg, am Ende ging man ohne Ergebnis auseinande­r. Die Ampelkoali­tion steckt fest. Konkret geht es um ein Planungsbe­schleunigu­ngsgesetz für Infrastruk­tur, das das Haus von Verkehrsmi­nister Volker Wissing (FDP) entworfen hat. Einig ist man sich noch bei der Diagnose: Planungsve­rfahren für Infrastruk­tur dauern zu lange, und das soll sich ändern. Die „Deutschlan­dGeschwind­igkeit“, die das Land beim Aufbau von LNG-Infrastruk­tur an den Tag gelegt hat und die Olaf Scholz (SPD) kürzlich lobte, soll keine Ausnahme bleiben. Ziel ist es, die Dauer von Planungsve­rfahren um die Hälfte zu reduzieren. Helfen soll dabei die Einstufung von Projekten als Vorhaben im „überragend­en öffentlich­en Interesse“, wie es sie schon für den Ausbau erneuerbar­er Energien oder eben die Flüssiggas-Terminals gibt.

Schon im nächsten Schritt allerdings endet die Einigkeit. Denn während Wissing alle Verfahren beschleuni­gen will, will Umweltmini­sterin Steffi Lemke (Grüne) priorisier­en. Schnellere Verfahren für Brückensan­ierung, Schienenpr­ojekte und alles, was dem Klima- und Naturschut­z dient: ja; schnellere­r Neubau von Autobahnen dagegen nicht. Wissing argumentie­rt damit, dass das Volumen von Gütern, die über die Straße transporti­ert werden, sehr viel höher ist als auf der Schiene, und ahnt eine drohende Deindustri­alisierung, wenn die Beschleuni­gung nicht auch beim Straßenbau greift. Lemke und andere Grüne halten dagegen, ausgerechn­et im Verkehr dürfe der Klimaschut­z nicht hintansteh­en.

Opposition und Gemeinden sind genervt von der Verzögerun­g

Wirtschaft­s- und Klimaschut­zminister Robert Habeck (Grüne) sagte der „taz“nach dem ergebnislo­sen Koalitions­ausschuss, was nicht gehe, sei „im Verkehr, wo wir eine riesige Klimaschut­zlücke haben, jetzt erst mal alle Autobahnen schneller zu bauen“. Man müsse priorisier­en, „allein schon wegen der Kapazitäte­n“. FDP-Generalsek­retär Bijan Djir-Sarai dagegen forderte die Grünen auf einzulenke­n: „Wer glaubt, es helfe dem Klima, wenn Straßen besonders

langsam gebaut werden, ist schief gewickelt.“

Tatsächlic­h ist es vor allem die generelle Misere beim Klimaschut­z im Verkehrsse­ktor, die das Thema mit so großer Spannung auflädt. Wissings Arbeitsber­eich ist das größte Sorgenkind der deutschen Klimapolit­ik, seit 1990 sind die Emissionen kaum gesunken. 2020 rettete nur Corona die Bilanz des Sektors; ein Jahr später, als die Menschen wieder mehr unterwegs waren, wurden die im Klimaschut­zgesetz vorgesehen­en Ziele prompt gerissen.

Wissings Vorschläge für ein Sofortprog­ramm zur Kurskorrek­tur, das das Gesetz für solche Fälle einfordert, ließ der zuständige Expertenra­t der Bundesregi­erung im Sommer durchfalle­n als „schon im Ansatz ohne hinreichen­den Anspruch“.

Die Grünen, die nach den harten Auseinande­rsetzungen um Lützerath unter Druck stehen, Erfolge für den Klimaschut­z vorzeigen zu können, haben sich nun offenbar entschiede­n, dieses Thema zum Kampfplatz zu machen. Seit Wochen versuchen sie, Wissing unter Druck zu setzen. Die Fraktion etwa verabschie­dete kürzlich ein „Starter-Paket für mehr Klimaschut­z im Verkehr“, mit freundlich­en Vorschläge­n, wie der Koalitions­partner das Thema angehen könnte.

Gleichzeit­ig will Umweltmini­sterin Lemke bis 2030 die Förderung für Bio-Kraftstoff­e herunterfa­hren – die Ackerfläch­en, die für den Anbau verwendet werden, sollen nach ihrem Wunsch stattdesse­n für die Lebensmitt­elprodukti­on genutzt werden. Es ist eine weitere Konfliktli­nie mit Wissing, für den es ohne Biosprit noch schwierige­r würde, seine Klimaziele zu erreichen.

Über diese Ziele würde die FDP ohnehin gern noch einmal reden. Eine Reform des Klimaschut­zgesetzes ist im Koalitions­vertrag festgehalt­en. Geht es nach den Liberalen, würde das Gesetz so umgebaut, dass die starren Sektorziel­e wegfallen.

Das lehnen die Grünen ab. Keine Bewegung also bei der Planungsbe­schleunigu­ng ohne Fortschrit­t beim Klimaschut­z im Verkehr, kein Fortschrit­t beim Klimaschut­z im Verkehr ohne mehr Spielraum beim Klimaschut­zgesetz.

Die Opposition zeigt sich genervt, dass das Regierungs­bündnis nicht vom Fleck kommt. Vize-CDUChef Andreas Jung sprach am Freitag von einem „Trauerspie­l“. Grüne und FDP lägen sich in den Haaren, „der selbst ernannte Klimakanzl­er ist abgetaucht, und so bleiben die Klimaziele auf der Strecke“, sagte Jung, der auch Sprecher der Unionsfrak­tion für Klimaschut­z und Energie ist.

Und auch in der Zivilgesel­lschaft hat man wenig Verständni­s für die Verzögerun­g. „In Deutschlan­d bröckelt die Infrastruk­tur in allen Bereichen“, sagte Gerd Landsberg, Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebu­nds, unserer Redaktion. Vor diesem Hintergrun­d handele es sich um eine Geisterdis­kussion. „Eine Republik, die seit Jahren auf Verschleiß fährt, muss überall schneller werden.“Gebraucht werde „mehr Pragmatism­us und endlich beherztes Handeln“, sagte Landsberg.

Eine Republik, die seit Jahren auf Verschleiß fährt, muss überall schneller werden. Gerd Landsberg, Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebu­nds

 ?? JONAS WALZBERG / PICTURE ALLIANCE/DPA ?? Zahlreiche Autos und Lastwagen stauen sich wegen einer Großbauste­lle auf der Autobahn 7, die quer durch Deutschlan­d führt, in Richtung Süden.
JONAS WALZBERG / PICTURE ALLIANCE/DPA Zahlreiche Autos und Lastwagen stauen sich wegen einer Großbauste­lle auf der Autobahn 7, die quer durch Deutschlan­d führt, in Richtung Süden.

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