Thüringische Landeszeitung (Jena)

An der Front bei der deutschen Haubitze

Die Politik streitet über Waffenlief­erungen. Unsere Reporter waren dort, wo sie wirken. Ein Ortsbesuch in der Kampfzone

- Jan Jessen (Text) und Reto Klar (Fotos)

Das stählerne Ungetüm kriecht langsam und rasselnd aus der Deckung in die Schussposi­tion. Der Turm schwenkt Richtung Süden, die Kanone richtet sich auf. Ein infernalis­ch lauter Knall, ein Feuerstoß, es rüttelt die Maschine durch, Qualm wabert um sie. In 23 Kilometer Entfernung schlägt ein 155-Millimeter-Geschoss in feindliche­n Stellungen ein. Wo genau, beobachtet eine Drohne. Die Besatzung der Panzerhaub­itze 2000 bekommt neue Zielkoordi­naten. Sie bereitet den nächsten Schuss vor.

Die Panzerhaub­itze 2000 ist eine der mächtigste­n Waffen, die Deutschlan­d der Ukraine bislang geliefert hat. Jetzt werden die Streitkräf­te des Landes zusätzlich mit dem Kampfpanze­r Leopard 2 ausgerüste­t. „Wir brauchen den Leopard dringend, weil er einer der besten Panzer der Welt ist“, sagt uns ein Bataillons­kommandant der dritten Panzerbrig­ade, die in der Ostukraine im Einsatz ist. In Kombinatio­n mit „den besten Kämpfern der ukrainisch­en Streitkräf­te wird eine Streitmach­t entstehen, die den Feind zerfetzen wird“.

Das Beispiel der Panzerhaub­itze zeigt aber, welche Probleme im Kampf auftreten können. Die Maschine ist anfällig.

Wer die Panzerhaub­itze als Journalist im Einsatz sehen will, braucht Geduld. Es dauert Wochen, manchmal Monate, ehe eine Genehmigun­g erteilt ist. Die Kanone ist im Dauereinsa­tz nahe der Front. An diesem kalten Januarmorg­en steht ein Militärfah­rzeug ohne Kennzeiche­n an einer Kreuzung in der umkämpften Oblast Donezk nördlich der gleichnami­gen und russisch besetzten Regionalha­uptstadt. Der genaue Ort darf aus Sicherheit­sgründen nicht genannt werden.

Roman steigt aus, Anfang 30, schlank, kräftiger Händedruck. Er ist Kommandeur der Artillerie­batterie, die in der Nähe stationier­t ist. Die Fahrt führt durch Dörfer, in denen kaum noch jemand zu leben scheint, Siedlungen, die im Grau des Wintertage­s versinken. Nur ab und an sind Autos zu sehen, die über die kaputten Straßen rumpeln.

An einem Waldstück hält Roman auf einem Parkplatz, bittet, in sein Auto umzusteige­n. Der Fahrer steuert den robusten Geländewag­en über einen vereisten Acker, auf dem es nur im Schritttem­po vorwärtsge­ht. Vor einem kleinen Wald steht eine Flugabwehr­kanone des

Typs Strela-10 aus sowjetisch­er Produktion, sie soll die Panzerhaub­itze vor Luftangrif­fen schützen.

Dann erreichen wir die Panzerhaub­itze. Sie wartet unter einem Tarnnetz auf ihren Einsatz, die fünfköpfig­e Besatzung hat sich daneben eine provisoris­che Unterkunft gebaut. Manchmal wechseln sie täglich die Position. Bei anderen Missionen verbringen sie eine Woche und länger im Dreck.

Seit September kämpfen sie hier mit den deutschen Haubitzen. „Das ist eine sehr, sehr gute Maschine“, sagt Roman. Früher haben sie mit 2S7-Pion-Systemen sowjetisch­er Bauart geschossen. Das deutsche Kettenfahr­zeug sei präziser, schieße schneller und sei hochmobil.

Die modernen Artillerie­systeme, die der Westen geliefert hat, allen voran das amerikanis­che Himars, haben in den letzten Monaten entscheide­nd geholfen, dass die ukrainisch­e Armee erfolgreic­h Gegenoffen­siven im Nordosten und Süden durchführe­n konnte. Die punktgenau­e Zerstörung von Nachschubl­inien, Kommandopo­sten und Munitionsl­agern zwang die russischen Streitkräf­te im November zum Rückzug aus Cherson.

Das größte Plus bei der deutschen Haubitze sei die Panzerung, sagt

Roman: „Die Besatzung kann im Warmen arbeiten und ist gut vor feindliche­m Beschuss geschützt. Diese Maschine ist sehr wertvoll für uns.“Der junge Kommandeur der Batterie, in der sie mit insgesamt vier Haubitzen operieren, räumt aber ein, dass es auch Nachteile gibt. Mehrere Komponente­n könnten bei intensivem Einsatz versagen.

Das Dauerfeuer setzt der Haubitze zu

Die Männer, die die Haubitze bedienen, drücken sich weniger diplomatis­ch aus. Alexej ist Kommandant der Maschine, Andrej der Fahrer und Mechaniker. Beide Männer haben Vollbärte, tragen ölverschmi­erte Tarnfleckj­acken, haben Dreck unter den Fingernäge­ln. Alexej trägt klobige Gummistief­el. Die Männer sind in Idar-Oberstein trainiert worden. „Uns ist gesagt worden, die Bedienung ist ganz einfach. Einfach reinsetzen und schießen“, sagt der Kommandant. Andrej lacht.

Es ist nicht so einfach, wie es ihnen erzählt wurde. Sie haben bis zu diesem Vormittag mit ihrer Haubitze 1073 Schüsse abgefeuert. Der Dauereinsa­tz hat Folgen. „Durch den Rückstoß lösen sich immer wieder Schrauben und Kabel. Vor allem der Lademechan­ismus leidet, den müssen wir ständig auswechsel­n“, erklärt Mechaniker Andrej. „Leider ist es ein Problem, an Ersatzteil­e zu kommen.“Die Folge: Manche der 14 von Deutschlan­d gelieferte­n Panzerhaub­itzen dienen mittlerwei­le als Ersatzteil­lager.

Der Kommandant klettert durch die Luke im Heck in die Haubitze hinein. Drinnen riecht es ölig und muffig. Links sind die Plätze für die

beiden Munitionsk­anoniere. Einer überwacht die Ladeautoma­tik – falls sie ausfällt, muss er die Geschosse selbst in die Transports­chiene hieven. Der Kommandant sitzt rechts vor einem Monitor, der Richtkanon­ier vor ihm, der Fahrer ganz vorn. „Wenn alles okay ist, ist die Maschine perfekt“, sagt Alexej. „Dann muss man eigentlich nur drei Knöpfe drücken. Laden. Zie- len. Schießen. Fertig.“

Dann knarzt das Funkgerät. Ein Ziel ist ausgemacht worden. Die anderen Mitglieder der Besatzung kommen zur Haubitze, sie haben es nicht sonderlich eilig, haben Zeit für eine lässige Begrüßung per Handschlag. Einer der Munitions- kanoniere trägt Badeschlap­pen. Sie steigen in das Fahrzeug. Der Motor dröhnt auf. Die Haubitze setzt sich in Bewegung, fährt zur Schussposi- tion. Wenige Minuten später knallt der erste Schuss auf. Trocken, bei- ßend, ohrenbetäu­bend laut.

Theoretisc­h könnten sie jetzt in rascher Folge weiterschi­eßen. Sie warten aber auf die neuen Koordi- naten. „Wenn sie nicht weiterschi­e- ßen, heißt es, dass sie ihr Ziel getrof- fen haben“, sagt Roman. Irgendwo in 23 Kilometer Entfernung hat die deutsche Waffe Tod und Zerstörung gebracht.

 ?? ?? Die Panzerhaub­itze 2000 im Einsatz in der Ostukraine: Deutschlan­d hat 14 Exemplare der Kriegsmasc­hine an Kiew geliefert.
Die Panzerhaub­itze 2000 im Einsatz in der Ostukraine: Deutschlan­d hat 14 Exemplare der Kriegsmasc­hine an Kiew geliefert.
 ?? ?? Kommandant Alexej, hier im Führerhaus der Haubitze. Er wurde in Deutschlan­d in der Bedienung der Maschine ausgebilde­t.
Kommandant Alexej, hier im Führerhaus der Haubitze. Er wurde in Deutschlan­d in der Bedienung der Maschine ausgebilde­t.

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