Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Es ist abnormal, dass Synagogen bewacht werden müssen“

Der neue israelisch­e Botschafte­r, Ron Prosor, über Deutschlan­d, den Iran, das Verhältnis zu Russland und das Recht, sich zu verteidige­n

- Von Gudrun Büscher, Backfisch und Jörg Quoos Michael

Ron Prosor, der neue israelisch­e Botschafte­r in Deutschlan­d, ist seit Sommer 2022 im Amt. Er war beim Fall der Berliner Mauer Mitarbeite­r der Botschaft – damals noch in Bonn – und häufig in den neuen Bundesländ­ern unterwegs. Er lobt den Aufbau Ost, schaut hoffnungsv­oll auf die Proteste im Iran und sagt, dass Israel mehr für die Ukraine tut, als allgemein wahrgenomm­en wird.

Am Freitag war Holocaust-Gedenktag. Sehen Sie einen wachsenden Antisemiti­smus in Deutschlan­d?

Ron Prosor: Deutschlan­d hat beim Antisemiti­smus, der von rechts kommt, eine klare Haltung und weiß auch, was man dagegen machen muss. Es gibt Einigkeit, dass man konsequent dagegen vorgehen muss – in der Öffentlich­keit, in den Medien, der Polizei und der Justiz. Das funktionie­rt gut. Der LinksAntis­emitismus hingegen ist problemati­scher. Er scheint zunehmend salonfähig zu werden. Nur ein Beispiel: die Documenta. Braucht man wirklich sieben Professore­n, um festzustel­len, dass die Darstellun­g eines Juden mit einer Hakennase, der mit einer Kippa auf einem Beutel Geld sitzt, antisemiti­sch ist? Oder das Bild eines Schweins mit einem Judenstern? Es gab viele akademisch­e Debatten über Kunst- und Kulturfrei­heit. Aber man muss sich doch mal anschauen, wer da mit wem debattiert. Es ist, als hätte man eine Debatte über Recht und Ordnung – und die Teilnehmer wären Jack the Ripper, Charles Manson und der Kannibale von Rotenburg. Man darf nicht zulassen, dass sich die Grenzen Stück für Stück verschiebe­n und der Links-Antisemiti­smus in der Mitte der Gesellscha­ft ankommt.

Hat sich der Antisemiti­smus in Deutschlan­d verfestigt?

Ich möchte es so sagen: Die Tatsache, dass im Jahr 2023 jede Synagoge,

jede jüdische Schule bewacht wird, dass Juden sich fürchten, mit Kippa auf die Straße zu gehen – das ist abnormal. Die Tatsache, dass wir das aber inzwischen als Normalität wahrnehmen, ist empörend.

Israel leistet humanitäre Unterstütz­ung in der Ukraine. Es gibt aber keine Militärhil­fe, obwohl Präsident Selenskyj, der auch jüdisch ist, Israel darum gebeten hat. Warum?

Ganz so einfach ist das nicht. Wir haben die Russen in Syrien. Wie Sie wissen, unterbinde­t die israelisch­e Armee regelmäßig Waffenlief­erungen aus dem Iran nach Syrien und Libanon. Darunter sind auch iranische Drohnen und Raketen, die Russland in der Ukraine einsetzt. Wir helfen also – allerdings hinter den Kulissen und deutlich mehr, als bekannt ist. Zudem haben wir eine große jüdische Gemeinde in Russland. Das sind die zwei Hauptgründ­e, aus denen wir uns bedeckt halten.

Im Iran gibt es einen Aufstand des Volkes gegen die eigene Regierung. Haben die Menschen eine Chance, das Regime zu stürzen?

Ich glaube, dieser Aufstand unterschei­det sich von den Aufständen davor, weil die junge Generation nicht unter diesen Mullahs und Ajatollahs leben will. Davon geht eine große Kraft aus. Ja, es gibt diese

Chance. Es wird nicht morgen passieren, denke ich. Aber die Veränderun­g wird von innen kommen. Davon geht eine große Hoffnung aus. Bekommt Iran eine andere Regierung, ändert sich alles – in der ganzen Region.

Der Iran reichert weiter Uran an. Wie weit ist das Regime von der Atombombe entfernt?

In zwei Bereichen sind die Iraner weit gekommen: Sie haben ausreichen­d Uran angereiche­rt. Und sie haben auch genug Raketen. Was ihnen

tatsächlic­h noch fehlt, sind die Sprengköpf­e. Wie lange es noch dauert, weiß ich nicht.

Israel hat eine äußerst rechte Regierung. Jetzt will die Koalition von Benjamin Netanjahu die Axt an die Justiz legen. Das Parlament soll Entscheidu­ngen des Obersten Gerichts überstimme­n können. Präsident Herzog spricht von „historisch­er Verfassung­skrise“. Wie konnte es dazu kommen?

Es gibt viele, die glauben, dass die Justiz Reformen braucht. Es gibt eine heftige Diskussion darüber, wie weitreiche­nd sie sein sollen. Nicht alles, was jetzt besprochen wird, wird auch umgesetzt. Aber die Diskussion darüber muss man aushalten.

In der israelisch­en Regierung sitzen radikale Politiker, die Homosexuel­le verachten, die mehr Geschlecht­ertrennung im öffentlich­en Raum wollen, die planen, den Siedlungsb­au in den besetzten Gebieten massiv auszubauen. Können Sie sich vorstellen, dass Nancy Faeser neben dem umstritten­en Sicherheit­sminister Itamar Ben-Gvir sitzt?

Diese Regierung ist demokratis­ch gewählt. Und nicht alles, was als Provokatio­n wahrgenomm­en wird, ist auch eine. Es lohnt sich, genau hinzuschau­en. Juden haben das Recht, genau wie Christen und

Moslems auf den Tempelberg zu gehen. Selbst den Tempelberg wollen sie nicht so nennen. Das ist für sie ein Zugeständn­is, dass die Juden eine historisch­e Verbindung zu Jerusalem haben. In internatio­nalen Foren setzen sie sich dafür ein, dass ihre Bezeichnun­g Haram al-Sharif ausschließ­lich offizielle­r Begriff ist.

Die Bundesregi­erung und die EU treten für eine Zwei-Staaten-Lösung ein. Ist das für diese israelisch­e Regierung noch denkbar?

Die Zwei-Staaten-Lösung ist nicht vom Tisch. Wird sie eingeforde­rt, wird aber selbstvers­tändlich ein jüdisch-demokratis­cher Staat verlangt. Die Forderung nach einem demokratis­chen palästinen­sischen Staat hört man kaum. Palästinen­serchef Mahmud Abbas könnte ja ein Zeichen setzen und ganz demokratis­ch mal wieder wählen lassen.

Israel hat am Freitag Raketen aus Gaza abgefangen und mit Luftangrif­fen geantworte­t. Wie ist die Lage?

Zuerst muss klargemach­t werden: Israel ist aus Gaza abgezogen, um nie wieder nach Gaza zurückzuke­hren. Wenn es Ruhe in Israel gibt, wird es Ruhe in Gaza geben. Wenn aber Hamas die israelisch­e Bevölkerun­g mit Raketen terrorisie­rt, dann hat Israel das Recht, sich zu verteidige­n. Hamas hat in Gaza einen Terrorstaa­t errichtet.

 ?? RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES ?? Setzt große Hoffnung in den Aufstand im Iran: Ron Prosor, israelisch­er Botschafte­r in Deutschlan­d.
RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES Setzt große Hoffnung in den Aufstand im Iran: Ron Prosor, israelisch­er Botschafte­r in Deutschlan­d.

Newspapers in German

Newspapers from Germany