Thüringische Landeszeitung (Jena)
Heilung durch Verzicht
Abwarten und Tee (ohne Zucker) trinken: wer das lange genug tut, mache irgendwann eine gute Figur, tönt es überall. Doch ist Abnehmen eigentlich nur ein netter Nebeneffekt des Fastens – wenn man bedenkt, was so eine bewusste Auszeit vom Essen sonst noch b
Fasten verjüngt
Um zu verstehen, warum das so ist, schauen wir uns erst mal dort um, wo das, was wir essen, landet. Nein, nicht an den Hüften: sondern im Darm.
Er ist das größte und stärkste Immunorgan des Menschen. Wenn wir dem Darm ständig Essen zuführen, hat er permanent zu tun, gönnen wir dem Darm ab und an seine Ruhe, entlasten wir ihn – und unser Körper kann die gewonnene Immunkraft woanders einsetzen. Selbstheilung ist das Zauberwort.
Und die geht bis in jede einzelne unserer Zellen: In ihnen stecken zwei Wachstumsmoleküle namens IGF-1 und mTor. Führen wir dem Körper Nahrung zu, füttern wir diese Moleküle gleich mit. Am liebsten mögen sie Glukose und Aminosäuren.
Das sind zwei Bestandteile, die in Kohlenhydraten und Fetten vorkommen. IGF-1 und mTor sind dafür zuständig, diese Substanzen ins Gewebe einzulagern, wodurch die Zellen ständig wachsen und sich vermehren. Mit jedem Bissen geben wir den Molekülen das Signal, ihren Job zu erledigen. Und Wachstum heißt in diesem Zusammenhang nichts anderes als Zellalterung. Wenn wir unsere Zellen nun für einen gewissen Zeitraum mal nicht mit Essen bombardieren, wird der Alterungsprozess eine Weile gestoppt.
Nahrungskarenz putzt die Zellen
Aber nicht nur das: Ist die Essenspause lang genug, starten die Zellen zudem ihr Selbstreinigungsprogramm. Beschädigte und unbrauchbare Zellkörperchen werden abgebaut und deren chemische Bestandteile als Brennstoff genutzt, um die Zelle in sich zu erneuern. Die Wissenschaft nennt diesen Vorgang Autophagie – „Upcycling“könnte man wohl auch dazu sagen. Der innerzelluläre Großputz reinigt unsere Zellen bis in die Tiefen.
Vorbeugen durch Selbstreinigung
Was aber heißt „bis in die Tiefen“? Die Ergebnisse der medizinischen Forschung lassen vermuten, dass entartete Gene oder bösartige Bakterien durch die zellinterne Müllabfuhr namens Autophagie direkt im Anfangsstadium abtransportiert werden. Und dabei sprechen wir nicht (nur) von möglichen kleinen Infektchen, sondern auch von Krebszellen im Frühstadium, neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson oder dem Typ-2-Diabetes. Krebs aushungern – das klingt genauso unglaublich wie unglaubwürdig. In der Wissenschaft wird über den Zusammenhang von Krebs und Autophagie kontrovers diskutiert.
Forscher der University of Chicago fanden heraus, dass dieser Prozess eine herausragende Rolle in der Krebsentstehung spielt. Wissenschaftler des National Center for Toxicological Research in Arkansas halten allerdings dagegen, dass die Autophagie das Wachstum von Krebszellen beschleunigen kann, wenn diese bereits im Körper bestehen.
Gesetzt hingegen ist der positive Effekt des Fastens für Menschen, die an Rheuma oder chronischen Schmerzen leiden, wenn es nach Andreas Michalsen, dem Chefarzt der Fachabteilung Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus in Berlin, geht. Er stellte fest, dass Fasten auf diese Patienten eine schmerzlindernde Wirkung hat.
So kommt es auch zum Gewichtsverlust
Aber was passiert sonst noch im Körper, wenn wir mal eine Weile nichts essen? Direkt nach der Mahlzeit zerlegt der Körper das zugeführte Essen in neue Bestandteile: Eiweiße werden zu Aminosäuren, Fett zu Fettsäuren und Kohlenhydrate zu Glukose umgewandelt. Diese Nährstoffe werden dann zur Energiegewinnung, zum Muskelaufbau oder zur Speicherung für magere Zeiten genutzt.
Glukose ist dabei die Hauptbrennstoffquelle unseres Körpers. Sie wird nach der Aufnahme entweder im Glykogenspeicher der Leber als kurzfristiger Energiespeicher angelegt oder langfristig im Fettgewebe als Energiedepot für magere Zeiten. Es dauert bis zu anderthalb nahrungsfreie Tage, bis der Glykogenspeicher der Leber komplett leer ist. In dieser Zeit sinkt der Blutzucker-Sollspiegel um rund 20 Prozent. Wenn nun in den Folgestunden nichts Neues an Essen nachkommt, muss sich der Körper seine Energie woanders herzaubern – und bedient sich seiner Fettreserven.
Stoffwechselgeheimnisse
Wenn wir nach dem Fasten wieder essen, ergibt es Sinn, darauf zu achten, wann wir welche Nahrungsmittel zu uns nehmen. Denn je nach Zeitpunkt werden bestimmte Lebensmittel unterschiedlich verstoffwechselt. So ist etwa bei Tagesanbruch unsere Insulinempfindlichkeit am höchsten.
Der Botenstoff Insulin ist als einziges Hormon in unserem Körper dafür zuständig, den Blutzuckerspiegel nach einer Mahlzeit zu senken und zu normalisieren. Morgens wirkt Insulin am besten – hier kann der Körper Kohlenhydrate gut verarbeiten. Im Laufe des Tages flacht die Wirkung des Insulins langsam ab, die Kontrolle des Blutzuckerspiegels dauert dadurch deutlich länger. Statt mit Käsesahnenudeln sollten wir uns daher abends eher mit einem leichten Gemüsepfännchen begnügen.
Der Selbstreinigungsmechanismus der Zellen erfolgt aber auch, wenn es zum Abendmahl einen Teller Pasta gab – sofern die sich daran anschließende Essenspause lang genug gehalten wird.
Wie lange ist lange genug?
Das Autophagie genannte Selbstreinigungsprogramm
wird aktiviert, wenn man 16 bis 20 Stunden gefastet hat – wie schnell oder langsam es tatsächlich losgeht, hängt damit zusammen, wie zügig die Glykogenspeicher geleert sind. Und das sind sie bei einer leichteren, bzw. kohlenhydratarmen Mahlzeit schneller als nach vielen Kohlenhydraten.
Richtig in Fahrt kommt das körpereigene Upcycling dann in einem Zeitraum von 48 bis 72 Stunden. Doch völlig egal, ob man täglich in Intervallen pausiert oder ab und an mal ein Extrem-Heilfasten betreibt: Die Kalorienzufuhr für einen gewissen Zeitraum zu drosseln stößt in jedem Fall gesundheitsfördernde Prozesse an. Ob Blutdruck, Zuckerspiegel, Entzündungsmarker – sie alle sinken bei jeglicher Form des Fastens. Je besser wir uns fühlen, desto aktiver fühlen sich auch unsere Zellen, wie Wissenschaftler von der Temple University in Philadelphia nun zudem bestätigten: Um ganze sieben Jahre verjüngen wir uns durchs Fasten. Sieben Jahre! Da könnte man fast sagen: Wer nicht fastet, der rostet.