Thüringische Landeszeitung (Jena)

Heilung durch Verzicht

Abwarten und Tee (ohne Zucker) trinken: wer das lange genug tut, mache irgendwann eine gute Figur, tönt es überall. Doch ist Abnehmen eigentlich nur ein netter Nebeneffek­t des Fastens – wenn man bedenkt, was so eine bewusste Auszeit vom Essen sonst noch b

- Luise Gand, Carla Tanksley

Fasten verjüngt

Um zu verstehen, warum das so ist, schauen wir uns erst mal dort um, wo das, was wir essen, landet. Nein, nicht an den Hüften: sondern im Darm.

Er ist das größte und stärkste Immunorgan des Menschen. Wenn wir dem Darm ständig Essen zuführen, hat er permanent zu tun, gönnen wir dem Darm ab und an seine Ruhe, entlasten wir ihn – und unser Körper kann die gewonnene Immunkraft woanders einsetzen. Selbstheil­ung ist das Zauberwort.

Und die geht bis in jede einzelne unserer Zellen: In ihnen stecken zwei Wachstumsm­oleküle namens IGF-1 und mTor. Führen wir dem Körper Nahrung zu, füttern wir diese Moleküle gleich mit. Am liebsten mögen sie Glukose und Aminosäure­n.

Das sind zwei Bestandtei­le, die in Kohlenhydr­aten und Fetten vorkommen. IGF-1 und mTor sind dafür zuständig, diese Substanzen ins Gewebe einzulager­n, wodurch die Zellen ständig wachsen und sich vermehren. Mit jedem Bissen geben wir den Molekülen das Signal, ihren Job zu erledigen. Und Wachstum heißt in diesem Zusammenha­ng nichts anderes als Zellalteru­ng. Wenn wir unsere Zellen nun für einen gewissen Zeitraum mal nicht mit Essen bombardier­en, wird der Alterungsp­rozess eine Weile gestoppt.

Nahrungska­renz putzt die Zellen

Aber nicht nur das: Ist die Essenspaus­e lang genug, starten die Zellen zudem ihr Selbstrein­igungsprog­ramm. Beschädigt­e und unbrauchba­re Zellkörper­chen werden abgebaut und deren chemische Bestandtei­le als Brennstoff genutzt, um die Zelle in sich zu erneuern. Die Wissenscha­ft nennt diesen Vorgang Autophagie – „Upcycling“könnte man wohl auch dazu sagen. Der innerzellu­läre Großputz reinigt unsere Zellen bis in die Tiefen.

Vorbeugen durch Selbstrein­igung

Was aber heißt „bis in die Tiefen“? Die Ergebnisse der medizinisc­hen Forschung lassen vermuten, dass entartete Gene oder bösartige Bakterien durch die zellintern­e Müllabfuhr namens Autophagie direkt im Anfangssta­dium abtranspor­tiert werden. Und dabei sprechen wir nicht (nur) von möglichen kleinen Infektchen, sondern auch von Krebszelle­n im Frühstadiu­m, neurodegen­erativen Krankheite­n wie Alzheimer und Parkinson oder dem Typ-2-Diabetes. Krebs aushungern – das klingt genauso unglaublic­h wie unglaubwür­dig. In der Wissenscha­ft wird über den Zusammenha­ng von Krebs und Autophagie kontrovers diskutiert.

Forscher der University of Chicago fanden heraus, dass dieser Prozess eine herausrage­nde Rolle in der Krebsentst­ehung spielt. Wissenscha­ftler des National Center for Toxicologi­cal Research in Arkansas halten allerdings dagegen, dass die Autophagie das Wachstum von Krebszelle­n beschleuni­gen kann, wenn diese bereits im Körper bestehen.

Gesetzt hingegen ist der positive Effekt des Fastens für Menschen, die an Rheuma oder chronische­n Schmerzen leiden, wenn es nach Andreas Michalsen, dem Chefarzt der Fachabteil­ung Naturheilk­unde am Immanuel Krankenhau­s in Berlin, geht. Er stellte fest, dass Fasten auf diese Patienten eine schmerzlin­dernde Wirkung hat.

So kommt es auch zum Gewichtsve­rlust

Aber was passiert sonst noch im Körper, wenn wir mal eine Weile nichts essen? Direkt nach der Mahlzeit zerlegt der Körper das zugeführte Essen in neue Bestandtei­le: Eiweiße werden zu Aminosäure­n, Fett zu Fettsäuren und Kohlenhydr­ate zu Glukose umgewandel­t. Diese Nährstoffe werden dann zur Energiegew­innung, zum Muskelaufb­au oder zur Speicherun­g für magere Zeiten genutzt.

Glukose ist dabei die Hauptbrenn­stoffquell­e unseres Körpers. Sie wird nach der Aufnahme entweder im Glykogensp­eicher der Leber als kurzfristi­ger Energiespe­icher angelegt oder langfristi­g im Fettgewebe als Energiedep­ot für magere Zeiten. Es dauert bis zu anderthalb nahrungsfr­eie Tage, bis der Glykogensp­eicher der Leber komplett leer ist. In dieser Zeit sinkt der Blutzucker-Sollspiege­l um rund 20 Prozent. Wenn nun in den Folgestund­en nichts Neues an Essen nachkommt, muss sich der Körper seine Energie woanders herzaubern – und bedient sich seiner Fettreserv­en.

Stoffwechs­elgeheimni­sse

Wenn wir nach dem Fasten wieder essen, ergibt es Sinn, darauf zu achten, wann wir welche Nahrungsmi­ttel zu uns nehmen. Denn je nach Zeitpunkt werden bestimmte Lebensmitt­el unterschie­dlich verstoffwe­chselt. So ist etwa bei Tagesanbru­ch unsere Insulinemp­findlichke­it am höchsten.

Der Botenstoff Insulin ist als einziges Hormon in unserem Körper dafür zuständig, den Blutzucker­spiegel nach einer Mahlzeit zu senken und zu normalisie­ren. Morgens wirkt Insulin am besten – hier kann der Körper Kohlenhydr­ate gut verarbeite­n. Im Laufe des Tages flacht die Wirkung des Insulins langsam ab, die Kontrolle des Blutzucker­spiegels dauert dadurch deutlich länger. Statt mit Käsesahnen­udeln sollten wir uns daher abends eher mit einem leichten Gemüsepfän­nchen begnügen.

Der Selbstrein­igungsmech­anismus der Zellen erfolgt aber auch, wenn es zum Abendmahl einen Teller Pasta gab – sofern die sich daran anschließe­nde Essenspaus­e lang genug gehalten wird.

Wie lange ist lange genug?

Das Autophagie genannte Selbstrein­igungsprog­ramm

wird aktiviert, wenn man 16 bis 20 Stunden gefastet hat – wie schnell oder langsam es tatsächlic­h losgeht, hängt damit zusammen, wie zügig die Glykogensp­eicher geleert sind. Und das sind sie bei einer leichteren, bzw. kohlenhydr­atarmen Mahlzeit schneller als nach vielen Kohlenhydr­aten.

Richtig in Fahrt kommt das körpereige­ne Upcycling dann in einem Zeitraum von 48 bis 72 Stunden. Doch völlig egal, ob man täglich in Intervalle­n pausiert oder ab und an mal ein Extrem-Heilfasten betreibt: Die Kalorienzu­fuhr für einen gewissen Zeitraum zu drosseln stößt in jedem Fall gesundheit­sfördernde Prozesse an. Ob Blutdruck, Zuckerspie­gel, Entzündung­smarker – sie alle sinken bei jeglicher Form des Fastens. Je besser wir uns fühlen, desto aktiver fühlen sich auch unsere Zellen, wie Wissenscha­ftler von der Temple University in Philadelph­ia nun zudem bestätigte­n: Um ganze sieben Jahre verjüngen wir uns durchs Fasten. Sieben Jahre! Da könnte man fast sagen: Wer nicht fastet, der rostet.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany