Thüringische Landeszeitung (Jena)
Die Heimkehrerin
Für Kugelstoßerin Chantal Rimke ist das Meeting in Nordhausen mehr als ein Wettkampf – es ist eine Reise gen Heimat
Ein paar Sprünge über Bänke, manchmal auch über Hürden und nicht selten in die Sandgrube – ganz unverbindlich, ganz leicht; eher Tollerei als Sport, aber stets mit Freude. Sehr viel Freude sogar…
Chantal Rimke kann sich noch lebhaft an alles erinnern; ihre Anfänge, ja, ihre ersten Schritte in der Welt der Leichtathletik sind ihr noch sehr geläufig. Damals, beim LV Altstadt 98 Nordhausen im zarten Alter von drei Jahren – die Bänke, die Hürden und natürlich die Sandgrube. Auf einmal ist die Vergangenheit für die 17-Jährige wieder sehr greifbar, sehr gegenwärtig – und das wird sie auch am Samstag sein, wenn die Kugelstoßerin des LC Jena in jene Stadt zurückkehrt, in der sie erstmals mit der Leichtathletik in Berührung kam: nach Nordhausen.
Die Kaderathletin, die im November zu Jenas Sportlerin des Jahres gekürt wurde, kommt von ganz allein auf ihren biografischen Bezug zu sprechen, wenn man sie nach dem Kugelstoß-Meeting in Nordhausen fragt – und eines wird beizeiten deutlich: Für Rimke ist es weitaus mehr als nur ein Wettkampf; für sie ist es vor allem eine Rückkehr zum Nullpunkt ihres Koordinatensystems, ihren Wurzeln, schließlich wuchs sie im ländlich geprägten Stadtteil Sundhausen im Süden der Kreisstadt auf. „Das ist noch mal etwas ganz anderes. Mich haben schon so viele Leute aus Nordhausen auf das Meeting angesprochen und mir gesagt, dass sie vorbeikommen wollen, um mich zu unterstützen. Für mich wiederum ist es eine große Ehre, in meiner Heimatstadt antreten zu dürfen.“
Seit nunmehr gut drei Jahren ist jedoch Jena ihr Lebensmittelpunkt. Der Wechsel an das hiesige Sportgymnasium sei damals ein großer Schritt für sie gewesen; anfangs habe sie sogar mit Heimweh zu kämpfen gehabt: „Es fiel mir alles andere als leicht, mein gewohntes Umfeld zu verlassen, denn ich bin ein totaler Familienmensch“, sagt Chantal Rimke, für die mit einem Schlag alle Zeichen auf Neuanfang in puncto Freunde und Anschluss standen – doch nach ein paar Wochen hatte sich das geklärt. Für ihre persönliche Entwicklung hingegen sei der
Schritt gen Saale äußerst förderlich gewesen, denn aufgrund des Lebens fernab des elterlichen Domizils sei sie schnell selbstständig geworden.
„Wenn ich jetzt einmal zu Hause bin, bringe ich mich von ganz allein ein und helfe meiner Mutter oder kümmere mich um meine kleine Schwester. Ich weiß nicht, ob ich diese Entwicklung genommen hätte, wenn ich in Nordhausen geblieben wäre“, sagt die Gymnasiastin, die in ihrer Freizeit gerne Liebesromane liest und ein Faible für Arztserien besitzt. Die letzte, die sie sah, war „The Good Doctor“.
Ihre Entwicklung in Sachen Leichtathletik nahm derweil in der Grundschule Gestalt an – die ersten Wettkämpfe, die ersten Erfolge. Naturgemäß widmete sie sich in jenen Tagen noch dem Mehrkampf; die Spezialisierung auf Werfen und Stoßen erfolgte später im Alter von elf, zwölf Jahren – und natürlich erinnert sich Chantal Rimke auch noch an ihren Trainer von einst: Jons Anhalt von der HSG Nordhausen.
Und was ist das Besondere am Kugelstoßen? „Es ist eine Disziplin, die oftmals unterschätzt wird und auch nicht sonderlich populär ist, aber wenn man sich einmal in sie hineingefunden und diesen Spagat aus Kraft und Technik verinnerlich hat, ist sie einfach nur faszinierend – und wer weiß, ob ich in einer anderen Disziplin so weit gekommen wäre“, sagt die Leichtathletin, die von Olympiasiegerin Petra Felke trainiert wird. Apropos Olympia, natürlich träume auch sie von der
Teilnahme an den Spielen. „Davon träumen doch alle Athleten“, sagte Chantal Rimke und lacht. Der nächste große Wettkampf, für den sie sich qualifizieren will, ist die Nachwuchs-Europameisterschaft Anfang August in Jerusalem. Auf das Meeting in Nordhausen blickt sie indes zuversichtlich, schließlich stieß sie am vergangenen Wochenende bei den U20-Landesmeisterschaften in Erfurt mit 14,49 Meter eine persönliche Bestleistung – und das mit der neuen Vier-KilogrammKugel. „Die Weite hat mich darin bestätigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Am Samstag will ich daran anknüpfen, doch ich will das Meeting entspannt angehen, will die Atmosphäre dort genießen.“
Ach ja, wenn man genau hinschaut, kann man am rechten Oberarm von Chantal Rimke ein dezentes Tattoo erkennen: eine Sonne. Seit dem vergangenen Sommer ziert es ihre Haut – und auch die ihrer Mutter, die es an der gleichen Stelle trägt. „Wir beide fanden das Motiv schön und wollten uns schon seit geraumer Zeit ein Tattoo stechen lassen – so ein Mutter-TochterDing halt.“