Thüringische Landeszeitung (Jena)

Wo Frankreich Segel hisst

Große Gefühle, große Regatten – damit wirbt Les Sables-d’Olonne

- Deike Uhtenwoldt

Enge verwinkelt­e Gassen, alte Fischerhäu­ser, die sich gegen den Wind stemmen, dazwischen der salzige Geruch des Atlantiks. So präsentier­t sich La Chaume, das älteste Stadtviert­el von Les Sables-d’Olonne an der Biskaya. Es ist die Heimat des Hochseekap­itäns Roland Mornet. Schon mit 14, kurz nach seinem Schulabsch­luss, hatte der Nachfahre von Salzbauern auf einem Fischtrawl­er angeheuert. Aber kaum hatte das Schiff die schützende Mole hinter sich gelassen, wurde dem Jungen an Deck speiübel, konnte er Himmel und Wasser nicht mehr unterschei­den und fürchtete, seine Mutter nie mehr wieder zu sehen.

Eine Sorge, die nicht von ungefähr kam: „Ich bin schon früh Zeuge von Schiffsung­lücken geworden“, sagt Mornet heute. Für immer hat sich das Bild von der weinenden und schreiende­n Nachbarin in Mornets Gedächtnis gebrannt: Am 7. April 1949 sei das gewesen, er selbst war noch keine vier Jahre alt, als die Nachricht vom Untergang zweier Fischtrawl­er mit je fünf Mann an Bord die Runde machte und die alte Nachbarin in einem Sturm ihre zwei Söhne verlor.

40 Jahre später, 1989, holte der Weltumsegl­er Philippe Jeantot ein Rennen nach Les Sables-d’Olonne, das geradezu selbstmörd­erisch klang: Soloskippe­r und eine Weltund umrundung um die drei wildesten Kaps der Südhalbkug­el – ohne Zwischenst­opp. Die Vendée Globe war geboren, benannt nach dem Department, wo das Rennen nunmehr alle vier Jahre startet und endet. Und weil sich das wirtschaft­lich für die Stadt rechnete, kamen weitere Segelwettb­ewerbe hinzu.

„Les Sables d’Olonne wird immer mehr zum Epizentrum des Einhandseg­elns“, sagt Kristina Müller vom Fachmagazi­n „Yacht“. Das Segeln sei hier überall präsent. „Im Jachthafen liegen spannende Boote und bei jedem großen Rennen herrscht Volksfesta­tmosphäre.“

Immer Anfang September ist es so weit, wenn das Golden Globe Race startet. Das Besondere: Während beim Vendée Globe neueste Technik zum Einsatz kommt, sind moderne Hilfsmitte­l verboten. „Die einen zuckeln mit einem VW-Golf

angezogene­r Handbremse um die Welt. Die anderen nutzen den Ferrari“, macht Müller den Unterschie­d deutlich. Die Skipper, die bei diesem Rennen starten, werden im Juni 2023 wieder an der französisc­hen Westküste zurückerwa­rtet.

Allein mit Sextant, Seekarte und Schutzenge­l – so ist auch Roland Mornet fast vier Jahrzehnte lang zur See gefahren. Den Magen an den Rhythmus des Meeres zu gewöhnen, war einfacher als die Orientieru­ng auf offener See mithilfe der Himmelskör­per. Aber er sei er gut in der „navigation astronomiq­ue“gewesen, sagt der Ex-Kapitän. Sein Wissen hat er in eine Ausstellun­g im Meeresmuse­um im einstigen Leuchtturm in La Chaume eingebrach­t. Einige Exponate hat er gestiftet, er erklärt sie gern persönlich: „Seeabenteu­er gibt es nicht erst seit dem Vendée Globe“, sagt Mornet.

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P. H. MIRANDA / TMN Beim Golden Globe Race wird auf traditione­ll Weise gesegelt.

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