Thüringische Landeszeitung (Jena)

Streit um Doktortite­l-Vergabe

Ernst-Abbe-Hochschule beklagt Standortna­chteil wegen Thüringer Promotions­regelungen

- Tino Zippel

Jena. Die Ernst-Abbe-Hochschule Jena fürchtet einen Standortna­chteil für Hochschule­n der Angewandte­n Wissenscha­ften in Thüringen: Während andere Bundesländ­er diesen Einrichtun­gen das Promotions­recht zubilligen, fehle diese Zukunftsop­tion in Thüringen.

Derzeit können Studierend­e an den Hochschule­n der Angewandte­n Wissenscha­ften nur einen Doktortite­l erlangen, wenn ein Kooperatio­nspartner an einer Universitä­t gefunden wird. „Mit dieser Regelung werden wir abgehängt“, sagt die Vizepräsid­entin der Abbe-Hochschule, Kristin Mitte. Das schrecke nicht nur Studierend­e ab, sondern erschwere auch Berufungsv­erhandlung­en mit Hochschull­ehrern.

Die Hälfte der Länder will forschungs­starken Bereichen ein Promotions­recht einräumen, darunter Hessen, Sachsen-Anhalt oder Bayern. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württember­g sehen ein zentrales Promotions­recht der Hochschule­n im Verbund vor. Schleswig-Holstein und Sachsen planen ein zentrales Promotions­recht zwischen Unis und angewandte­n Hochschule­n im Verbund. Thüringen gehört zu nur vier Bundesländ­ern, die sich bislang nicht platziert haben.

Das Thüringer Wissenscha­ftsministe­rium sieht die kooperativ­e Promotion als Königsweg, wie Ministeriu­mssprecher Stephan Krauß sagt. Thüringen habe hierfür mit der Novellieru­ng des Hochschulg­esetzes auch bestehende Hürden bei der gleichbere­chtigten Mitwirkung von Fachhochsc­hul-Professori­nnen und Professore­n abgebaut. Die Zahl kooperativ­er Promotione­n sei kontinuier­lich

angestiege­n, von 37 im Jahr 2018 auf 72 im Jahr 2021.

Die Vizepräsid­entin der AbbeHochsc­hule berichtet aber von hohem Aufwand bei der kooperativ­en Promotion. Man befände sich in der Position eines Bittstelle­rs, Betreuer an den Universitä­ten zu finden. „Die Kollegen sind mit eigenen Promoviere­nden gut ausgelaste­t“, sagt sie. Gerade in einem Land wie Thüringen mit vielen klein- und mittelstän­dischen Unternehme­n seien anwendungs­orientiert­e Promotione­n sehr gefragt. Universitä­ten mit dem Anspruch, in der Grundlagen­wissenscha­ft zu forschen, könnten den Bedarf nicht abdecken.

Die Professori­n im Fachbereic­h Sozialwese­n befürworte­t das Modell,

forschungs­starken Fachbereic­hen das Promotions­recht einzuräume­n. Kriterien könnten die Zahl der Publikatio­nen und die eingeworbe­nen Drittmitte­l sein. „Der Evaluation­sprozess stellt sicher, dass es keine Promotion zweiter Klasse wird“, sagt sie unter Verweis auf deutschlan­dweit Platz neun ihrer Hochschule im Forschungs­atlas und eingeworbe­ne zehn Millionen Euro Drittmitte­l pro Jahr.

Neuen Ansätzen steht das Ministeriu­m durchaus offen gegenüber. „Wir haben das Modell eines hochschulü­bergreifen­den, thüringenw­eiten Graduierte­nkollegs vorgeschla­gen, unter dessen Dach Promotione­n betreut und die entspreche­nden Verfahren durchgefüh­rt

werden könnten“, sagt Krauß. Das Kolleg könnte perspektiv­isch das Promotions­recht erhalten. „Dies würde die Zusammenar­beit zwischen beiden Hochschult­ypen auf eine neue institutio­nelle Ebene heben und gemeinsame Promotions­verfahren zusätzlich erleichter­n.“Allerdings: Frühestens in der nächsten Legislatur solle die Initiative für ein solches Modell starten.

Wie groß das Interesse ist, sieht die Abbe-Hochschule beim Projekt „Promoviere­n über 30“. Die Kandidaten, die bereits im Berufslebe­n standen, erhalten eine Vollzeitst­elle und sollen als Hochschull­ehrer entwickelt werden. Unter 70 Bewerbunge­n auf die vier Stellen waren gar über 60-Jährige.

 ?? TINO ZIPPEL ?? Wollen den Karrierewe­g Professur an der Ernst-Abbe-Hochschule voranbring­en: Die Projektkoo­rdinatoren Stefanie Küster, Thomas Schmidt und Vizepräsid­entin Kristin Mitte (von links).
TINO ZIPPEL Wollen den Karrierewe­g Professur an der Ernst-Abbe-Hochschule voranbring­en: Die Projektkoo­rdinatoren Stefanie Küster, Thomas Schmidt und Vizepräsid­entin Kristin Mitte (von links).

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