Thüringische Landeszeitung (Jena)
Tatnachweis bei mehreren Angeklagten schwierig
Herrenberg-Prozess: Kammer zieht gemischte Zwischenbilanz nach mutmaßlich rassistischem Angriff auf Männer aus Guinea
Die Bilanz fällt gemischt aus. Nach mehr als zwei Monaten Verhandlung könnte es für die 3. Strafkammer des Landgerichts Erfurt schwer werden, gegen alle zehn Angeklagten im sogenannten Herrenberg-Prozess den Beweis zu erbringen, dass sie an der Tat beteiligt waren. Das ließ der Vorsitzende Richter Holger Pröbstel am Mittwoch durchblicken und bezog sich auf eine intensive Vorabberatung der Berufsrichter – also ohne Schöffen – vor dem Verhandlungstag.
Im Herrenberg-Prozess werden neun Männer und eine Frau beschuldigt, im August 2020 zwei
Männer aus Guinea zum Teil schwer verletzt zu haben. Sie sollen die Männer auf der Wiese vor dem einstigen Stadtteilzentrum in der Erfurter Stielerstraße attackiert haben. In dem Objekt war lange der Verein „Neue Stärke“beheimatet, der der rechtsextremen Szene zugerechnet werden kann. Zum Teil haben auch die Angeklagten eine Vergangenheit und Gegenwart in der rechtsextremen Szene. Darunter ist beispielsweise ein ehemaliger Erfurter Stadtrat, der für die rechtsextreme NPD in dem Parlament saß, sich später aber anderen Kleinstparteien angeschlossen hat.
Sein Anwalt André Picker zieht derweil insbesondere die Ermittmit lungsarbeit der Thüringer Polizei in Zweifel. So sei eine Wahllichtbildvorlage nicht so erfolgt, dass sie Beweiskraft habe. Picker moniert, dass die Auswahl der Bilder so erfolgt sei, dass der Zeuge durch verschiedene Umstände das Bild seines Mandanten als das des Verdächtigen identifizieren konnte. Die Lichtbildvorlage – eine Art Gegenüberstellung nur
Fotos – wurde am Verhandlungstag gezeigt. Tatsächlich war das Bild, das den Angeklagten zeigte, dunkler als andere und auf der Kleidung des Angeklagten war ein Symbol zu erkennen, während das bei den anderen Fotos nicht der Fall war.
Schwierig wird für die Kammer beispielsweise auch die Beweisführung bei der einzigen angeklagten Frau. Sie soll nach einer Zeugenaussage die Opfer beleidigt, an der Körperverletzung aber nicht mitgewirkt haben. Hinweise darauf, dass sie beteiligt war, liegen der Kammer zum derzeitigen Stand des Prozesses nicht vor. Beleidigung wiederum ist gar nicht angeklagt.
Einen anderen Angeklagten hatte die Polizei bei der Sicherung des Tatortes seinerzeit in der Nähe des Objektes angetroffen. Auf einem Video, das im Gerichtssaal gezeigt wurde, sei er auch zu sehen gewesen, wie er als Letzter die Terrasse des Stadtteilzentrums verlassen hatte – ob er bei der Körperverletzung tatsächlich dabei war? Das wird von seiner Verteidigung in Zweifel gezogen; zumal er ungefähr drei Promille hatte in jener Nacht. Was bliebe, so Verteidiger Andreas Wölfel, sei allenfalls „fahrlässiger Vollrausch“.
Der Prozess ist bis Ende März terminiert und wird in zwei Wochen fortgesetzt.