Thüringische Landeszeitung (Jena)
Nachwuchsforscher werden Jungunternehmer
Einblick in die Gründerszene im Osten: Ein Streifzug, der im Optical Valley in Jena beginnt
Jena. Wer im Internet nach „Gründen im Osten“sucht, findet zunächst wenig Erbauliches wie Hinweise auf zu wenige Gründungswillige, und die Überalterung. Statistisch mag das sein, jedoch verdecken die Zahlen viel. Denn in meinem Alltag erlebe ich anderes, nämlich: Gründerinnen und Gründer, die klare Vorstellungen entwickeln und sie sehr erfolgreich umsetzen. Fangen wir mit der Stadt an, die mir nahe ist und die als eines der zehn wichtigsten deutschen Startup-Zentren gilt: Jena.
Der Erfolg Jenas basiert allgemein betrachtet auf drei Namen: Zeiss, Schott, Abbe. Es waren der Mut, der Tatendrang und das Engagement von drei Gründern und Unternehmern: dem Weimarer Feinmechaniker Carl Zeiss, dem Chemiker und Glastechniker Otto Schott und dem Physiker Ernst Abbe, einem herausragenden Wissenschaftler, der als weitsichtiger Unternehmer zum Sozialreformer wurde.
Der unternehmerische Geist der heutigen Generation
Es begann 1846, als Zeiss seine Werkstatt in Jena gründete. Dieser unternehmerische Geist lebt bis heute fort, getragen von der heutigen Generation. Ihre Namen sind etwa Reinlein, Rothleitner & Eckhardt, Beier. Auch sie stammen meist aus der Region. Auch sie verbinden wissenschaftliche Expertise mit der Kraft, diese Expertise in Produktund Servicelösungen am Markt umzusetzen. Dabei profitieren sie von der immensen Wissenstiefe aus über 175 Jahren Forschung und Anwendung in der Region. Zudem erscheint Jena heute wie ein Katalysator. Das Tal zieht innovative Leute an, die das Wissen aufsaugen, weiterentwickeln und mit neuen Ideen als vielversprechende Start-ups in Jena oder in Thüringen Fuß fassen. Ein Streifzug durch das heutige Jena und Unternehmen, die sich in den letzten Jahren der Unsicherheit auf den Weg machten.
Da wäre die Robust AO GmbH, die den Zwobbel baut, ein Bauteil, das die Effizienz in der Lasermaterialbearbeitung steiget. 2021 von Claudia Reinlein gegründet, die in Erfurt geboren ist, an der TU Ilmenau Ingenieurwissenschaften studiert und später in Jena promoviert. Parallel Mitarbeiterin und später Gruppenleiterin am Fraunhofer IOF, bevor sie mit dem Exist-Gründerstipendium an der FriedrichSchiller-Universität
Jena die Gründung vorbereitet. 2021: Gründerpreis Thüringen.
Die IDloop GmbH besteht aus einem vierköpfigen Gründerteam aus Physikern und Software-Entwicklern. Geschäftsführer und Treiber ist Jörg Reinhold, der aus Jena stammt, dessen Vater bei Zeiss in Leitungsfunktionen tätig war und als Mentor fungiert. Ihre Firma hebt die 3D-Bildgebungstechnologie auf eine neue Stufe für eine berührungslose biometrische Identifizierung, die nicht nur sicher, sondern auch bequem ist. Dabei holten sie die Docter Optics SE aus Neustadt an der Orla als strategischen Ankerinvestor an Bord. Im ersten Jahr ihres Bestehens präsentieren sie ihre Lösungen auf Konferenzen in aller Welt.
Das Ziel der Spaceoptix GmbH: ihren Teil zur Erschließung des Weltalls im „New Space“-Markt beizutragen, indem sie die Technologie auf industrielle Maßstäbe skalieren und so langfristig in Thüringen halten. Dabei bauen sie auf 20 Jahren Forschung am Fraunhofer IOF auf. Start im März 2020, zu Beginn der Pandemie. Die Gründer – alle aus der Region: Matthias Beier, Ingenieur Marcel Hornaff sowie Maschinenbautechniker
Mathias Schulz und Industriemeister André Urbich. Initiator und Geschäftsführer Beier stammt aus Sachsen-Anhalt, Ingenieurstudium an der TU Dresden mit Auslandsaufenthalt in Spanien. Zur Diplomarbeit ans Fraunhofer IOF nach Jena. Später dort Promotion an der FSU. Zwischenzeitlich zieht es ihn zu Zeiss.
Einer ihrer Prototypen fliegt auf der internationalen Raumstation
Nun mit eigenem Fertigungsstandort in Isseroda im Weimarer Land. Einer ihrer Prototypen fliegt auf der internationalen Raumstation (ISS), Ergebnis einer mehrfachen Kooperation. Sie gewinnen viele Preise, so waren sie Sechster der TOP 50Start-ups im Jahre 2020. Und sie nutzen die exzellenten Möglichkeiten vor Ort, gewinnen ein Budget beim „getstarted2gether“-Wettbewerb des FTVT-Vereins, das sie für die Prototypenentwicklung mit dem GFE-Institut einsetzen. So werden aus Forschenden Unternehmer.
Zur gleichen Zeit startet die Polytives GmbH: Seit 2014 forscht der Chemiker Oliver Eckhardt aus Südthüringen an der FSU Jena über Kunststoff-Additive und ahnt, dass
sich mehr damit machen lässt. 2017 lernt er, im Rahmen eines TransferSeminars an der FSU, die BWL-Studentin Victoria Rothleitner kennen. Im März 2020 gründen die beiden. Mit ihrem Verfahren können bei der Herstellung von Kunststoffgranulat 30 Prozent Energie eingespart werden, zudem ohne toxische Zusatzstoffe. Nachhaltig und gesundheitlich unbedenklich. Im Moment arbeiten sie eng mit dem Thüringischem Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung (TITK) in Rudolstadt zusammen. In der Stadt saaleaufwärts ist auch der Aufbau der eigenen Fertigung geplant. Jena strahlt ins Umland aus.
Mitgründer und Geschäftsführer der Quantum Optics Jena GmbH sind Oliver de Vries und Kevin Füchsel, der aus der Nähe von Arnstadt stammt, Physik in Jena studiert und dort promoviert. Er ist bei mehreren Businessplan-Wettbewerben erfolgreich, leitet aber zunächst mehrere Jahre die Abteilung für Strategie und Geschäftsentwicklung am Fraunhofer IOF. 2020 gründet er sich dort mit de Vries aus, um Lösungen zu entwickeln und anzubieten, die Cyber-Sicherheit auch im Zeitalter des Quantencomputers gewährleisten.
OpenUC2: René Lachmann stammt aus einer Familie von Naturwissenschaftlern, auch sein Bruder ist Physiker. Nun gründet er mit Benedict Diederich eine Firma, um ihre Idee eines optischen Baukastens umzusetzen. Mit den Modulen lassen sich leistungsfähige Mikroskope leicht bauen, beispielsweise für Schulen. Entwickelt haben sie die Idee am Leibniz-IPHT. Im Sommer 2022: Gründungspreis der Leibniz-Gemeinschaft. Aufmerksamkeit erregten sie auch international, so im Silicon Valley in Stanford und an der Universität Cambridge.
Endoskopie-Technologie in ein marktreifes Produkt überführen
Grenzübergreifende und interdisziplinäre Kooperation zeichnet auch das DeepEn-Team um Sergey Turtaev, Patrick Westermann, Jiri Hofbrucker und Hana Čižmárová aus, ebenfalls vom Leibniz-IPHT. Patrick Westermann ist der einzige Jenaer und BWLer im Team. Sie wollen die am Institut in einer internationalen Kooperation entwickelte Endoskopie-Technologie in ein marktreifes Produkt überführen. Sie werden über das Programm Exist-Forschungstransfer finanziert, das in einem Jahr die Gründung vorsieht.
Dieser kleine Streifzug zeigt: Eine neue Generation von Gründerinnen und Gründern ist aktiv, mit großem Esprit, mit dem Mut, anzupacken, und der Kraft, Technologien in marktfähige Lösungen umzusetzen. Unternehmerisch werden sie die Region im 21. Jahrhundert erfolgreich gestalten. Die Wege sind individuell, doch sie alle eint: Sie machen es, um mit ihren Unternehmen und in ihrem Leben auf eigenen Beinen zu stehen. Viele kommen aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Sie sind beste Beispiele für das „German Engineering“, das den Markenkern des „Made in Germany“bildet.
Sebastian Händschke, Jahrgang 1979. Studium in Erfurt, Berkeley und London, Promotion in Jena. Dort Leiter des Inkubators „Digital Innovation Hub Photonics“(DIHP). An der Bauhaus-Universität Weimar forscht und lehrt er zu Technologietransfer und Unternehmertum.
Anmerkung: Dieser Text basiert auf einer Fassung, die für den Bericht des Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland 2022 entstanden ist. Link: dserver.bundestag.de/ btd/20/037/2003700.pdf