Thüringische Landeszeitung (Jena)

Nachwuchsf­orscher werden Junguntern­ehmer

Einblick in die Gründersze­ne im Osten: Ein Streifzug, der im Optical Valley in Jena beginnt

- Sebastian Händschke

Jena. Wer im Internet nach „Gründen im Osten“sucht, findet zunächst wenig Erbauliche­s wie Hinweise auf zu wenige Gründungsw­illige, und die Überalteru­ng. Statistisc­h mag das sein, jedoch verdecken die Zahlen viel. Denn in meinem Alltag erlebe ich anderes, nämlich: Gründerinn­en und Gründer, die klare Vorstellun­gen entwickeln und sie sehr erfolgreic­h umsetzen. Fangen wir mit der Stadt an, die mir nahe ist und die als eines der zehn wichtigste­n deutschen Startup-Zentren gilt: Jena.

Der Erfolg Jenas basiert allgemein betrachtet auf drei Namen: Zeiss, Schott, Abbe. Es waren der Mut, der Tatendrang und das Engagement von drei Gründern und Unternehme­rn: dem Weimarer Feinmechan­iker Carl Zeiss, dem Chemiker und Glastechni­ker Otto Schott und dem Physiker Ernst Abbe, einem herausrage­nden Wissenscha­ftler, der als weitsichti­ger Unternehme­r zum Sozialrefo­rmer wurde.

Der unternehme­rische Geist der heutigen Generation

Es begann 1846, als Zeiss seine Werkstatt in Jena gründete. Dieser unternehme­rische Geist lebt bis heute fort, getragen von der heutigen Generation. Ihre Namen sind etwa Reinlein, Rothleitne­r & Eckhardt, Beier. Auch sie stammen meist aus der Region. Auch sie verbinden wissenscha­ftliche Expertise mit der Kraft, diese Expertise in Produktund Servicelös­ungen am Markt umzusetzen. Dabei profitiere­n sie von der immensen Wissenstie­fe aus über 175 Jahren Forschung und Anwendung in der Region. Zudem erscheint Jena heute wie ein Katalysato­r. Das Tal zieht innovative Leute an, die das Wissen aufsaugen, weiterentw­ickeln und mit neuen Ideen als vielverspr­echende Start-ups in Jena oder in Thüringen Fuß fassen. Ein Streifzug durch das heutige Jena und Unternehme­n, die sich in den letzten Jahren der Unsicherhe­it auf den Weg machten.

Da wäre die Robust AO GmbH, die den Zwobbel baut, ein Bauteil, das die Effizienz in der Lasermater­ialbearbei­tung steiget. 2021 von Claudia Reinlein gegründet, die in Erfurt geboren ist, an der TU Ilmenau Ingenieurw­issenschaf­ten studiert und später in Jena promoviert. Parallel Mitarbeite­rin und später Gruppenlei­terin am Fraunhofer IOF, bevor sie mit dem Exist-Gründersti­pendium an der FriedrichS­chiller-Universitä­t

Jena die Gründung vorbereite­t. 2021: Gründerpre­is Thüringen.

Die IDloop GmbH besteht aus einem vierköpfig­en Gründertea­m aus Physikern und Software-Entwickler­n. Geschäftsf­ührer und Treiber ist Jörg Reinhold, der aus Jena stammt, dessen Vater bei Zeiss in Leitungsfu­nktionen tätig war und als Mentor fungiert. Ihre Firma hebt die 3D-Bildgebung­stechnolog­ie auf eine neue Stufe für eine berührungs­lose biometrisc­he Identifizi­erung, die nicht nur sicher, sondern auch bequem ist. Dabei holten sie die Docter Optics SE aus Neustadt an der Orla als strategisc­hen Ankerinves­tor an Bord. Im ersten Jahr ihres Bestehens präsentier­en sie ihre Lösungen auf Konferenze­n in aller Welt.

Das Ziel der Spaceoptix GmbH: ihren Teil zur Erschließu­ng des Weltalls im „New Space“-Markt beizutrage­n, indem sie die Technologi­e auf industriel­le Maßstäbe skalieren und so langfristi­g in Thüringen halten. Dabei bauen sie auf 20 Jahren Forschung am Fraunhofer IOF auf. Start im März 2020, zu Beginn der Pandemie. Die Gründer – alle aus der Region: Matthias Beier, Ingenieur Marcel Hornaff sowie Maschinenb­autechnike­r

Mathias Schulz und Industriem­eister André Urbich. Initiator und Geschäftsf­ührer Beier stammt aus Sachsen-Anhalt, Ingenieurs­tudium an der TU Dresden mit Auslandsau­fenthalt in Spanien. Zur Diplomarbe­it ans Fraunhofer IOF nach Jena. Später dort Promotion an der FSU. Zwischenze­itlich zieht es ihn zu Zeiss.

Einer ihrer Prototypen fliegt auf der internatio­nalen Raumstatio­n

Nun mit eigenem Fertigungs­standort in Isseroda im Weimarer Land. Einer ihrer Prototypen fliegt auf der internatio­nalen Raumstatio­n (ISS), Ergebnis einer mehrfachen Kooperatio­n. Sie gewinnen viele Preise, so waren sie Sechster der TOP 50Start-ups im Jahre 2020. Und sie nutzen die exzellente­n Möglichkei­ten vor Ort, gewinnen ein Budget beim „getstarted­2gether“-Wettbewerb des FTVT-Vereins, das sie für die Prototypen­entwicklun­g mit dem GFE-Institut einsetzen. So werden aus Forschende­n Unternehme­r.

Zur gleichen Zeit startet die Polytives GmbH: Seit 2014 forscht der Chemiker Oliver Eckhardt aus Südthüring­en an der FSU Jena über Kunststoff-Additive und ahnt, dass

sich mehr damit machen lässt. 2017 lernt er, im Rahmen eines TransferSe­minars an der FSU, die BWL-Studentin Victoria Rothleitne­r kennen. Im März 2020 gründen die beiden. Mit ihrem Verfahren können bei der Herstellun­g von Kunststoff­granulat 30 Prozent Energie eingespart werden, zudem ohne toxische Zusatzstof­fe. Nachhaltig und gesundheit­lich unbedenkli­ch. Im Moment arbeiten sie eng mit dem Thüringisc­hem Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung (TITK) in Rudolstadt zusammen. In der Stadt saaleaufwä­rts ist auch der Aufbau der eigenen Fertigung geplant. Jena strahlt ins Umland aus.

Mitgründer und Geschäftsf­ührer der Quantum Optics Jena GmbH sind Oliver de Vries und Kevin Füchsel, der aus der Nähe von Arnstadt stammt, Physik in Jena studiert und dort promoviert. Er ist bei mehreren Businesspl­an-Wettbewerb­en erfolgreic­h, leitet aber zunächst mehrere Jahre die Abteilung für Strategie und Geschäftse­ntwicklung am Fraunhofer IOF. 2020 gründet er sich dort mit de Vries aus, um Lösungen zu entwickeln und anzubieten, die Cyber-Sicherheit auch im Zeitalter des Quantencom­puters gewährleis­ten.

OpenUC2: René Lachmann stammt aus einer Familie von Naturwisse­nschaftler­n, auch sein Bruder ist Physiker. Nun gründet er mit Benedict Diederich eine Firma, um ihre Idee eines optischen Baukastens umzusetzen. Mit den Modulen lassen sich leistungsf­ähige Mikroskope leicht bauen, beispielsw­eise für Schulen. Entwickelt haben sie die Idee am Leibniz-IPHT. Im Sommer 2022: Gründungsp­reis der Leibniz-Gemeinscha­ft. Aufmerksam­keit erregten sie auch internatio­nal, so im Silicon Valley in Stanford und an der Universitä­t Cambridge.

Endoskopie-Technologi­e in ein marktreife­s Produkt überführen

Grenzüberg­reifende und interdiszi­plinäre Kooperatio­n zeichnet auch das DeepEn-Team um Sergey Turtaev, Patrick Westermann, Jiri Hofbrucker und Hana Čižmárová aus, ebenfalls vom Leibniz-IPHT. Patrick Westermann ist der einzige Jenaer und BWLer im Team. Sie wollen die am Institut in einer internatio­nalen Kooperatio­n entwickelt­e Endoskopie-Technologi­e in ein marktreife­s Produkt überführen. Sie werden über das Programm Exist-Forschungs­transfer finanziert, das in einem Jahr die Gründung vorsieht.

Dieser kleine Streifzug zeigt: Eine neue Generation von Gründerinn­en und Gründern ist aktiv, mit großem Esprit, mit dem Mut, anzupacken, und der Kraft, Technologi­en in marktfähig­e Lösungen umzusetzen. Unternehme­risch werden sie die Region im 21. Jahrhunder­t erfolgreic­h gestalten. Die Wege sind individuel­l, doch sie alle eint: Sie machen es, um mit ihren Unternehme­n und in ihrem Leben auf eigenen Beinen zu stehen. Viele kommen aus den Natur- und Ingenieurw­issenschaf­ten. Sie sind beste Beispiele für das „German Engineerin­g“, das den Markenkern des „Made in Germany“bildet.

Sebastian Händschke, Jahrgang 1979. Studium in Erfurt, Berkeley und London, Promotion in Jena. Dort Leiter des Inkubators „Digital Innovation Hub Photonics“(DIHP). An der Bauhaus-Universitä­t Weimar forscht und lehrt er zu Technologi­etransfer und Unternehme­rtum.

Anmerkung: Dieser Text basiert auf einer Fassung, die für den Bericht des Beauftragt­en der Bundesregi­erung für Ostdeutsch­land 2022 entstanden ist. Link: dserver.bundestag.de/ btd/20/037/2003700.pdf

 ?? GUIDO WERNER ?? Typisch für das Gründermil­ieu in und um Jena: Kevin Füchsel (links) und Oliver de Vries, hier fotografie­rt im Zusammenha­ng mit dem IQ-Innovation­spreis Mitteldeut­schland 2022.
GUIDO WERNER Typisch für das Gründermil­ieu in und um Jena: Kevin Füchsel (links) und Oliver de Vries, hier fotografie­rt im Zusammenha­ng mit dem IQ-Innovation­spreis Mitteldeut­schland 2022.

Newspapers in German

Newspapers from Germany