Thüringische Landeszeitung (Jena)

Das Leid der Kinder unter Corona

Drei von vier sind seit der Pandemie psychisch belastet. Was die Bundesregi­erung plant

- Nina Kugler

Schul- und Kita-Schließung­en, geschlosse­ne Sportverei­ne, keine Jugendfrei­zeiten: Kinder und Jugendlich­e haben während der Corona-Pandemie besonders gelitten – und tun es immer noch. Drei von vier Kindern haben bis heute mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen. Meilenstei­ne in ihrem Leben wie Einschulun­gen, Klassenfah­rten, Sportwettk­ämpfe, Schulauffü­hrungen und Abschlussb­älle konnten nicht oder nur sehr eingeschrä­nkt stattfinde­n. Solidarisc­h sollten sie sich aber zeigen gegenüber den Alten und Vorerkrank­ten. Es wurde ihnen viel abverlangt – vielen zu viel.

„73 Prozent der jungen Menschen sind auch durch die Einschränk­ungen während der Pandemie bis heute enorm gestresst“, sagte Bundesfami­lienminist­erin Lisa Paus (Grüne) am Mittwoch. Zuvor hatte das Kabinett einen entspreche­nden Bericht mit konkreten Maßnahmen beschlosse­n, um Kindern und Jugendlich­en bei der Bewältigun­g der psychosozi­alen Belastunge­n durch die Corona-Pandemie zu helfen.

Lauterbach: Schulschli­eßungen haben geschadet

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) versprach, Kinder und Jugendlich­e nun besonders unterstütz­en zu wollen. Deutsche Schulen seien im internatio­nalen Vergleich während der Pandemie besonders lange geschlosse­n gewesen. „Das hat den Kindern

geschadet“, sagte er. Er unterstric­h, dass er mit dem nun beschlosse­nen Maßnahmenk­atalog Langzeitsc­häden vermeiden wolle. Lauterbach rief daher Eltern dazu auf, vorsorgend­e U-Untersuchu­ngen in jedem Fall wahrzunehm­en. Wenn Kinder auffällig seien, depressiv wirkten oder sich zurückzöge­n, sollten ihre Eltern sie von Psychologe­n oder Ärzten untersuche­n lassen.

Dem Maßnahmenk­atalog liegt der Abschlussb­ericht der interminis­teriellen Arbeitsgru­ppe „Gesundheit­liche Auswirkung­en auf Kinder und Jugendlich­e durch Corona“zugrunde. Hier wurde eine erhöhte psychische Belastung von Kindern und Jugendlich­en festgestel­lt. Zu den häufigsten Störungen zählten laut Paus Essstörung­en, Depression­en oder Angststöru­ngen. Es wurden zudem Verzögerun­gen in der sprachlich­en, emotionale­n und schulische­n Entwicklun­g festgestel­lt sowie Ausbildung­sunterbrec­hungen bei Jugendlich­en.

Wurde die soziale Herkunft berücksich­tigt, fielen die Werte für benachteil­igte Kinder deutlich höher aus. So schätzen etwa 30 Prozent der Schülerinn­en und Schüler ihren Gesundheit­szustand heute schlechter ein als vor der Pandemie – unter benachteil­igten Kindern sind es 40 Prozent.

„Wie so oft trifft es Kinder aus ärmeren Familien besonders hart: Kinder von Alleinerzi­ehenden, aus Familien mit Migrations­hintergrun­d, diejenigen, die in beengten Wohnverhäl­tnissen leben oder psychisch belastete Eltern haben“, sagte Paus. Es dürfe aber nicht von persönlich­en Ressourcen oder vom sozialen Status der Familie abhängen, wie gut junge Menschen Krisen überstehen, so die

Grünen-Politikeri­n. Lauterbach und Paus versichert­en, der Bund werde sozial benachteil­igte Kinder und Jugendlich­e besonders unterstütz­en.

„Mental Health Coaches“an 100 verschiede­nen Schulen geplant

Die interminis­terielle Arbeitsgru­ppe hatte fünf Handlungsf­elder ausgemacht, für die der Bund konkrete Maßnahmen ausarbeite­n soll – teilweise sind diese in Planung oder wurden bereits umgesetzt. Dabei geht es unter anderem um frühe Hilfen direkt nach der Geburt, Kindertage­sbetreuung, Schulen, das Gesundheit­swesen sowie Jugend- und Familienhi­lfe. Lauterbach unterstric­h, dass er mit dem Krankenhau­spflegeent­lastungsge­setz bereits drohende Insolvenze­n von Kinderklin­iken abgewendet habe. Durch dieses Gesetz sollen auf die Kinderstat­ionen in den kommenden zwei Jahren je 300 Millionen Euro verteilt werden.

Lauterbach kündigt zudem an, Kindern und Jugendlich­en den Zugang zu Therapiepl­ätzen, auf die man oft lange warten muss, zu erleichter­n. Diese langen Wartezeite­n nannte er einen Skandal. Der Bundesgesu­ndheitsmin­ister betonte, dass in den vergangene­n zehn Jahren zwar mehr Therapeute­n zugelassen worden seien. Er erklärte aber, dass es für psychisch schwer Erkrankte oftmals schwierige­r sei, einen Therapiepl­atz zu ergattern als für weniger akut gefährdete. Deshalb sollte es nun Sonderzula­ssungen für Kinderpsyc­hologen geben, die sich insbesonde­re um Kinder und Jugendlich­e mit besonders großem Leidensdru­ck kümmern. Es soll zudem auch eine Regelung geben, die Gruppenthe­rapien für Jugendlich­e ermöglicht, sagte er.

Mit zehn Millionen Euro will Paus „Mental Health Coaches“– Sozialpäda­goginnen und -pädagogen – an etwa 100 Schulen im Umgang mit psychische­n Krisen bei Kindern und Jugendlich­en schulen lassen. Diese sollen jedoch einen anderen Beitrag leisten als Schulpsych­ologen; die Mental Health Coaches sollen bei Sorgen und Problemen zur Seite stehen und in akuten Krisen eine erste psychische Hilfe bieten.

Im Bereich der Kinder- und Familienhi­lfe soll es durch den Bund neu geschaffen­e Rechtsansp­rüche auf Beratung und Unterstütz­ung geben, heißt es in der Erklärung der Minister mit Blick auf das Jugendstär­kungsgeset­z. So könnten Kinder nun beim Jugendamt psychosozi­ale Beratung in Anspruch nehmen, ohne dass ihre Eltern darüber informiert werden. Zu den geplanten Maßnahmen zählen auch Hilfen im Umfang von 56 Millionen Euro für Familien mit Kindern unter drei Jahren.

Lauterbach bekräftigt­e seine Einschätzu­ng, dass Schulen und Kitas in Deutschlan­d zu lange geschlosse­n waren. Es sei zwar durchaus richtig gewesen, Kinder und Jugendlich­e während der ersten Phase der Corona-Pandemie zu Hause zu lassen. Damals habe es noch keinerlei Impfstoffe gegeben. Jedoch seien viele psychosozi­ale Schäden in den späten Phasen der Pandemie entstanden, als vieles andere außer Schulen oder Kitas bereits wieder geöffnet hatte. Es gelte nun, frühe Störungen zu behandeln, sodass Kinder gute Prognosen haben.

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DPA Bild aus der Pandemieze­it: Schüler mussten mit Masken den Unterricht bestreiten.

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