Thüringische Landeszeitung (Jena)
Selenskyj auf Europatour zu Scholz, Macron und König Charles
Spektakuläre Reise des ukrainischen Präsidenten nach London, Paris und Brüssel. Dort wirbt er für weitere Lieferungen von modernen, schweren Waffen
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will mit einer überraschenden Europareise seine Forderung nach neuer Waffenhilfe des Westens unterstreichen. Selenskyj besuchte am Mittwoch zunächst Großbritannien und wurde dort auch von König Charles III. empfangen, am Abend wurde der Präsident in Paris zu einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron erwartet. Am Donnerstag ist offenbar ein Treffen mit den Staatsund Regierungschefs der EU beim Gipfel in Brüssel geplant.
Es ist das erste Mal seit dem russischen Überfall auf die Ukraine vor knapp einem Jahr, dass der ukrainische Präsident Westeuropa besucht – und überhaupt das zweite Mal, dass er sein Land für eine Auslandsreise verlässt, das erste Mal führte ihn im Dezember die Reise nach Washington.
Frühere Sicherheitsbedenken sind nicht geschwunden, wie die strikte Geheimhaltung der Reisepläne zeigt, doch gilt das Risiko inzwischen als kalkulierbar. Allerdings: Weil die beabsichtigte Weiterreise zum EU-Gipfel vorab durchgesickert war, ist der genaue Verlauf dieses Treffens am Donnerstag noch unklar.
Selenskyjs Botschaft ist klar: Die Ukraine benötigt dringend weitere moderne, schwere Waffen von den westlichen Partnern. Bei einer Rede vor dem britischen Parlament in London forderte Selenskyj, wie gewohnt im olivgrünen Pullover, erneut die Lieferung von westlichen Kampfflugzeugen: „Ich richte an Sie und die Welt den Appell ... für Kampfflugzeuge für die Ukraine, Flügel für die Freiheit“, sagte Selenskyj in Westminster Hall vor Mitgliedern beider Kammern des Parlaments. „Danke im Voraus – für leistungsfähige englische Flugzeuge.“Dem Sprecher des Unterhauses, Sir Lindsay Hoyle, überreichte Selenskyj den Helm eines ukrainischen
Kampfpiloten mit der Aufschrift: „Wir haben die Freiheit. Gebt uns Flügel, sie zu beschützen.“
Selenskyj war erst kurz zuvor am Vormittag am Flughafen Stansted im Londoner Nordosten in einer Maschine der Royal Air Force gelandet und vom britischen Premierminister Rishi Sunak empfangen worden; der Besuch war nur wenige Stunden vorher bekanntgegeben worden. Am Nachmittag empfing König Charles III. den Präsidenten im Buckingham-Palast, anschließend besuchte Selenskyj ukrainische Soldaten, die von der britischen Armee ausgebildet werden.
Premier Sunak kündigte an, dass Großbritannien der Ukraine eine Ausbildung unter anderem für fortgeschrittene ukrainische Kampfjetpiloten anbieten werde. Diese Ausbildung werde es den Piloten ermöglichen, hoch entwickelte
Kampfflugzeuge zu fliegen, die den Nato-Standards entsprechen. Sunak versprach zudem „eine sofortige Erhöhung der Lieferungen von militärischer Ausrüstung freizusetzen, um Russlands Frühjahrsoffensive entgegenzuwirken“. Auch bei dem Treffen Selenskyjs mit Scholz und Macron in Paris sollte es um neue Waffenhilfen gehen. Macron hatte sich zuletzt aufgeschlossen gezeigt, Scholz bekräftigte aber am Mittwoch im Bundestag seine Skepsis. Der Kanzler warnte vor einem „Überbietungswettbewerb“nach dem Motto: „Kampfpanzer, U-Boote, Flugzeuge – wer fordert noch mehr?“Deutschland werde sich daran nicht beteiligen.