Thüringische Landeszeitung (Jena)
Kritik versucht Erdogan sofort zu unterbinden
Vorwurf der Opposition, für das Ausmaß der Krise verantwortlich zu sein
Am dritten Tag nach der verheerenden Erdbebenserie in der Südosttürkei hat Präsident Recep Tayyip Erdogan die Region besucht. Viele Menschen in den verwüsteten Städten und Dörfern warten immer noch auf Hilfe. Kritik versucht Erdogan aber zu unterbinden. In der schwer getroffenen Stadt Kahramanmaras besuchte Erdogan am Mittwoch ein Zeltlager der staatlichen Katastrophenschutzorganisation AFAD. Er versprach den Obdachlosen Soforthilfen: Jede betroffene Familie soll 10.000 Lira bekommen, umgerechnet 500 Euro.
Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu war Erdogan zuvorgekommen und hatte bereits am Dienstag die Region besucht. „Wenn jemand die Hauptverantwortung trägt, dann ist es Erdogan“, sagte Kilicdaroglu auf Twitter. Der 74-jährige Kilicdaroglu gilt als möglicher Herausforderer des 68 Jahre alten Erdogan bei den für Mitte Mai geplanten Präsidentenwahlen. Erdogan habe es versäumt, das Land auf ein solches Beben vorzubereiten und die Gelder aus einer 1999 eingeführten Erdbebensteuer verschwendet, statt sie für den Katastrophenschutz einzusetzen, sagte Kilicdaroglu. Namhafte Wissenschaftler schließen sich der Kritik an. Erdogan räumte am Mittwoch Probleme bei den Hilfsmaßnahmen ein. Es habe anfangs Schwierigkeiten gegeben. Nun normalisierten sich die Abläufe aber.
Wie schon beim schweren Erdbeben in der Nordwesttürkei vom August 1999 fielen auch jetzt ganze Wohnblocks wie Kartenhäuser zusammen – obwohl nach dem damaligen Beben die Bauvorschriften verschärft wurden. Kritiker beklagen, die Einhaltung der Standards werde nicht ausreichend kontrolliert. Brisant ist das Thema für Erdogan, weil er Verbindungen zu mehreren bedeutenden Bauunternehmern hat, die im staatlichen Wohnungsbau tätig sind.