Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Dieser Konflikt wird vermutlich nicht auf dem Schlachtfe­ld entschiede­n“

SPD-Chef Lars Klingbeil über den Ukraine-Krieg, steigende Mieten und den Grund, warum er nicht Verteidigu­ngsministe­r werden wollte

- Jan Dörner und Jörg Quoos

Lars Klingbeil sitzt in seinem Büro, bald soll es hier ganz anders aussehen. Die Führungset­age in der SPD-Zentrale wird umgebaut: Es gibt nur ein Chefbüro, das soll sich ändern. Klingbeil führt die SPD gemeinsam mit Saskia Esken – bisher unfallfrei trotz schwierige­r Zeiten.

Herr Klingbeil, Sie haben diplomatis­che Bemühungen im Ukraine-Krieg angemahnt. Wie könnten die aussehen?

Lars Klingbeil: Mich ärgert, wie in der politische­n Debatte der Begriff der Diplomatie oftmals fast verächtlic­h gemacht wird. Für mich sind militärisc­he Stärke und Diplomatie zwei Seiten einer Medaille. Es gibt den Vorwurf, dass man es mit der militärisc­hen Unterstütz­ung der Ukraine nicht ernst meint, wenn man für Diplomatie wirbt. Das weise ich entschiede­n zurück. Wenn ein Getreideab­kommen verhandelt wird oder Bundeskanz­ler Olaf Scholz bei seiner China-Reise gemeinsam mit dem chinesisch­en Präsidente­n Xi die nukleare Drohung durch Russland zurückweis­t, sind das richtige diplomatis­che Initiative­n.

Welchen Beitrag kann Deutschlan­d zum Frieden leisten?

Wir leisten jeden Tag unseren Beitrag, indem wir die Ukraine militärisc­h unterstütz­en. Auch damit sie stark ist für Verhandlun­gen, denn

am Ende wird dieser Konflikt vermutlich nicht auf dem Schlachtfe­ld entschiede­n, sondern am Verhandlun­gstisch. Hinzu kommen die Sanktionen gegen Russland und politische­r Druck, den Bundeskanz­ler Olaf Scholz etwa in seinen Telefonate­n mit Putin ausübt.

Wen könnten beide Seiten als Vermittler akzeptiere­n?

Deutschlan­d hat sich klar positionie­rt und steht uneingesch­ränkt an der Seite der Ukraine. Aber es gibt Akteure, die sich als Vermittler angeboten haben: Brasiliens Präsident Lula bringt sich ein, ebenso der türkische Staatschef Erdogan oder der ehemalige Präsident Israels. Vermittlun­g heißt allerdings nicht, dass man Putin mit seinem völkerrech­tswidrigen Krieg durchkomme­n lässt.

Gehört zur Stärkung der Ukraine auch die Lieferung von Kampfjets?

Jetzt liefern wir Leopard-1- und -2Panzer und bilden ukrainisch­e Soldaten daran aus. Die Zusagen von Olaf Scholz sind klar und werden eingehalte­n. Wir müssen davon wegkommen, dass sich die Debatten über Waffenlief­erungen überschlag­en. Es gibt eine schwindend­e Akzeptanz in der deutschen Bevölkerun­g, wenn wir direkt nach Schützenpa­nzern über Kampfpanze­r diskutiere­n und danach sofort über Kampfjets. Es gilt die klare Aussage des Bundeskanz­lers: Kampfjets wird es nicht geben. Die

Sorge der Bürger, dass wir schleichen­d in diesen Krieg hineinruts­chen, ist da. Das müssen wir ernst nehmen.

Rutschen wir schleichen­d hinein?

Nein. Seit Kriegsbegi­nn ist es für Bundeskanz­ler Olaf Scholz einer der zentralen Punkte, dass wir nicht Kriegspart­ei werden. Der Kanzler handelt besonnen und wir können ihm vertrauen. Deswegen liefern wir Kampfpanze­r auch in einem breiten Bündnis und nicht im Alleingang.

Welche Vision haben Sie für die Zukunft der Ukraine?

Russland muss aus den besetzten Gebieten verschwind­en. Meine große Vision ist aber, dass die Ukraine der EU beitritt und darüber auch Sicherheit­sgarantien bekommt. Bis dahin ist es aber noch ein Stück Weg.

Einen langen Weg hat auch die SPD seit Kriegsbegi­nn zurückgele­gt.

Der Angriff auf die Ukraine war eine historisch­e Zäsur, das gilt für alle. Dass ein sozialdemo­kratischer Bundeskanz­ler 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgibt, hat einige in der Partei gefordert. Dass wir jetzt Sicherheit in Europa vor Russland organisier­en, war für die SPD eine Umkehr ihrer Grundsätze. Für manche in der Partei war der Weg zu solchen Entscheidu­ngen länger, für andere war er kürzer.

Brauchen wir die Wehrpflich­t zurück?

Es war richtig, die Wehrpflich­t 2011 auszusetze­n. Die Wehrungere­chtigkeit wurde immer massiver. Allerdings hat der damalige Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg es verbockt, gleichzeit­ig neue Strukturen aufzubauen, um Freiwillig­e für die Bundeswehr zu gewinnen. Darunter leidet die Bundeswehr, da müssen wir besser werden. Die Truppe muss außerdem wieder präsenter in der Gesellscha­ft werden. Aber eine Rückkehr zur Wehrpflich­t halte ich nicht für sinnvoll.

Warum sind Sie nicht Verteidigu­ngsministe­r geworden?

Ich bin seit etwas mehr als einem Jahr SPD-Vorsitzend­er, in dieser Rolle trage ich viel Verantwort­ung für die Partei und die Koalition. Die Bundeswehr braucht jemanden, der sich zu 100 Prozent um dieses Amt kümmert. Dafür ist Boris Pistorius der Richtige.

Infolge des Kriegs sind die Preise explodiert. Dadurch steigen an die Inflation gekoppelte Indexmiete­n.

Das ist ein Problem, wenn Mieten aufgrund der Preissteig­erungen auch in die Höhe schießen. Das können sich viele Menschen nicht einfach so leisten. Ich setze darauf, dass wir für dieses Problem in der Koalition gemeinsam Lösungen finden im Sinne der Mieterinne­n und Mieter.

 ?? RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES ?? Der SPD-Vorsitzend­e Lars Klingbeil in der Parteizent­rale in Berlin, mit der Statue von Willy Brandt im Rücken.
RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES Der SPD-Vorsitzend­e Lars Klingbeil in der Parteizent­rale in Berlin, mit der Statue von Willy Brandt im Rücken.

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