Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Dieser Konflikt wird vermutlich nicht auf dem Schlachtfeld entschieden“
SPD-Chef Lars Klingbeil über den Ukraine-Krieg, steigende Mieten und den Grund, warum er nicht Verteidigungsminister werden wollte
Lars Klingbeil sitzt in seinem Büro, bald soll es hier ganz anders aussehen. Die Führungsetage in der SPD-Zentrale wird umgebaut: Es gibt nur ein Chefbüro, das soll sich ändern. Klingbeil führt die SPD gemeinsam mit Saskia Esken – bisher unfallfrei trotz schwieriger Zeiten.
Herr Klingbeil, Sie haben diplomatische Bemühungen im Ukraine-Krieg angemahnt. Wie könnten die aussehen?
Lars Klingbeil: Mich ärgert, wie in der politischen Debatte der Begriff der Diplomatie oftmals fast verächtlich gemacht wird. Für mich sind militärische Stärke und Diplomatie zwei Seiten einer Medaille. Es gibt den Vorwurf, dass man es mit der militärischen Unterstützung der Ukraine nicht ernst meint, wenn man für Diplomatie wirbt. Das weise ich entschieden zurück. Wenn ein Getreideabkommen verhandelt wird oder Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner China-Reise gemeinsam mit dem chinesischen Präsidenten Xi die nukleare Drohung durch Russland zurückweist, sind das richtige diplomatische Initiativen.
Welchen Beitrag kann Deutschland zum Frieden leisten?
Wir leisten jeden Tag unseren Beitrag, indem wir die Ukraine militärisch unterstützen. Auch damit sie stark ist für Verhandlungen, denn
am Ende wird dieser Konflikt vermutlich nicht auf dem Schlachtfeld entschieden, sondern am Verhandlungstisch. Hinzu kommen die Sanktionen gegen Russland und politischer Druck, den Bundeskanzler Olaf Scholz etwa in seinen Telefonaten mit Putin ausübt.
Wen könnten beide Seiten als Vermittler akzeptieren?
Deutschland hat sich klar positioniert und steht uneingeschränkt an der Seite der Ukraine. Aber es gibt Akteure, die sich als Vermittler angeboten haben: Brasiliens Präsident Lula bringt sich ein, ebenso der türkische Staatschef Erdogan oder der ehemalige Präsident Israels. Vermittlung heißt allerdings nicht, dass man Putin mit seinem völkerrechtswidrigen Krieg durchkommen lässt.
Gehört zur Stärkung der Ukraine auch die Lieferung von Kampfjets?
Jetzt liefern wir Leopard-1- und -2Panzer und bilden ukrainische Soldaten daran aus. Die Zusagen von Olaf Scholz sind klar und werden eingehalten. Wir müssen davon wegkommen, dass sich die Debatten über Waffenlieferungen überschlagen. Es gibt eine schwindende Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung, wenn wir direkt nach Schützenpanzern über Kampfpanzer diskutieren und danach sofort über Kampfjets. Es gilt die klare Aussage des Bundeskanzlers: Kampfjets wird es nicht geben. Die
Sorge der Bürger, dass wir schleichend in diesen Krieg hineinrutschen, ist da. Das müssen wir ernst nehmen.
Rutschen wir schleichend hinein?
Nein. Seit Kriegsbeginn ist es für Bundeskanzler Olaf Scholz einer der zentralen Punkte, dass wir nicht Kriegspartei werden. Der Kanzler handelt besonnen und wir können ihm vertrauen. Deswegen liefern wir Kampfpanzer auch in einem breiten Bündnis und nicht im Alleingang.
Welche Vision haben Sie für die Zukunft der Ukraine?
Russland muss aus den besetzten Gebieten verschwinden. Meine große Vision ist aber, dass die Ukraine der EU beitritt und darüber auch Sicherheitsgarantien bekommt. Bis dahin ist es aber noch ein Stück Weg.
Einen langen Weg hat auch die SPD seit Kriegsbeginn zurückgelegt.
Der Angriff auf die Ukraine war eine historische Zäsur, das gilt für alle. Dass ein sozialdemokratischer Bundeskanzler 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgibt, hat einige in der Partei gefordert. Dass wir jetzt Sicherheit in Europa vor Russland organisieren, war für die SPD eine Umkehr ihrer Grundsätze. Für manche in der Partei war der Weg zu solchen Entscheidungen länger, für andere war er kürzer.
Brauchen wir die Wehrpflicht zurück?
Es war richtig, die Wehrpflicht 2011 auszusetzen. Die Wehrungerechtigkeit wurde immer massiver. Allerdings hat der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg es verbockt, gleichzeitig neue Strukturen aufzubauen, um Freiwillige für die Bundeswehr zu gewinnen. Darunter leidet die Bundeswehr, da müssen wir besser werden. Die Truppe muss außerdem wieder präsenter in der Gesellschaft werden. Aber eine Rückkehr zur Wehrpflicht halte ich nicht für sinnvoll.
Warum sind Sie nicht Verteidigungsminister geworden?
Ich bin seit etwas mehr als einem Jahr SPD-Vorsitzender, in dieser Rolle trage ich viel Verantwortung für die Partei und die Koalition. Die Bundeswehr braucht jemanden, der sich zu 100 Prozent um dieses Amt kümmert. Dafür ist Boris Pistorius der Richtige.
Infolge des Kriegs sind die Preise explodiert. Dadurch steigen an die Inflation gekoppelte Indexmieten.
Das ist ein Problem, wenn Mieten aufgrund der Preissteigerungen auch in die Höhe schießen. Das können sich viele Menschen nicht einfach so leisten. Ich setze darauf, dass wir für dieses Problem in der Koalition gemeinsam Lösungen finden im Sinne der Mieterinnen und Mieter.