Thüringische Landeszeitung (Jena)

Kurden bitten um Spenden für Beben- Opfer

Community hält im Eine-Welt-Haus-Verein Sammelbox bereit. Schreckens­bilder auf dem Smartphone

- Thomas Stridde

Hassan Fauzi kann gerade noch die grausigen Fakten benennen, mehr zu sagen vermag er kaum: Seine Schwester, ihr Mann und die fünf Kinder der beiden seien tot. Sie seien beim Erdbeben von den Trümmern ihres Hauses begraben worden in Jindires, der Stadt im Nordwesten Syriens, die 20 Kilometer entfernt liegt von der kurdischen Distriktha­uptstadt Afrin. Die türkische Grenze ist nah. Hassan Fauzi musste es aushalten, Bilder seiner toten Nichten auf seinem Smartphone zu sehen.

Alle Familien auf der Straße

Nach der Flucht aus der kriegsgequ­älten kurdischen Heimat kam Hassan Fauzi 2015 in Jena an. Der 42-Jährige lebt mit seiner Frau Laila Schekh Haidar und vier Kindern in Jena. Laila Schekh Haidar berichtet von ihren anderen Verwandten, die nach fünf, sechs Nachbeben Angst hätten, wieder in ihre Wohnungen zu gehen. „Und dann kamen Schnee und starker Wind.“Marwan Abdo (46) aus Afrin hat ebenfalls seit 2015 Jena als neue Heimat. Frau und vier Kinder an der Seite, arbeitet er als Gemüsehänd­ler. Er kann berichten, dass die sieben Familien aus seinem nahen Verwandten­kreis das schwere Erdbeben überlebt haben. „Aber sie sind alle auf der Straße.“Mayssa Kel Khello (47) ist mit ihrem Mann Mohammad Mohammad (54) zum Gespräch mit der Zeitung an das EineWelt-Haus gekommen. Sie hat zuren,

mindest von ihren Verwandten die gute Nachricht: „Es ist niemand gestorben. Manche wohnen jetzt im Zelt, manche im Auto. Die Kinder sind fast nackt.“Sie habe die letzten drei Tage nicht schlafen können, sagt die Kurdin.

Die Reste jetzt auch kaputt

Ibrahim Othman ist Koordinato­r beim Geflüchtet­en-Betreuungs­projekt „Weltraum“des Eine-WeltHaus-Vereins. Er habe Kontakt gehabt mit seinem Bruder im kurdischen

Heimatdorf genau an der syrisch-türkischen Grenze. Sein Bruder habe keinen einzigen Hilfs-Lkw aus Richtung Türkei entdecken können. „Er sagt, da war nix zu sehen, gar nix.“Damit umreißt Othman die in den letzten Tagen vielbeschr­iebene Zuspitzung des BebenDrama­s im nordwestsy­rischen Kurdengebi­et: Es ist ohnehin abgeschnit­ten von internatio­naler Unterstütz­ung. Das syrische Regime auf der einen Seite und die Türkei auf der anderen Seite verhindern

den Zugang. Othman hat gehört, dass ein von Kurdenführ­er Barzani aus dem Nord-Irak losgeschic­kter Hilfstrans­port in der Türkei feststecke, zumal der einzige Grenzüberg­ang zwischen der Türkei und dem nordwestsy­rischen Kurdengebi­et schwer beschädigt sei. Oft habe er in den letzten Tagen aus seiner kurdischen Heimat den ähnlichen Kommentar gehört, sagt Othmann: Die Reste, die nach den Konflikten zwischen der Türkei und den Milizen nicht kaputt wasind jetzt kaputt. Und oben drauf der starke Wintereinb­ruch! „Minusgrade sind dort nicht normal.“

80 Kurden-Familien in Jena

Marwan Abdo ist seit 2018 aktiv, um die kurdische Gruppe in Jena zusammenzu­halten. 80 Kurden-Familien gebe es in Jena. Abdo und Othman können berichten, dass 3000 Euro gesammelt wurden, um für die betroffene­n Familien Decken, Brot und Milch zu kaufen. Für den nächsten Schritt hat die kurdische Community im „Weltraum“des Eine-Welt-Haus-Vereins eine Spenden-Sammelstel­le eingericht­et. Man hoffe, selbst einen Hilfsgüter-Transport via Türkei hinzubekom­men, sagt Ibrahim Othman.

Die Friedensno­belpreis-Organisati­on „Ärzte ohne Grenzen“ist wahrschein­lich die einzige internatio­nale Hilfsorgan­isation, die zur Zeit in Nordwest-Syrien aktiv ist mit mobilen Kliniken, Gesundheit­sstützpunk­ten, Lagern für Binnenvert­riebene. Für diese Gebiete wird dringend um Spenden unter dem Stichwort „Syrien“gebeten. Spendenkon­to: Ärzte ohne Grenzen e.V.; IBAN: DE72 3702 0500 0009 7097 00; Betreff: Syrien.

Die Spenden-Sammelbox im „Weltraum“(zwischen Löbdergrab­en und Unterm Markt) steht Montag bis Freitag von 15 bis 19 Uhr bereit. Am Freitag von 16 bis 17 Uhr findet auf dem Holzmarkt eine Mahnwache statt, die offene türkische Grenzen für Hilfstrans­porte nach Syrien fordert.

 ?? THOMAS STRIDDE ?? Die traurigen Bilder aus ihrer kurdischen Heimat im Nordwesten Syriens sehen Marwan Abdo, Laila Schekh Haidar und ihr Mann Hassan Fauzi (von links) auf ihren Handys. Im Hintergrun­d am Eine-WeltHaus von links Danial Hiro, Mohammad Mohammad, seine Frau Mayssa Kel Khello und Ibrahim Othman.
THOMAS STRIDDE Die traurigen Bilder aus ihrer kurdischen Heimat im Nordwesten Syriens sehen Marwan Abdo, Laila Schekh Haidar und ihr Mann Hassan Fauzi (von links) auf ihren Handys. Im Hintergrun­d am Eine-WeltHaus von links Danial Hiro, Mohammad Mohammad, seine Frau Mayssa Kel Khello und Ibrahim Othman.

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