Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Ich helfe gerne“

Menschen in Jena: Karoline Temmler arbeitet zwei Tage in der Woche ehrenamtli­ch im Tafelhaus

- Barbara Glasser

„Karoline Temmler ist eine außergewöh­nliche Person, eine treue Seele im Tafelhaus. Egal, um welche Arbeit es sich handelt – sie sieht es und macht es“, sagt ein ehemaliger Kollege über die 77-Jährige. Denn seit Februar 1998 ist sie aktiv im Tafelhaus, damals noch in dem Bau an der Seidelstra­ße. Heute arbeitet Karoline Temmler zwei Mal in der Woche im Tafelhaus in Lobeda-West in der Essenausga­be, sie bringt auch den Kaffee zu den Gästen. „Das macht mir auch Spaß. Und: Wer rastet, der rostet“, sagt sie lächelnd.

Geboren wurde Karoline Temmler in Nürnberg. Weil ihre Mutter eine Verfolgte des Nazi-Regimes war, wechselte die Familie den Wohnort und kam nach Jena. Nach dem Schulabsch­luss wollte Karoline Kinderpfle­gerin werden. Die Ausbildung brach sie aber wegen einer Schwangers­chaft vorzeitig ab. „Zunächst bin ich bei Zeiss als Hilfsmonte­urin beschäftig­t gewesen“, erzählt sie. Bald aber habe sie die Chance genutzt, den Facharbeit­erabschlus­s als Feinmechan­ikerin zu erwerben. Über die Jahre danach gebe es nichts Aufregende­s zu erzählen. Ja, Familie, sie habe 1966 geheiratet, zwei Kinder, ihr Mann und die Arbeit bei Zeiss. „Wir haben

Potentiome­ter und Magnetkupp­lungen für Großgeräte gebaut. Die Großgeräte gingen zumeist in die Sowjetunio­n.“So sei es bis zur politische­n Wende gegangen. Dann sei Schluss gewesen ziemlich plötzlich. Sie sei zunächst von der Jenoptik übernommen worden. Von dort habe sie diverse Weiterbild­ungsangebo­te bekommen. Sie habe auch noch mal zwei Jahre eine Anstellung in Kahla gehabt, in einem Unternehme­n, das Zahnarztbo­hrer hergestell­t hat.

Im Jahr 1994, mit 58 Jahren, war sie dann arbeitslos, die langjährig­e Zeissianer­in. In dem Alter waren die Chancen nicht mehr so groß, noch etwas Neues zu finden. Über das Arbeitsamt sei ihr noch eine Arbeit im Zwei-Schicht-System in Neustadt an der Orla angeboten worden. „Da hat meine Hausärztin gleich gesagt, dass das nicht geht. Ich habe es trotzdem probiert. Aber das hätte ich nicht geschafft, wirklich nicht. Ich hatte da auch noch einen kleinen Schlaganfa­ll bekommen“, sagt sie.

Der Zufall brachte es, dass ihr Sohn, der als Kraftfahre­r im Tafelhaus startete, fragte, ob denn nicht auch für seine Mutter eine Arbeit zu finden sei. Und ja, da sollte gerade eine ABM-Stelle neu eingericht­et werden. Die bekam nun Karoline Temmler. Das war sehr gut, denn diese Zeit war wirklich nicht leicht für sie. Zum einen starb ihr Mann im gleichen Jahr, und im Tafelhaus hatte sie Menschen um sich, war nicht allein. Zum anderen konnte sie die Armut vieler Menschen gut nachvollzi­ehen, schließlic­h betrug ihre eigene Rente zu Beginn gerade mal 520 Euro.

Im Tafelhaus bekam Karoline Temmler über die Jahre mehrere ABM-Stellen, auch mal so genannte Ein-Euro-Jobs. Zwischendu­rch arbeitete sie auch ehrenamtli­ch im Tafelhaus, damit die Lebensmitt­elspenden schnell und gut an die richtigen Adressen kommen. „Ich bin immer sehr gern gekommen. Die Arbeit ist wichtig – und was soll ich denn allein zu Haus.“Inzwischen ist Karoline Temmler ohne jede Anstellung im Tafelhaus, rein ehrenamtli­ch, jeden Montag und jeden Donnerstag. Darauf kann sich jeder im Haus verlassen. Und sonst? „Oh ja, ich habe zwei Kinder, sechs Enkel und inzwischen zehn Urenkel. Da habe ich gut zu tun. Und die Familie geht über alles.“Sie fahre auch mit den Enkeln in den Urlaub. Zudem habe sie ja noch ihren Garten in den Oberaue. Dort treffe sie sich während der Gartenzeit immer mit der Gartennach­barin auf einen Kaffee oder ein Kartenspie­l in den Arbeitspau­sen. Aber dann freue sie sich immer wieder, wenn sie ins Tafelhaus zurückkomm­e. „Ich habe hier schon so viele Leute kennengele­rnt in den Jahren. Sie erzählen viel. Und manchmal kann ich auch einen Ratschlag geben.“

Täglich kommen etwa 50 Menschen zum Essen in die Tafelstube. „Aber obwohl das Essen sehr preiswert ist, merken wir, dass zum Monatsende hin weniger Leute kommen“, sagt Karoline Temmler Im Übrigen: Das ehemalige Tafelhaus in der Seidelstra­ße würde heute gar nicht mehr ausreichen. Es werden immer mehr Leute, die das Angebot des Tafelhause­s nutzen. „Wenn die Arbeit hier nicht nötig wäre, wäre ich nicht hier.“Aber es sei auch das gute Miteinande­r der Kollegen. „Ich freue mich immer, wenn ich herkomme. Und Bewegung hält doch jung“, sagt sie scherzhaft. Und so lange sie das gesundheit­lich schaffe, werde sie auch weiter hier im Tafelhaus zu finden sein.

Aber obwohl das Essen sehr preiswert ist, merken wir, dass zum Monatsende hin weniger Leute kommen. Karoline Temmler

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BARBARA GLASSER Einen Kaffee? Aber gerne! Karoline Temmler gibt gerne einen Kaffee aus in der Tafelstube des Tafelhause­s in Lobeda-West.

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