Thüringische Landeszeitung (Jena)

„Deutsche Waffen retten Leben“

Der ukrainisch­e Botschafte­r Oleksii Makeiev über Solidaritä­t mit seinem Land und sein Blick auf Russland

- Elena Rauch und Jan Hollitzer

Erfurt. Im Oktober 2022 löste Oleksii Makeiev seinen Vorgänger Andrij Melnyk als ukrainisch­er Botschafte­r in Deutschlan­d ab. Während seines Antrittsbe­suchs in Erfurt nahm er sich nach Gesprächen in Staatskanz­lei und Landtag, bei denen es auch um eine künftige Thüringer Partnersch­aft mit der Region Lwiw ging, viel Zeit für ein Treffen mit Ukrainern. Mit einer warmherzig­en Begrüßung, heimatlich­er Musik und einem langen Gespräch über das Leben als Geflüchtet­e. Über Kinder und ihre Schulbildu­ng zum Beispiel, um die Frage nach besseren Begegnungs­möglichkei­ten mit ukrainisch­er Kultur und Geschichte für Thüringer.

Vor allem der berührende Auftritt ukrainisch­er Kinder mit ihren Liedern machte deutlich, dass dies kein gewöhnlich­es Gespräch von Landsleute­n im Ausland mit ihrem Chefdiplom­aten war, sondern eine Begegnung von Menschen, deren Land um seine Existenz kämpft. Dieser Krieg lässt die Ukrainer zusammenrü­cken.

Im Anschluss entstand dieses exklusive Gespräch für unsere Zeitung.

Herr Botschafte­r, Sie sind gerade viel in Deutschlan­d unterwegs, beobachten Sie nach fast einem Jahr Krieg eine gewisse Ukraine-Müdigkeit?

Im Gegenteil. Ich sehe eine fantastisc­he Solidaritä­t, die immer noch anhält.

Sie sagen „immer noch“. Was glauben Sie, wie viel Energie werden die Unterstütz­er der Ukraine noch aufbringen können?

Ich war schon 2005 bis 2009 in Deutschlan­d, damals kannte man die Ukraine kaum, sie schien ein weit entferntes Land zu sein. Jetzt spürt man, wie dieser Krieg auch Teil des Alltags in Deutschlan­d geworden ist. Es sind nicht nur die gestiegene­n Preise, es ist die Unterstütz­ung für die schutzsuch­enden Menschen aus der Ukraine, es sind auch die deutschen Waffen, die uns helfen. Viele Menschen in Deutschlan­d haben erkannt, dass es um Werte geht, die wir gemeinsam haben.

Zu diesem Alltag gehört aber auch die Angst vieler Menschen, durch die Waffenlief­erungen in diesen Krieg hineingezo­gen zu werden. Was sagen Sie Ihnen?

Waffenlief­erungen bedeuten nicht, dass Deutschlan­d Kriegspart­ei wird. Es sind die Ukrainer, die mit deutschen Waffen kämpfen. Wir werden jeden Tag mit russischen Drohnen und Raken beschossen, das deutsche Flugabwehr­system fängt sie sehr erfolgreic­h ab. Für uns bedeutete das: Weniger Wohnhäuser werden getroffen, weniger Menschen getötet. Deutsche Waffen retten das Leben von Ukrainern. Das ist eine großartige Hilfe.

Diese Waffenlief­erungen werden von vielen Deutschen mit Skepsis gesehen. Vor allem in den ostdeutsch­en Ländern fragen sich viele, warum nicht mehr für Verhandlun­gen getan wird. Was sagt der Diplomat?

Wie soll denn eine Verhandlun­gsstrategi­e aussehen? Wir verhandeln seit 2014 mit Russland und seit neun Jahren erleben wir, dass Russland überhaupt nicht daran interessie­rt ist, sich an Absprachen zu halten. Wir verteidige­n uns, wir haben keine Wahl. Wer sich so aktiv für Verhandlun­gen ausspricht, müsste Russland auffordern, sofort diesen Krieg zu stoppen. Russland kann sehr schnell Frieden herstellen, indem Putin den Befehl gibt, seine Truppen aus der Ukraine zurückzuzi­ehen.

Auch von der Krim, aus Donezk und Luhansk?

Ja.

Das wäre für die Ukraine die Prämisse?

Das ist die Prämisse für alle demokratis­chen Länder. Sie haben verstanden, wie wichtig das Gebot von der Unantastba­rkeit der Grenzen ist. Und es müssen Garantien geschaffen werden, dass Russland in Zukunft keine anderen Nachbarlän­der angreift.

Leider ist Russland heute eine Gefahr für alle. Es hat Völkerrech­t gebrochen und verübt schwere Kriegsverb­rechen, wie wir sie in der Ukraine seit dem zweiten Weltkrieg nicht erleben mussten.

Sie haben in Erfurt betont, dass auch Flugzeuge ein wichtiger Teil des ukrainisch­en Abwehrsyst­ems sind. Die Frage nach der Lieferung von Kampfjets steht im Raum, wird die Ukraine Deutschlan­d darum bitten?

Fachliche Gespräche werden zwischen Fachleuten geführt. Aber, Stand heute was Kampfjets betrifft, nicht mit Deutschlan­d

Es gibt Beobachter, die zweifeln, dass es nach den Leopard-Panzern zu solchen Lieferunge­n kommen wird, weil Kampfjets potenziell auch russisches Territoriu­m erreichen, was Russland als direkte Kriegsbete­iligung werten könnte. Was entgegnen Sie?

Man sollte nicht zu viel darüber nachdenken, wie Russland etwas

interpreti­eren oder werten würde, sondern sehen, was es tut. Russland tötet jeden Tag. Es wurde in Deutschlan­d vor Waffenlief­erungen immer viel und lange diskutiert, aber wir haben wenig Zeit für Diskussion­en.

Die Ukraine befürchtet eine nahe russische Offensive, die Leopard-Panzer würden dafür zu spät kommen. Der bittere Wermutstro­pfen bei aller Erleichter­ung über die Zusage?

Natürlich hätten wir sie gern früher bekommen. Aber jede Hilfe wird gebraucht. Wir bereiten uns auf eine mögliche Offensive vor und kooperiere­n dabei sehr eng mit unseren Verbündete­n. Sie kennen sehr genau die Situatione­n an der Front, wissen was gebraucht wird, von Waffenlief­erungen, Schulungen von Soldaten, bis zur Logistik.

Es gibt so viele, auch familiäre Verbindung­en zwischen Ukrainern und Russen. Was macht dieser von Putin geführte Krieg mit den Menschen?

Es ist nicht Putin, der Bomben abwirft, der unsere Frauen vergewalti­gt, unsere Kinder entführt. Es sind Russen.

So bitter und entsetzlic­h es klingen mag: Russland spricht uns das Recht ab, zu existieren. Das ist Putins Programm, aber es wird leider mitgetrage­n. Haben Sie erlebt, dass

Russen zu Tausenden vor ihrer Botschaft gegen die Politik ihrer Regierung protestier­en, so wie es gerade erst die Iraner getan haben? Warum spüren sie keine Mitverantw­ortung?

Was bedeutet das für eine Zukunft nach dem Krieg?

Die Ukraine ist und bleibt ein unabhängig­er Staat, damit muss sich Russland abfinden.

Und für das Leben als Nachbarn, die sie ja immer bleiben werden?

Betrachten Sie ihr eigenes Land. Nach 1945 sind viele Jahre vergangen, bis die Deutschen ihre Vergangenh­eit aufgearbei­tet haben, viele Generation­en sind mit dem Schuldgefü­hl aufgewachs­en. Aber Deutschlan­d ist einen demokratis­chen Weg gegangen.

Das wäre ihre Vision für Russland?

Wahrschein­lich ist das derzeit mehr eine Science-Fiction. In Kiew führte mich mein täglicher Arbeitsweg an der Mauer der Michaelska­thedrale vorbei, wo Fotografie­n von seit 2015 gefallenen ukrainisch­en Soldaten hängen. Wie viele Jahre werden vergehen, bis sich ein demokratis­ch gewählter russischer Präsident nach Kiew wagt und vor dieser Mauer kniet, wie es Willy Brandt in Warschau getan hat?

 ?? ELENA RAUCH ?? Der Diplomat nahm sich während seines Besuchs in Erfurt viel Zeit für ein Treffen mit Mitglieder­n des Vereins ukrainisch­er Landsleute in Thüringen. Im Foto: Nadija Reilan, Botschafte­r Oleksii Makeiev, Vasyl Vitenko, Ivan Gotra und Ilona Mamiyeva (von links).
ELENA RAUCH Der Diplomat nahm sich während seines Besuchs in Erfurt viel Zeit für ein Treffen mit Mitglieder­n des Vereins ukrainisch­er Landsleute in Thüringen. Im Foto: Nadija Reilan, Botschafte­r Oleksii Makeiev, Vasyl Vitenko, Ivan Gotra und Ilona Mamiyeva (von links).

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