Thüringische Landeszeitung (Jena)
Wenn Gegner zu Helfern werden
Experten aus etlichen Nationen beteiligen sich an den Rettungsarbeiten in der Türkei. Die Politik wird ausgeblendet
Nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien haben etliche andere Nationen Rettungstrupps und Hilfsgüter in die Katastrophenregion geschickt. Auch unabhängige Hilfsorganisationen sind im Einsatz. Aus Deutschland starteten am Donnerstag die ersten Hilfsflüge der Bundeswehr Richtung Türkei. Deutschland und der Nato-Partner Türkei sind Verbündete. Zu den Nationen, die jetzt im Katastrophengebiet Hilfe leisten, gehören aber auch solche, die zuletzt ein eher frostiges Verhältnis zur Regierung des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hatten. Das gilt insbesondere für Griechenland, aber auch für Israel und die nordischen Länder. Ein Überblick.
Griechenland
Als eines der ersten Länder schickte Griechenland schon wenige Stunden nach dem verheerenden Beben vom Montagfrüh eine HerculesTransportmaschine von Athen in die Südosttürkei. An Bord waren Feuerwehrleute der KatastrophenSpezialeinheit EMAK, Ärzte und Sanitäter. Inzwischen ist ein weiteres Bergungsteam aus Griechenland im Katastrophengebiet eingetroffen. Die Helfer konnten schon mehrere Menschen aus den Trümmern retten, darunter Kinder.
Beide Länder gehören der Nato an, betrachten sich aber als Konkurrenten, mitunter sogar als Feinde. Das hat historische Gründe, die bis in die Zeit des Osmanischen Reiches zurückreichen. Nach dem Ersten Weltkrieg führten beide Staaten Krieg gegeneinander, nach der Gründung der Republik Türkei 1923 kam es zu umfangreichen Zwangsumsiedlungen in beide Richtungen. Bis heute gibt es Territorial-Streitigkeiten.
Angesichts der griechischen Hilfe werden jetzt aber Erinnerungen an den August 19999 wach: Damals erschütterte ein schweres Beben die Region um die westtürkische Industriestadt Izmit. Drei Wochen später bebte die Erde in Athen. Erst halfen griechische Rettungsteams in der Türkei, dann kamen türkische Retter nach Griechenland.
Aber noch nie in den vergangenen 50 Jahren waren die Fronten so verhärtet wie jetzt. Kurz vor dem Jahreswechsel drohte Erdogan dem Nachbarstaat zum wiederholten Male mit einem Raketenangriff.
Israel
Die Israelis verfügen nicht nur über eine schlagkräftige Armee, sondern auch über einen hoch entwickelten Zivil- und Katastrophenschutz. Bereits am Dienstag landeten 150 Such- und Rettungsspezialisten der israelischen Streitkräfte in der Türkei.
Die Armee wollte überdies 230 Kräfte entsenden, um ein Feldlazarett im Katastrophengebiet aufzubauen und zu betreiben.
Der jüdische Staat und die muslimisch geprägte Türkei galten lange Zeit als enge Partner: Beide gehören zur westlichen Staatengemeinschaft, mitunter war von den beiden einzigen Demokratien im Nahen Osten die Rede. 2010 kam es zum Zerwürfnis: Bei der Erstürmung eines Gaza-Solidaritätsschiffs durch die israelische Marine starben mehrere türkische Staatsbürger. Erdogan bezog im Zuge seiner Hinwendung zur islamischen Welt
immer wieder Position für die Palästinenser – sehr zum Ärger der Regierung in Jerusalem. Erst im vergangenen Jahr vereinbarten beide Seiten nach langer Unterbrechung, wieder vollständige diplomatische Beziehungen aufzunehmen.
Schweden und Finnland
Schweden hat bereits angekündigt, in einem ersten Schritt umgerechnet mehr als 600.000 Euro zur Unterstützung der Rettungsarbeiten in der Türkei und Syrien bereitzustellen. Darüber hinaus will das Land Fachleute entsenden und Zelte sowie Schutzhütten bereitstellen. Auch Finnland schickt Helfer in die Türkei und stellt überdies ein Million Euro bereit. Politisch haben beide nordischen Länder ein angespanntes Verhältnis zur türkischen Regierung: Als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine streben Schweden und Finnland in die Nato. Dem müssen aber alle Mitglieder zustimmen – was die Tür- kei noch nicht getan hat. Erdogan wirft Schweden vor, die Kurden-Or- ganisation PKK zu unterstützen und verlangt die Auslieferung von Oppositionellen. Zuletzt bekräftig- te er sein Nein, nachdem rechtsext- reme Demonstranten vor der türki- schen Botschaft in Stockholm einen Koran verbrannt hatten.
Was den Nato-Beitritt Finnlands betrifft, ist Erdogan inzwischen konzilianter.
Ukraine
Die Ukraine befindet sich in einem Abwehrkampf gegen die russische Invasion. Auch hier sind etliche Städte zerstört, jeder Helfer wird ge- braucht. Trotzdem hat die Regie- rung von Präsident Wolodymyr Se- lenskyj beschlossen, 87 Rettungs- spezialisten mitsamt Ausrüstung in die türkische Erdbeben-Region zu entsenden. Das Verhältnis der Ukraine zur Türkei ist nicht frei von Spannungen. Die Türkei vermeidet es, sich angesichts des russischen Angriffskriegs eindeutig auf die Seite Kiews zu schlagen. Sie hat zwar Waffen an die Ukraine geliefert, beteiligt sich aber nicht an westlichen Sanktionen gegen Russland. Präsident Erdogan konnt jedoch zuletzt ein Abkommen über den Export von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer anbahnen.