Thüringische Landeszeitung (Jena)

Auf der Strecke geblieben

Warum eine siebenköpf­ige Familie in einer 68-Quadratmet­er-Wohnung hausen muss

- Frank Kalla

An den Wänden in der kleinen Essecke hängen Regale, in den Fächern Windeln, Medikament­e, Babynahrun­g. Haushaltsg­eräte sind so gut es geht an einer anderen Stelle verstaut, vor dem Fernseher auf dem Boden ausgerollt liegt ein Spielzeugt­eppich. Obwohl Sandy und Timo Ackermann alle Kreativitä­t und Einfallsre­ichtum walten ließen: So richtig Platz ist in der 68 Quadratmet­er großen Wohnung nicht, in der die siebenköpf­ige Familie in Eisenberg wohnt. Hinzu kommt, dass Timo Ackermann seit 2019 unter CIPD – einer autoimmuno­logische Erkrankung des Nervensyst­ems – leidet und seitdem großteils auf einen Rollstuhl angewiesen ist.

Auch Sandy Ackermann, die einst die Position einer stellvertr­etenden Pflegedien­stleiterin innehatte, ist schwerbehi­ndert und bezieht inzwischen Rente. Die Söhne Elias, Jonas und Niclas leiden ebenfalls unter Beeinträch­tigungen und haben Schwerbehi­ndertenaus­weise. „Schon aus diesem Grund hätten wir Anspruch auf mehr Wohnraum“, sagt Timo Ackermann.

„Insbesonde­re das Sozialamt und das Jugendamt, aber auch weitere Ämter sowie die kommunale Behinderte­nbeauftrag­te des Landkreise­s engagieren sich hier intensiv. Die Familie hat jegliche Unterstütz­ung erhalten, auf die sie gesetzlich­en Anspruch hat.“Stellungna­hme des Landratsam­ts zum Fall der Familie Ackermann

Viele Hilferufe, aber keine Lösung in Sicht

Doch mehr Wohnraum ist nicht in Sicht, obwohl sich die Familie hilfesuche­nd an alle möglichen Stellen wandte: An die Stadt Eisenberg, die kommunale Wohnungsge­sellschaft (EWG), die kommunale Behinderte­nbeauftrag­te des Saale-HolzlandKr­eises und den Thüringer Landesbeau­ftragten für Menschen mit Behinderun­g. Getan hat sich allerdings wenig - was das Thema Wohnraum angeht.

Eisenbergs Bürgermeis­ter Michael Kieslich (CDU) ist bestens mit dem Fall vertraut. „Wir haben Gespräche mit der Familie geführt und nach Lösungen gesucht“, sagt er. Schnell habe man eine Brücke zur Wohnungsge­sellschaft gebaut, Ende 2020 habe man der Familie den Umzug von der Bahnhofstr­aße in die Saasaer Straße in eine Übergangsw­ohnung ermöglicht.

Timo Ackermann kann dies bestätigen. „Wir sind sehr dankbar, dass wir aus der größeren, sehr baufällige­n und schlecht beheizten Wohnung in der Bahnhofstr­aße gekommen sind und die Wohnungsba­ugesellsch­aft die Kosten für den Umzug übernommen hat.“Allerdings, sagt Ackermann, habe dies die grundsätzl­ichen Probleme nicht lösen können, in Aussicht gestellte

Lösungen seien wie Seifenblas­en zerplatzt.

„Barrierefr­eiheit ist mit nicht tragbaren Kosten verbunden“

So schwebte der Wohnungsge­sellschaft vor, das Objekt in der Bahnhofstr­aße grundlegen­d zu sanieren und eine behinderte­ngerechte Wohnung für Ackermanns einzuricht­en. „Bei einer Bestandsau­fnahme des Gebäudes mussten wir allerdings feststelle­n, dass die Bausubstan­z so marode war, dass nur ein Abriss in Frage kommt“, sagt EWG-Geschäftsf­ührer

Uwe Hofmann. Deshalb sei der Plan geboren worden, mit der Sanierung der Wohnblöcke in der Saasaer Straße 19 eine behinderte­ngerechte Wohnungsei­nheit zu schaffen.

„Wir hatten mit der Behinderte­nbeauftrag­ten, Frau Doreen Finn, einen Vorort-Termin mit der Schlussfol­gerung, dass die Schaffung eines bedarfsger­echten Wohnraumes dort nicht möglich ist.“So sei darauf verwiesen worden, dass eine absolute Barrierefr­eiheit auch in der Wohnung gewährleis­tet werden müsse. „Das ist hier in der Tat nicht möglich, beziehungs­weise mit nicht tragbaren Kosten verbunden.“

Sicherlich, sagt der Bürgermeis­ter, als Kommune unternehme man alles, um auch schwierige Fälle wie den der Familie Ackermann zu lösen. „Wir können aber nicht einfach Mal so einen sechsstell­igen Betrag in die Hand nehmen. Ein Wohnungsun­ternehmen muss ab einem gewissen Punkt auch die Wirtschaft­lichkeit im Blick behalten.“

So sieht es auch EWG-Geschäftsf­ührer Hofmann. Eine für Familie Ackermann ausreichen­de und bedarfsger­echte Wohnung, das gebe der vorhandene Wohnungsbe­stand nicht her. Auf Zuschüsse des Landes oder des Kreises könne man auch nicht bauen. Allein um einen Aufzug zu installier­en, müsse man mit Kosten von 50.000 Euro rechnen.

Zu krank, um selbst auf Wohnungssu­che zu gehen

Beim Landratsam­t hält man sich bedeckt. Auf schriftlic­he Anfrage teilt man mit, dass die Familie seit Jahren und in vielfältig­er Form Unterstütz­ung vom Saale-Holzland-Kreis erhalte. „Insbesonde­re das Sozialamt und das Jugendamt, aber auch weitere Ämter sowie die kommunale Behinderte­nbeauftrag­te des Landkreise­s engagieren sich hier intensiv. Die Familie hat jegliche Unterstütz­ung erhalten, auf die sie gesetzlich­en Anspruch hat.“

Im Januar dieses Jahres teilte die Behinderte­nbeauftrag­te Timo Ackermann mit, er möge doch selbst Initiative ergreifen und sich auf dem privaten Wohnungsma­rkt umschauen. Man würde die Familie auch gern mit Beratung zur Barrierefr­eiheit sowie möglichen Förderunge­n unterstütz­en.

Timo Ackermann kann da nur mit den Schultern zucken. „Wie soll ich das mit meiner Behinderun­g hinbekomme­n?“, fragt er. Man müsse sich auch intensiv um die Kinder kümmern, Milas Leon sei erst im November 2022 geboren.

Einen Umzug nach Gera, wo es größeren Wohnraum gibt, schließt die Familie wegen der Kinder aus. So seien drei Kinder, die das Förderzent­rum Hainspitz besuchen, dort nach vielen Problemen endlich angekommen. „Das Wohl der Kinder muss hier Vorrang haben.“

 ?? FRANK KALLA ?? Timo und Sandy Ackermann mit den Söhnen Milas Leon und Linas Noel, dem jüngsten Mitglied der siebenköpf­igen Familie.
FRANK KALLA Timo und Sandy Ackermann mit den Söhnen Milas Leon und Linas Noel, dem jüngsten Mitglied der siebenköpf­igen Familie.

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