Thüringische Landeszeitung (Jena)

Was die Eltern beschäftig­t

Christina Schumann kennt viele schöne Geschichte­n über Familien mit Kindern mit Down-Syndrom. Aber in zwei Sachen kann die Gesellscha­ft noch nachlegen

- Gereon Haas

Jena. „Die Gesellscha­ft ist oft die Behinderun­g“, erklärt Christina Schumann. Sie ist Mutter eines 15-jährigen Sohns mit Down-Syndrom. Den heutigen Welt-Down-Syndrom-Tag feiern sie in der Familie. Denn Schumann möchte eines direkt zu Beginn klarstelle­n: „DownSyndro­m ist keine Erkrankung und die Menschen mit Down-Syndrom leiden vor allem nicht unter dem Extrachrom­osom.“Neben ihrer Erfahrung als Mutter berät sie beruflich Eltern, die Kinder mit Behinderun­g haben. Zudem ist sie aktiv in der Gruppe „Eltern von Kindern mit Down-Syndrom“.

Die Gruppe rief eine Ärztin des Unikliniku­ms vor 20 Jahren ins Leben, als es einen Geburtsjah­rgang mit vergleichs­weise vielen Kindern mit Down-Syndrom gab, erzählt Schumann. Es sei wie eine Freundesgr­uppe, die einmal im Jahr mit allen Familien ein Wochenende lang wegfährt. Zwischen den gemeinsame­n Fahrten trifft sich der Kreis regelmäßig und tauscht sich aus. Es geht über schöne FamilienEr­lebnisse, Wünschen, aber auch um Sorgen und Probleme. Denn es seien vor allem zwei Dauerbrenn­er, die die Familien auf Trab halten. Die Entscheidu­ng auf welche Schule das Kind gehen soll und die Bürokratie.

Inklusive Schule oder Förderschu­le?

Die wirkt für viele Familien wie eine Wand. Das Kind braucht verschiede­ne Förderunge­n und hat auch ein Recht auf sie. Diese müssen die Eltern beantragen, zum Teil jährlich. Um den Eltern dabei zu helfen, gibt es seit Beginn des Jahres eine Verfahrens­lotsin beim Jugendamt. Die Stelle entstand durch ein Bundesgese­tz. Und in Jena heißt die Lotsin Sophie Escher. Ihre Hauptaufga­be bestehe darin, Eltern zu beraten, welche Möglichkei­ten und Bedürfniss­e ihr Kind hat. Danach hilft sie ihnen beim Ausfüllen des Antrags und begleitet die Eltern durch das Verfahren. Ein Bürokratie­abbau kann sie nicht verspreche­n. Auch wenn vielen Eltern manche Verfahren als zu langwierig und unnötig erscheinen, stehe hinter den Prozessen immer notwendige Begründung­en für Entscheidu­ngen, damit diese auch transparen­t nachvollzi­ehbar bleiben.

Nach der Bürokratie ist das wichtigste Thema für viele Eltern die Schule. „Schon vor der Grundschul­e

stellt man sich die Frage, welche Weiterführ­ende-Schule danach kommt“, sagt Schumann. Sie wollte ihren Sohn nicht auf eine Förderschu­le schicken, da er bereits vor der Grundschul­e lesen konnte. Denn „die Behinderun­g bewegt sich in einem Spektrum“, durch das das Kind ganz unterschie­dliche Möglichkei­ten und Bedürfniss­e hat. Deswegen wollte Schumann ihr Kind auf eine inklusive Schule bringen, denn auf der Förderschu­le hatte sie Sorge vor einer zu niedrigen Ausbildung ihres Sohnes. Dafür nimmt sie jeden Tag die Fahrt nach Jena in Kauf und zahlt Schulgebüh­ren, da es in ihrem Kreis keine inklusive Schule gibt. Im Gespräch empfiehlt Schumann die Gesamtschu­le

UniverSaal­e, die ein sehr gutes Konzept habe. Die stellvertr­etende Schulleite­rin Franziska Preuß erklärt, warum Inklusion an ihrer Schule funktionie­rt.

2009 eröffnete der Trägervere­in „Querwege“die Schule. Der Verein hat sich die Inklusion in Jena auf die Fahne geschriebe­n und so ist der gesamte Schulallta­g auf ein inklusives Lernen ausgericht­et. Die Klassen sind als „Stammgrupp­en“organisier­t, in denen Schüler zweier Jahrgänge, mit Behinderun­g und ohne zusammen lernen. Zudem verfolgt die Schule das Konzept des „Teamteachi­ng“, was bedeutet, dass für eine Klasse von 22 Schülern drei Lehrer zuständig sind. Ein klassische­r Lehrer, ein Förder- und ein

Sozialpäda­goge. Gemeinsam stellt dieses Team individuel­le Inhalte zu einem Thema zusammen. Dieses aufwendige Konzept beschreibt Preuß für die soziale Entwicklun­g, als „die größte Rassismus- und Homophobie-Prophylaxe“.

Neben all den Herausford­erungen, der sich die Familien stellen müssen, erzählen Schumann und Preuß von vielen schönen Erfahrunge­n mit ihren Kindern und Schülern. Somit ist für Schumann und ihre Familie der Welt-DownSyndro­m-Tag ein Tag, den sie gemeinsam feiern.

Weiter Informatio­nen zur Verfahrens­lotsin finden sie unter: jena.de/verfahrens­lotse

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CHRISTINA SCHUMANN Christina Schumanns Sohn ist mittlerwei­le 15 Jahre alt. Er geht auf eine inklusive Schule, begeistert sich für Geschichte, Politik, Musik und feiert den heutigen Tag mit seiner Familie.

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