Thüringische Landeszeitung (Jena)
„Jena ist eine Oase“für Menschen mit Behinderung
Tilo Bösemann erhält seit 2008 das Persönliche Budget für Menschen mit Behinderung. Warum er den Träger „ProAssistenz“gründete, und was in Jena besonders gut läuft
Jena. Tilo Bösemann hat eine fortschreitende Muskeldystrophie und braucht 24 Stunden Unterstützung im Alltag. Sei es bei der Pflege oder alltäglichen Aufgaben. Dafür hat er mehrere Assistenten, die ihn durch den Tag begleiten. Seit 2008 kann er sie über das Persönliche Budget selbst einstellen. Das ermöglicht Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmteres Leben.
Der Vorteil: Menschen mit Behinderung müssen nicht jede Unterstützungsleistung einzeln beantragen, sondern bekommen ein individuell berechnetes Budget. Sie können dann selbst entscheiden, welche Leistungen sie mit dem Geld „einkaufen“. Das verhindere zum Beispiel, dass Sachbearbeiter gegen jede beantragte Einzelleistung Einspruchsoder Widerspruchsklagen einreichen können, sagt Bösemann.
Persönliches Budget macht unabhängiger
Außerdem: „Menschen mit Behinderung sind nicht mehr von ambulanten Pflegediensten und deren
Arbeitszeiten abhängig“, sagt er. Ohne das persönliche Budget mussten Menschen mit Unterstützungsbedarf immer dann ins Bett gehen, wann es in den Dienstplan von ambulanten Pflegediensten passte. Sie konnten nicht spontan entscheiden, in die Disko oder ins Kino zu gehen.
Durch das persönliche Budget wurde Bösemann zum „Unternehmer“, der seine Assistenten selbst einstellt. Das sei zwar ein hoher Verwaltungsaufwand, doch der gehe eben mit mehr Freiheit einher. Um sich einen Überblick über den Dschungel an Anträgen und Geldern zu verschaffen, können Beratungsstellen helfen.
Er selbst war beim „Jenaer Zentrum für selbstbestimmtes Leben“, bevor er das Persönliche Budget beantragt hat. Auch die „Ergänzende, unabhängige Teilhabeberatung“, kurz EUTB, könne helfen und über Gelder und Hilfemaßnahmen aufklären, die Menschen mit Behinderung zustehen.
Jena sei in Bezug auf Beratungsangebote gut aufgestellt. Auch in anderer Hinsicht hat Bösemann nur lobende Worte für die Stadt übrig. „Jena ist eine Oase“, sagt er. „Das muss man wirklich unterstreichen.“Hier würden im Vergleich zu anderen Städten mehr Anträge bewilligt, die Kommunikation mit den Sachbearbeitern laufe gut, und in den Ämtern werde zielstrebig gearbeitet.
Bösemann ist einer der Gründer von ProAssistenz
Bösemann muss es wissen. Nicht nur, weil er die Leistungen selbst in Anspruch nimmt, sondern weil er zu den Gründern des Trägers „ProAssistenz“gehört. Der hat mittlerweile Klientinnen in ganz Deutschland. „Ich wollte, dass sich die Menschen mit Behinderung entscheiden können, ob sie ins Arbeitgebermodell gehen, oder das Budget und die Verwaltung an einen Träger weiterleiten.“Denn nicht jeder möchte oder kann die gesamte Verwaltung übernehmen.
„In Thüringen sind wir ganz sicher eine Art Vorreiter“, sagt auch Barbara Wolf vom Fachdienst für Soziales der Stadt Jena. „Mit ProAssistenz haben wir einen sehr engagierten Anbieter, der den nicht ganz profanen Verwaltungsaufwand für Menschen mit Einschränkung übernehmen kann“, erklärt Barbara Wolf.
Dadurch werde diese Leistung für eine breitere Gruppe von Menschen interessant. Insgesamt bekamen in Jena 2023 25 Personen das Persönliche Budget. Im Jahr davor waren es 21. „Die Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr“, sagt Wolf. Neben Persönlichen Assistenten können auch Schulbegleiter, Berufsbildungsverfahren und bestimmte Hilfsmittel mit dem Geld bezahlt werden.
Persönliche Assistenten werden immer gesucht
Wie in allen Branchen fehle aber das Personal. „Wir suchen immer“, sagt Bösemann. Die Assistenten sind in der Regel Quereinsteiger und müssen nicht ausgebildete Fachkräfte sein. „Aber“, sagt Bösemann, „man müsse sich zurücknehmen können.“Denn der Mensch mit Behinderung sei der Arbeitgeber und damit auch derjenige, der die Entscheidungen trifft.