Thüringische Landeszeitung (Jena)
150 Jahre Gaststätte „Erholung“
Die Gastwirte Jünge feierten mit Gästen das Jubiläum in Orlamünde
Als vor 150 Jahren die erste Dampflok durch das Saaletal fuhr, begann zugleich eine Gastronomie zu erblühen, die eine der besten Aussichten auf das Saaletal südlich von Jena ermöglicht. Die „Erholung“in Orlamünde eröffnete am 1. Mai 1874. Das Gartenlokal wurde vom Pächter des Grünen Gewölbes im Rathaus als Außengastronomie genutzt. Christian Helbig setzte damit den Grundstein, dessen gastronomische Zukunft jedoch ungewiss ist. Dazu später mehr.
Erst einmal wird gefeiert. Am 1. Mai konnte das heutige Wirtspaar Katharina und Bernd Jünge zahlreiche Gäste begrüßen, auch wenn sie den Tag nicht groß publik machten. Der Orlamünder Peter Koch veranschaulichte mit einem Diavortrag Historisches, die Schützengesellschaft brachte Grüße und Salutschüsse bei, auch der Karnevalsverein OCV war unter den Gästen, allen dankt das Wirtspaar. Im Gegenzug schenkten Jünges Freigetränke aus und freuten sich über ein sattes Trinkgeld. Ein älterer Herr habe Katharina Jünge am Ende umarmt und gerufen: „Was für einen wunderschönen Tag sie mir beschert haben!“
Den Gästen bescherte die „Erholung“in den vergangenen Jahrzehnten einige schöne Aufenthalte. Hochzeiten und Geburtstage wurden dort gefeiert, das Gasthaus wurde als Rastpunkt von Fahrradfahrern und Ausflüglern genutzt. Eine Aussicht „wie in Italien“bescheinigte den Wirten mancher Gast, und die Esche im Hof spendet sommers Schatten. Seit Anbeginn macht der Scherz die Runde, man könne „bis zur Zugspitze schauen“. Gemeint ist dabei nicht der höchste Berg Deutschlands, sondern die Lok, die Spitze des Zugs auf der Saalbahn.
Schwere Zeiten durch viele Gaststätten in Orlamünde
Der erste Gastwirt verpachtete vor 150 Jahre aus Altersgründen die „Erholung“schon nach wenigen Monaten wieder. Das hatte Peter Lange recherchiert. Es folgte Friedrich Sporleder (Oktober 1874), der das Lokal ausbaute und eine Kegelbahn sowie zwei Balkone einrichtete. Schließlich ging das Objekt an die Kahlaer Brauerei Degen mit Pächter Wilhelm Tänzer, der nach dem Ersten Weltkrieg durch die damalige Konkurrenz wirtschaftlich
schlechte Zeiten verkraften musste. Acht Gaststätten waren in Orlamünde angesiedelt. Heute existiert nur noch das Gasthaus „Erholung“, in der Unterstadt ist „Am Edelhof“ein Imbiss eingerichtet.
1930 folgte Gastwirt Paul Bräuning, acht Jahre später übernahm Herr Mittag. In den 1930er Jahren besuchten namhafte Künstler wie Otto Dix und Franz Lenk Orlamünde und nutzten offenbar auch die Terrasse der „Erholung“als Malort.
Amalies Frühlingssuppe steht weiter auf Speisekarte
1953 gelangte das Gasthaus in den Besitz der Familie Jünge. Bernd Jünges Großmutter Amalie prägte das Lokal über Jahrzehnte, das spüren die Gastwirte und die Gäste heute noch. „Amalies Frühlingssuppe“ist fester Bestandteil der Speisekarte, auch wenn heute keine Eisbeine mehr dafür ausgekocht werden. Es ist eine Rinderbrühe, versetzt mit Ei, Gemüse und Stärkekügelchen, die manche scherzhaft mit Froschlaich verbinden.
„Sie hat für die Kneipe gelebt“, sagt Bernd Jünge über seine Oma. Jeden Tag sprechen sie über sie und spüren ihren guten Geist. Wenn sich Dinge zum Guten wenden, Stress eingefangen wird, dann denke er sich: Das war Amalies Verdienst!
Manfred Jünge übernahm 1970 und zog Sohn und Schwiegertochter ins Gasthaus. Eigentlich wollte Bernd Jünge nie Kneiper werden, er lernte Elektriker. Als er mit seiner Frau eine Wohnung suchte, habe
sein Vater gesagt: Ihr könnt oben leben, müsst aber hier arbeiten.
Was bleibt im nächsten Jahr?
So war‘s dann auch. Bernd Jünge lernte Koch und legte später seinen Meister ab, Katharina kellnerte. Nach der Wende zog es ihn zum Geldverdienen ins bayrische Reit im Winkl, gut 500 Kilometer entfernt. „Das war hart für die Familie“, sagt Bernd Jünge. Schließlich übernahm er im Jahr 2000 mit seiner Frau die „Erholung“, die sie renovierten und wo sie Ferienzimmer ausbauten. Zum Übernachten gebe es „fast nichts mehr“, sagt Katharina Jünge. „Die Leute sind froh, wenn sie noch etwas finden.“
Heute stemmt das Paar mit einer Servicekraft und Pauschalkräften den Betrieb, der sich personell nur noch von Mittwoch bis Sonntag, 11
bis 17 Uhr, lohne. „Wir sind ein eingeschweißtes Team“, sagt Katharina Jünge.
Die gutbürgerliche Küche blieb über die Jahrzehnte. Doch Veränderungen nahen. „Ich möchte nächstes Jahr in Rente gehen“, sagt Bernd Jünge, der jetzt 63 ist. Was kommt danach? „Es ist alles in der Schwebe. Ich habe Angst davor, darüber nachzudenken“, sagt seine Frau, jetzt 60 Jahre alt. Vielleicht bewirten sie nur noch Gesellschaften, das müsse sich noch klären. Bis Ende des Jahres ist die „Erholung“noch geöffnet, für das Weihnachtsgeschäft sind bereits alle Plätze ausgebucht.
Verkaufen „kommt nicht in Frage!“, sagt die Gastwirtin. „Das ist unser Altersruhesitz.“Jeden Tag frühstücke das Paar mit dem einzigartigen Blick auf das Saaletal, das geben sie nicht auf.