Thüringische Landeszeitung (Jena)
OB -Amtsinhaber erklärt Verkehrswirren
Kfz-Nitzsche, Bildungs-Nitzsche? Was denn nun? Thomas Nitzsche ist um Antworten nicht verlegen
Jena. Klingt nach Lebensweisheit. Oberbürgermeister Thomas Nitzsche (FDP) bestätigt zwar: Ja, stimmt, in der Stadtverwaltung werde jetzt das „Update“des digitalen Zeitwirtschaftsprogramms „Loga“– „Loga III“– greifen. Das sei „noch mächtiger“bei der Bearbeitung etwa von Arbeitszeitkonten. Zum Beispiel dürfe das WochenstundenMaximum von 48 Stunden nicht dauerhaft anfallen. Und nein, für Wahlbeamte wie ihn gelte das nicht. Und das heiße in seinem Fall: werktags 8 bis 20 oder 22 Uhr und an Wochenenden der „Deal“mit Familie und Kollegium, dass er an einem der beiden Wochenendtage freihabe. So komme er auf „60 bis 70 Stunden plus Wochenende“. Aber er kokettiere gern damit, dass er „noch keinen Tag im Amt gearbeitet“habe. Das lasse sich sagen, wenn man sein Tun „nicht als Arbeit empfindet“. Dennoch gibt Nitzsche zu: Beim Blick auf Stadtratssitzungen sei es gelogen, von 100 Prozent Spaß zu reden. „Das hat mitunter seine Längen – und mitunter Puls.“
Den Hinweis auf Slogans der Wahlkampf-Konkurrenz, dass vielerlei endlich zur „Chefsache“gemacht werden müsse, nimmt Nitzsche gelassen: „Wer als Chef versucht, alles selbst zu machen, wird nichts fertigkriegen.“Zum Vergleich: „Der Dirigent spielt selbst kein Instrument.“Sehr wohl sei aber zu fragen, „in welcher Granularität man selbst entscheiden will“, sagte Thomas Nitzsche.
Staus gefühlt „wie eine Vollkatastrophe“
Stichwort „persönlicher Stil“. War Nitzsche 2018 bei seinem ersten Sieg nicht als „Kfz-OB“ins Amt gelangt? Nun aber, sagen Kritiker, habe der Kfz-Verkehr gar nicht das Prä. Nitzsche hält gegen: 2009 bis 2014 sei er als Stadtrat wegen seiner Vorsitz-Rollen im Jugendhilfe- und im Schulnetzausschuss der „BildungsNitzsche“gewesen. In der nächsten Legislatur sei er als „Kfz-Nitzsche“gehandelt worden, nachdem er den Kfz-Beirat des Stadtrates ins Leben gerufen und den Vorsitz hatte. Tatsächlich sei es ihm immer darum gegangen, „die Gleichberechtigung der Verkehrsarten“zu wahren. Er habe die „Politik gegen das Auto“beenden wollen. Und „Gleichberechtigung“habe seit 2018 folglich ebenso geheißen, dass „auch viel für den Radverkehr und den Nahverkehr“getan wurde.
Dem OB scheint dies wichtig: „Es
ist nicht mehr so, dass systemische Staus in den Kfz-Verkehr eingreifen, solange nicht Baustellen oder Unfälle den Verkehr lahmlegen.“Beispiel Stadion-Baustelle an der Stadtrodaer Straße. Die „nicht intelligente“Baustellen-Ampel an jener Stelle lasse sich nicht in den zentralen Verkehrsrechner integrieren. Deshalb klemme es dort vorübergehend wie vor zehn Jahren praktisch immer. Ja, zugegeben, der aktuelle Dauer-Stau in der City wegen vieler gleichzeitiger Baustellen fühle „sich wie eine Vollkatastrophe an“. Aber es sei nicht so wie in Berlin, wo es kaum zu spüren sei, „wenn du mal eine Straße abknappst“. In Jena gebe es für einige Trassen keine gleichwertige Alternative. Zudem stecke auch Jena in diesem Dilemma: Vorm 1. April würden die Bitumen-Firmen ihre Anlagen nicht hochfahren. Dann könne man als OB ja der Versuchung erliegen, im Wahljahr für April, Mai gar keine Baustellen freizugeben. „Aber das kannst du nicht machen – mal eben den Fortschritt ein Jahr lang anhalten. Das wird‘s mit mir nicht geben.“
Zum Thema Parkplätze. Richtig sei, dass bei grundhaftem Straßenausbau reguläre Park-Buchten gemäß Richtlinie eingerichtet, mitunter zudem „wilde Situationen“beseitigt würden und dabei ein Parkplätze-Minus entstehen könne. Stadtplaner sprächen dann von
„bodenrechtlicher Spannung“. So möge es etwa in West oder Lobeda knapp zugehen. Dass es aber in der Innenstadt zu wenig Stellplätze gebe, treffe nicht zu. Selbst zu Weihnachtsmarktzeiten böten die Jenaer Parkhäuser noch Puffer. Solche Fakten trage er „mit wachsender Vehemenz“vor. „Das elfte Parkhaus hilft auch nicht weiter, wenn die Leute schon in die anderen zehn Parkhäuser nicht reinfahren.“Auf einem anderen Blatt stehe das „Hyprid“-Modell für den InselplatzCampus: halb Parkhaus, halb Filiale des Gründerzentrums TIP. „Da sind wir dran.“Nitzsche wirbt mit seiner Parkhaus-Sicht für die „oberirdisch autofreie Innenstadt“. Das sei im Umkehrschluss fußgängerfreundlich.
Vertrauen auf Eichplatz-Investor
Offen gibt sich der OB auf die Frage nach der Koalition als Regierungsform – statt der zuletzt „wechselnden Mehrheiten“. Er wisse, wie das ist, wenn am Ratssitzungs-Mittwoch noch unklar sei, wo die Beschluss-Reise hingeht. „So was macht die Verwaltung fertig.“Per Koalition gehe alles flotter. Doch: Seit 2019 seien die Entscheidungen „zwar langsamer, aber zunehmend effektiv“zustande gekommen. „Das war anstrengend, wir haben aber viele mitgenommen.“
Und was steht für die eigene Vorgabe,
zwei OB-Legislaturen zu benötigen, um die große Vorhaben in den Hafen zu bringen? Als dickes Plus auf dem Haben-Konto sieht Nitzsche das Baurecht für die Eichplatz-Bebauung. Dem Investor müsse man nun zugestehen, den – Stichwort Zinsen – besten „wirtschaftlich darstellbaren“Bau-Startzeitpunkt zu wählen. „Er hätte alle Möglichkeiten gehabt, sich rauszuschleichen; er hat‘s aber nicht getan.“Und den Vollausbau der Osttangente samt Verlängerung der Wiesenstraße in den Landkreis werde man nicht einmal innerhalb der neuen Legislatur haben. Dafür aber den Abschnitt zwischen Anger und „Jenas Schmidtstädter Knoten“(Vergleich der Fischergasse/Knebelstraße mit Erfurts größter Kreuzung).
Wie aus der Pistole antwortet der OB auf die Frage, was ihm am meisten auf den Nägeln brennt: „Wohnraum!“Entspannt-gelöst beschreibt er das mittlerweile „belastbare Vertrauen“zwischen Stadt und Umland. In der Kommunalen AG „Wohnen im Umland“mit 16 Bürgermeistern ringe man um ein Wohn-Konzept zu beider Nutzen. Insbesondere „entlang der Bahn“könnten so „600 bis 1000“neue Wohnungen entstehen. Gar nicht entspannt-gelöst lässt ihn, dass es auch in Jena bei der Wohnbau-Frage die Haltung „Nimby“gibt: „Not in my back yard“(Nicht in meinem Hinterhof). Von wegen: Eh zu wenig Grün in der Stadt! Er biete dazu die Wette, dass man überall nach zehn Minuten Gang ins Grüne eine Stelle erreiche, wo von der Stadt nichts mehr zu spüren sei. Vor lauter Grün.