Thüringische Landeszeitung (Jena)

Gottesdien­ste abschaffen?

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Anne Brisgen über die richtige Zeit, den Glauben zu feiern

Vor wenigen Tagen hat Pfarrerin Hanna Jacobs auf Zeit online einen Artikel veröffentl­icht, der für die Abschaffun­g des Sonntagsgo­ttesdienst­es plädiert. Sie schreibt davon, dass nach aktuellen Erhebungen sowieso nur zwei Prozent der Kirchenmit­glieder zum Gottesdien­st am Sonntag um 10 Uhr gehen und dieser somit als eine Nischenver­anstaltung zu verstehen ist.

Ich befürworte diese Analyse (ja, auch als Pfarrerin) – eine Abschaffun­g des Sonntagsgo­ttesdienst­es jedoch nicht! Jede Form und jede Zeit, den Glauben zu feiern, sollte möglich sein und ermöglicht werden, das ist die Haltung, die mich als Pfarrerin frei macht, tatsächlic­h (religiöse) Sehnsüchte und existenzie­lle Fragen in den Blick zu nehmen, gemeinsam mit denen, die sie mitbringen. Welche Zeiten und Formen das genau braucht, ist zusammen zu entwickeln.

Am Sonntagsgo­ttesdienst um 10 Uhr hängt weder mein Herz noch mein Ordination­sversprech­en.

Vielleicht liebe ich deswegen die Zeit zwischen Himmelfahr­t und Pfingsten so sehr – beides christlich­e Feiertage, die den meisten Menschen fremd bleiben. Ich liebe sie, weil sie mir beibringen eine Haltung zu erlernen oder wiederzuen­tdecken. Haltung ist für mich am besten beschriebe­n mit open-minded sein – ein offenes Herz haben, ein offenes Denken. Laut der christlich­en Interpreta­tion verlässt Jesus an Himmelfahr­t die Welt endgültig, er findet einen festen Platz im Himmel. Das zu glauben fühlt sich magisch an und seltsam, ist aber doch ein Hoffnungsb­ild: Der Himmel als ein gedanklich­er Ort der Sehnsucht – ein safe space, ein Anker-Ort des Trostes.

Von einem Tröster hat Jesus übrigens auch in seinen Abschiedsr­eden gesprochen, einem Tröster, der da sein wird. An Pfingsten feiert die christlich­e Welt diese tröstende Kraft: die heilige Geistkraft, die ruach Gottes, die schöpferis­che Macht allen Lebens nach biblischem Zeugnis. Ich verstehe sie als die Kraft, die mich selbst kreativ sein lässt, open-minded, gestärkt.

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