Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Wo es balzt, brütet und blüht
Bei den 3. Thüringer Naturfilmtagen wird auch Uwe Müllers „Grenzgänger am Grünen Band“gezeigt
JENA. Es ist Storchenzeit an der Werra. Mit weit gespannten Flügeln gleitet ein Weißstorch durch die Luft und landet kurz darauf auf einer Wiese. Schon packt er mit dem Schnabel eine Maus und fliegt zurück zum Nest. Dazu spricht eine Stimme aus dem Off: „Die Bewohner sagten immer: ‚Die Storche wohnen billig hier im Osten und gehen zum Einkaufen in den Westen.’ Und das ist noch heute so. Die Storche sammeln die fetten Mäuse in Hessen ein und tragen sie zu ihrem schreienden Nachwuchs in Thüringen.“
Die Szene aus dem Naturfilm „Grenzgänger am Grünen Band“, der für den MDR produziert und in der ARD-Reihe „Wildes Deutschland“gezeigt wurde, vermittelt witzig-hintergründig etwas über die Lebensrealität der Menschen in der DDR und legt den Schluss nahe, dass sogar das Verhalten der Tiere im Grenzgebiet nicht davon verschont geblieben sei. Die Dokumentation stammt von Uwe Müller. Seit 2009 lebt der 56-Jährige wieder in seiner Heimat, in Langenleuba-Niederhain im Altenburger Land.
„Grenzgänger am Grünen Band“ist eine von acht Produktionen, die am heutigen Freitag und morgigen Samstag bei den 3. Thüringer Naturfilmtagen im Jenaer Kino im Schillerhof gezeigt und anschließend prämiert werden. Die Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie in Jena will mit dieser Veranstaltung für Natur, Umweltschutz und Nachhaltigkeit sensibilisieren und Naturfilmemachern ein Podium bieten. Langfristig soll sich ein Filmfestival nach dem Vorbild des „NaturVision Filmfestivals“in Ludwigsburg, dem größten seiner Art in Deutschland, etablieren. Das Grüne Band ist ein Lebensraum, der 40 Jahre lang zur Todeszone für Menschen wurde, die sie unerlaubt betraten. Tiere und Pflanzen aber konnten entlang der innerdeutschen Grenze zwischen Ostsee, Thüringer Wald und Vogtland ungestört ein Eigenleben entfalten. „Dieser Gegensatz hat mich fasziniert“, sagt Uwe Müller.
Und so setzte er das Naturwunder mit seinen mehr als 100 Biotop-Typen und 5200 Tierund Pflanzenarten in Szene: Grünländer, Seen, Wälder, Streuobstwiesen; Braunkehlchen und Eisvögel, Wildkatzen und Moorfrösche, Dachse und Wanstschrecken, Schwarzstörche und Biber, Glockenblumen und Knabenkraut. Es balzt, brütet und blüht. „Ich wollte aber auch die politisch-historische Bedeutung dieser Grenze deutlich machen“, sagt Uwe Müller. Daher gehören Menschen zum Film: Ein früherer Grenzoffizier, der heute als Naturschützer arbeitet, oder eine Schäferin aus dem Eichsfeld treten vor die Kamera.
Die Grenze – damit verbindet Uwe Müller auch einen Teil seines Lebens. Dort, wo er heute wieder lebt, ist er aufgewachsen, zur Schule gegangen, hat eine Ausbildung zum Klempner gemacht. Irgendwann wurde ihm die DDR zu eng, 1988 ging er in den Westen: „Einer der wichtigsten Gründe für diesen Schritt war meine Reiselust, die ich in der DDR nicht stillen konnte.“Bremen war nun Uwe Müllers neues Zuhause. Er studierte Maschinenbau und eroberte die Welt: zuerst die USA, dann Australien, Neuseeland, Südamerika und so fort.
Irgendwann wollte Uwe Müller die Daheimgebliebenen an seinen Erlebnissen teilhaben lassen, also kaufte er sich eine Videokamera und eignete sich autodidaktisch vom Schneiden bis zum Texten alles an, was man für die Produktion von Filmen braucht. Am Ende hatte er aus 90 Stunden Material einen zweistündigen Film kreiert; sein Publikum war entzückt und empfahl, es beim Fernsehen zu versuchen. Er ging auf Amateurfilmfestivals, kaufte sich eine Filmkamera und nahm an Profifestivals teil. 1998 gewann er seinen ersten Filmpreis, 2000 das erste Filmfestival. Inzwischen ist Uwe Müller mit seiner Produktionsfirma Capricornum Film seit 21 Jahren im Geschäft.
Und dieses Geschäft laufe gut, sagt Uwe Müller. Naturfilme seien beim Publikum sehr gefragt, die Einschaltquoten hoch. Bis vor einiger Zeit arbeitete er mit dem ZDF und den dritten Programmen der ARD zusammen, inzwischen mehr mit dem MDR und Arte. „Ideen für neue Filme habe ich säckeweise“, sagt Uwe Müller. In Abstimmung mit den jeweiligen Redaktionen der Fernsehsender entwickelt er Konzepte, schreibt Drehbücher und produziert die Filme. Zwei bis drei Jahre seien die übliche Produktionszeit für Naturfilme.
Als Uwe Müller noch in der Welt unterwegs war und einige Zeit in Südamerika lebte, drehte er dort auch den Film „Jäger der Anden – Der Puma“. Drei Jahre lang begleitete er eine Pumamutter mit ihren drei Jungen. In der Antarktis entstand der Film „Das Ende der Gletscher“. Über die Kultur und Geschichte der Feuerlandindianer erzählt der Film „Feuerland – Geschichten vom Ende der Welt“.
Was ein Naturfilmer vor allem braucht, sind Ausdauer und Beharrlichkeit. „Man kann viel Zeit mit der Kamera im Tarnzelt zubringen und dann passiert das Entscheidende innerhalb weniger Sekunden“, erzählt Uwe Müller.
Mit der Entscheidung, eine Familie zu gründen und in die Heimat zurückzukehren, findet der Filmemacher seine Stoffe inzwischen vor der Haustür. So ist die Dokumentation „Der Thüringer Wald“auch für die Reihe „Wildes Deutschland“entstanden. Ein Film über das Erzgebirge ist in der Endproduktion. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass es Uwe Müller mit der Kamera irgendwann wieder in die Welt zieht. „Die Reiselust steckt immer noch in mir.“
Ungestillte Reiselust