Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
„Schulz soll nicht so tun, als befänden wir uns in einem Jammertal“
BadenWürttembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann über Wege aus dem Umfragetief – und den SPDKanzlerkandidaten
BERLIN. Winfried Kretschmann formuliert bedächtig, der badenwürttembergische Ministerpräsident will sich nicht aus der Ruhe bringen lassen – schon gar nicht von schlechten Umfragen. Martin Schulz hat die SPD in Euphorie versetzt und den Grünen eine kleine Depression beschert. Wie findet Ihre Partei aus dem Umfragetief, Herr Kretschmann?
Winfried Kretschmann: Ich rate zur Geduld. Die Mühen der Ebene werden Schulz noch vor der Wahl erreichen. Er ist sicher eine starke Persönlichkeit, kommt sehr authentisch und glaubwürdig rüber. Man muss erst einmal froh sein, wenn man gute Gegner hat. Das fordert einen selber heraus und kann dazu führen, dass wir einen guten und fairen Wahlkampf bekommen. Starke Gegner müssen nicht unter die Gürtellinie gehen, müssen nicht mit abstrusen Dingen kommen, sondern können auf ihr Kernprogramm setzen. Und dann hat man einen guten Wettbewerb. Wir Grünen müssen unsere Kernthemen – den Klimawandel oder den dramatischen Artenrückgang oder auch den Datenschutz in der digitalen Welt – wieder stärker in die Mitte der Gesellschaft rücken. Dann werden wir ein gutes Wahlergebnis bekommen.
Schulz setzt auf einen Wahlkampf um Gerechtigkeit. Geht es in Deutschland wirklich so ungerecht zu?
Nein, diese Einschätzung teile ich nicht. In welchem Land geht es denn gerechter zu als in unserem? Man kann alles verbessern, aber Schulz soll jetzt nicht so tun, als befände sich Deutschland in einem Jammertal. Deutschland ist ein gut funktionierender Rechtsstaat mit einem engmaschigen Sozialsystem. Wir sind ein Stabilitätsfaktor in Europa. Wir haben eine stabile Wirtschaft. Das kann sich allerdings
schnell ändern ... ... und zwar wie?
Die Digitalisierung pflügt Gesellschaft, Politik und Wirtschaft um. Sie wird Arbeitsplätze freisetzen. Auf der anderen Seite haben wir Fachkräftemangel. Auf diese Megathemen kommt es an. Und darauf, Chancengerechtigkeit herzustellen. Unabhängig von sozialer Herkunft oder Geschlecht muss jede und jeder die gleiche Chance haben, das Beste aus seinem Leben zu machen. Das ist entscheidender als die alten Schlachten um Verteilungsgerechtigkeit, die Sozialdemokraten so gerne führen. Wir müssen vor Schulz keine Angst haben.
ExAußenminister Joschka Fischer warnte die Grünen vor einem Bündnis mit der Linkspartei. Die „Nationalisten von links“dürften nicht in die Bundesregierung. Geben Sie ihm recht?
Wir machen keine Ausschließeritis. Aber mit dem Kurs, den die Linke bisher im Bundestag fährt, ist sie kaum regierungsfähig. Die Linken tun so, als lebten wir noch in einer Nationalökonomie. Das ist aber längst vorbei. In der Außenpolitik ist die Linkspartei auch von gestern. Mit der Haltung von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht kann man die Bundesrepublik Deutschland mit Sicherheit nicht regieren. Aber es gibt ja auch Linke wie meinen Kollegen Bodo Ramelow. Mit ihm kann ich ordentlich zusammenarbeiten.