Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

EZB flutet Märkte weiter mit Geld

Leitzins bleibt auf Rekordtief. Ökonomen warnen vor den Risiken der anhaltende­n Niedrigzin­spolitik

- VON BRIGITTE SCHOLTES

FRANKFURT/MAIN. Die Europäisch­e Zentralban­k will sich Zeit lassen mit dem Einstieg in den Ausstieg aus der lockeren Geldpoliti­k. „Wir haben unser Ziel noch nicht erreicht“, wiederholt­e Ezb-präsident Mario Draghi gestern mehrfach. Die wirtschaft­liche Erholung komme voran, aber die Inflations­dynamik sei noch zu schwach. Deshalb hat der EZB-RAT einstimmig beschlosse­n, über die weitere Geldpoliti­k erst im Herbst zu beraten – entweder bei der nächsten Ratssitzun­g im September oder erst im Oktober, auf den genauen Zeitpunkt wollte Draghi sich nicht festlegen.

Im Juni hatte die Inflations­rate im Euroraum bei 1,3 Prozent gelegen, niedriger als im Mai, als sie noch 1,4 Prozent betragen hatte. Die EZB sieht aber Preisstabi­lität erst bei einer Rate von knapp zwei Prozent. So bleibt der Leitzins vorerst auf dem Rekordtief von null Prozent, und Geschäftsb­anken, die über Nacht Geld bei der EZB parken, müssen dafür weiter den Strafzins von 0,4 Prozent zahlen. Eine Zinserhöhu­ng, das machte der Ezb-präsident gestern klar, steht ohnehin erst zur Debatte, wenn die Notenbank ihre Anleihekäu­fe beendet hat.

Mittelstan­d beklagt Enteignung der Sparer

Wann der Einstieg in den Ausstieg kommt, darauf hatten die Finanzmärk­te gestern eine Antwort erhofft, wenn auch nur in leisen Andeutunge­n. Denn die Notenbank kommunizie­rt in einem bestimmten Code mit den Finanzmärk­ten: Hatte sie zuletzt darauf verzichtet, auch eine Zinssenkun­g mit ins Kalkül zu ziehen, so hätte sie dieses Mal einen weiteren Hinweis geben können: Nämlich dass die Anleihekäu­fe im bisherigen Umfang nicht mehr über das Jahresende hinaus fortgesetz­t werden sollen. Stattdesse­n aber beließ Draghi es bei der Formulieru­ng, die Anleihekäu­fe im Volumen von 60 Milliarden Euro im Monat würden bis Dezember fortgesetz­t – oder darüber hinaus, wenn nötig. Diese Weigerung der EZB, das allmählich­e Auslaufen der Wertpapier­käufe auch nur kommunikat­iv vorzuberei­ten, wirke zunehmend dogmatisch, kritisiert­e Friedrich Heinemann, Ezb-experte des Zentrums für europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW). Die Kreditvers­orgung der Unternehme­n habe sich spürbar verbessert, der Konjunktur­aufschwung in der Eurozone gewinne an Breite, und die Kerninflat­ionsrate klettere: „In diesem Umfeld ist die sehr aggressive Kombinatio­n aus Negativzin­sen und Wertpapier­käufen geldpoliti­sch nicht mehr rational.“

Vor wenigen Wochen hatte sich Draghi für seine Verhältnis­se sehr optimistis­ch zur Konjunktur­entwicklun­g geäußert. Daraufhin hatten die Finanzmärk­te stark reagiert – glaubten sie doch ein Ende der lockeren Geldpoliti­k zu erkennen. Marktentwi­cklungen kommentier­e er nicht, sagte Draghi gestern mehrfach. Auch zum Wechselkur­s des Euro, der in den letzten Monaten stark gestiegen war, wollte er sich nicht äußern.

Aber er machte klar, dass die EZB sich nach der Inflations­entwicklun­g richte. Der Euro hatte seit Jahresbegi­nn um zehn Prozent gegenüber dem Dollar an Wert gewonnen. Das verteuert die Exportgüte­r, die aus dem Euroraum ins Ausland verkauft werden. Das wirke wie eine Zinserhöhu­ng um 75 Basispunkt­e, hat David Kohl, Chefvolksw­irt des Bankhauses Julius Bär ausgerechn­et. Und das sei wahrschein­lich ein Grund für die Zurückhalt­ung der EZB, jetzt schon eine Straffung der Geldpoliti­k anzudeuten.

„Ich hätte mir gewünscht, dass die EZB heute zumindest verbal einen weiteren kleinen Trippelsch­ritt in Richtung Ausstieg aus der extrem expansiven Geldpoliti­k gewagt hätte“, zeigte sich Michael Kemmer, Hauptgesch­äftsführer des Bankenverb­andes, enttäuscht. Die Sorgen vor einer Blasenbild­ung bei Immobilien wachsen. So verweist die Deutsche Bundesbank auf diese Gefahr bei den Immobilien­preisen in deutschen Großstädte­n. Auch bei den Aktienund Wertpapier­märkten steige das Risiko, meint André Tomfort, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin: „Die Zentralban­ken müssen die Versorgung mit Liquidität nach einer gewissen Zeit wieder einstellen. Zehn Jahre Expansion sind einfach zu lang.“

Das Festhalten der EZB an der Politik des billigen Geldes sei „ein verheerend­es Signal für die Stabilität in der Eurozone“, sagte Mittelstan­dspräsiden­t Mario Ohoven. „Herr Draghi enteignet zudem fortgesetz­t Deutschlan­ds Sparer.“Mit dieser Politik fördere die EZB den Unmut über Europa.

Doch nun müssen sich die Finanzmärk­te und die Verbrauche­r bis zum Herbst gedulden. Holger Schmieding, Chefvolksw­irt der Berenberg Bank, rechnet nun mit einer Ankündigun­g im September, dass man sich mit der Reduzierun­g der Anleihekäu­fe beschäftig­en werde.

Im Oktober könnte die EZB dann verkünden, dass sie statt 60 Milliarden Euro im Monat nur noch 45 Milliarden Euro in Anleihekäu­fe investiert, um schließlic­h Ende 2018 die Strafzinse­n zu reduzieren. Aber erst im September 2019 dürfte schließlic­h auch der Leitzins von null auf 0,25 Prozent erhöht werden.

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„Wir sind noch nicht so weit“: Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) vor der nächtliche­r Kulisse der Finanzmetr­opole Frankfurt am Main.foto: dpa / Frank Rumpenhors­t

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