Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Harte Worte Richtung Ankara

Nach der Inhaftieru­ng von Menschenre­chtlern in der Türkei verschärft die Bundesregi­erung den Ton

- VON MICHAEL BACKFISCH

BERLIN. War da was? Im Presseraum des Auswärtige­n Amtes stehen die Journalist­en am Donnerstag­vormittag dicht an dicht. Sie warten auf eine Erklärung des Bundesauße­nministers zur Eskalation der Lage in der Türkei; Sigmar Gabriel (SPD) hat dafür extra seinen Urlaub unterbroch­en. Plötzlich huscht Spdkanzler­kandidat Martin Schulz vorbei. Kaum ist er da, ist er auch schon wieder weg – auf dem Weg zu Gabriel. Als dieser mit Verspätung zur Pressekonf­erenz erscheint, ist Schulz kurz mit dabei. Er umarmt Gabriel einen Moment lang und verlässt dann den Raum. Die Botschaft: Der Chef und Kanzlerkan­didat der SPD zieht hier die Fäden. Es ist Wahlkampf. Eine gemeinsame Pressekonf­erenz von Gabriel und Schulz hätte sich als politische Instrument­alisierung des Außenminis­teriums verboten.

Gabriel verkündet eine „Neuausrich­tung unserer Türkei-politik“. Er will eine härtere Gangart gegenüber Ankara einschlage­n. Die Hinweise des Außenminis­teriums für Reisen in die Türkei werden verschärft. Die Hermesbürg­schaften werden überprüft. Auf Eu-ebene soll eine Einschränk­ung von Finanzhilf­en für die Türkei diskutiert werden. Er habe sich mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem Spd-kanzlerkan­didaten Schulz abgesproch­en, betont Gabriel.

Was bedeuten die verschärft­en Reise-hinweise?

Gabriel scheut vor dem ganz großen Paukenschl­ag einer förmlichen Reisewarnu­ng zurück. Diese wird gewöhnlich bei einer konkreten Gefahr für Leib und Leben ausgesproc­hen. Nach der Inhaftieru­ng von sechs Menschenre­chtlern – darunter der Berliner Peter Steudtner – durch die Türkei war spekuliert worden, ob die Bundesregi­erung zu diesem Mittel greifen werde. Doch neu ist nun der Sicherheit­shinweis: „Personen, die aus privaten oder geschäftli­chen Gründen in die Türkei reisen, wird zu erhöhter Vorsicht geraten.“Der Hinweis, der bislang nur für einzelne Personengr­uppen gegolten hatte, betrifft nun alle Bundesbürg­er. Darüber hinaus wird Türkei-reisenden empfohlen, sich bei der Botschaft oder bei Konsulaten registrier­en zu lassen. Die deutschen Reiseveran­stalter halten jedoch trotz der politische­n Krise an ihrem Türkei-geschäft fest. „Die Reisen für die Urlauber finden wie gebucht statt“, teilt der Deutsche Reiseverba­nd (DRV) mit. „Es gelten die regulären Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen und damit die Stornound Umbuchungs­gebühren.“Wer sich unsicher fühle, solle sich an den betreffend­en Reiseveran­stalter oder das Reisebüro wenden, rät Ellen Madeker vom DRV. „In der Regel fallen jedoch Storno- beziehungs­weise Umbuchungs­gebühren an“, sagt Madeker dieser Zeitung. Der Verband verweist darauf, dass das Auswärtige Amt „keine Neubewertu­ng der Sicherheit­slage“vorgenomme­n habe. Allerdings schwächelt der Türkei-tourismus nach einer Serie von Terroransc­hlägen und dem gescheiter­ten Militärput­sch im Juli 2016.

Was bedeutet eine Überprüfun­g der Hermes-bürgschaft­en?

Die deutsche Wirtschaft muss sich auf deutlich höhere Risiken für Geschäfte mit der Türkei einstellen.

Die Bundesregi­erung überprüft laut Gabriel die Vergabe von Investitio­nskrediten europäisch­er Entwicklun­gsbanken wie der EIB. Auch die Absicherun­g von Exporten über sogenannte Hermes-bürgschaft­en solle überdacht werden. Hermes-bürgschaft­en sind staatliche Exportkred­itversiche­rungen für deutsche Firmen in politisch riskanten Ländern. Zahlt ein ausländisc­her Abnehmer nicht, springt der deutsche Staat ein.

Kappt die Europäisch­e Union Finanzhilf­en für die Türkei?

Nach Angaben von Außenminis­ter Gabriel wird es in den kommenden Tagen und Wochen Gespräche in der EU über die Einschränk­ung europäisch­er Finanzhilf­en für die Türkei geben. Das ist jedoch nicht so einfach. Bislang sind die Beitrittsg­espräche zwischen Brüssel und Ankara noch nicht offiziell eingestell­t worden. Deshalb hat die Türkei Anspruch auf sogenannte Vorbeitrit­tshilfen. Im Eu-finanzplan für den Zeitraum von 2014 bis 2020 wurden dafür 4,45 Milliarden Euro reserviert. Bislang sind allerdings nur rund 167 Millionen Euro an die Türkei geflossen, weil es nicht genügend geeignete Projekte gab.

Wie reagiert Ankara auf den verschärft­en Ton?

Der türkische Präsident Erdogan hüllt sich in Schweigen und schickt seinen Sprecher vor. Die deutschen Reaktionen seien „unangemess­en und unannehmba­r“, sagt Ibrahim Kalin. Berlin wolle türkischen Richtern „Befehle“erteilen.

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Karikatur: Nel
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Foto: Kayhan Ozer

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