Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Druck auf Autokonzerne wächst
Daimler kann für Offenlegung des Autokartells auf Straferlass hoffen – Brüsseler Behörden kündigen hartes Vorgehen an
BRÜSSEL/BERLIN. Die deutschen Autokonzerne hüllen sich weiter in Schweigen zu dem Verdacht, sie hätten jahrelang geheime Absprachen getroffen und damit auch die Keimzelle des Dieselskandals gelegt. Doch in den Konzernen steigt die Nervosität. VW, der weltweit größte Autobauer, ruft seine Aufsichtsräte am Mittwoch zu einer Krisensitzung zusammen.
Gründe zur Beunruhigung gibt es viele. Es drohen Verbraucherklagen, Anlegerklagen, Kartellverfahren und Kursverluste. Es drohen Milliardenstrafen. Die Investoren an der Börse warten nicht auf Erklärungen. In weniger als zwei Handelstagen haben die drei Automobilaktien im Dax mehr als 11,4 Milliarden Euro an Wert verloren. Allein die Kartellstrafen könnten viele Milliarden Euro hoch ausfallen.
Daimler ist dabei wohl noch in der komfortabelsten Lage. Der Konzern ist offenbar mit einer Selbstanzeige bei den Wettbewerbsbehörden wegen des mutmaßlichen Kartells in der Autoindustrie der Volkswagen AG zuvorgekommen. Nach Informationen von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR wandte sich der in Stuttgart ansässige Daimler-konzern deutlich früher als Volkswagen an die Behörden.
Damit kann der schwäbische Autohersteller darauf hoffen, ohne Strafe davonzukommen, sollte die Brüsseler Eu-kommission Geldbußen verhängen. Volkswagen hatte sich offenbar danach gemeldet und könnte unter Umständen einen Strafnachlass von bis zu 50 Prozent erhalten. BMW, der dritte Konzern im Bunde, müsste voll zahlen.
Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller rechnet wegen des möglichen Autokartells mit einer Klagewelle. Zehntausende Autokäufer könnten Schadenersatz für überteuerte Fahrzeuge verlangen, wenn sie wegen Absprachen der Hersteller zu viel für ihre Fahrzeuge gezahlt hätten, sagte der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen der „Süddeutschen Zeitung“. Der Gesetzgeber sollte eine Musterklage ermöglichen, damit Kunden nicht einzeln vor Gericht gehen müssen, sondern sich zusammentun können.
Ig-metall-chef Jörg Hofmann forderte „eine vollumfängliche Aufklärung der Vorgänge. Klar ist, dass das deutsche und europäische Kartellrecht nicht verletzt werden darf und Absprachen zulasten von Verbrauchern sowie des Klima- und Umweltschutzes völlig inakzeptabel wären“, sagte der Gewerkschaftschef, der auch Mitglied des Vw-aufsichtsrats ist, der „Welt“.
Das Kartell blamiert die Eukommission
Die Wettbewerbsbehörde der Eu-kommission und nicht das Bundeskartellamt wird wohl die Untersuchungen zum Verdacht illegaler Absprachen unter deutschen Autoherstellern federführend vorantreiben. „Eine Verfahrenseinleitung durch das Bundeskartellamt zum derzeitigen Zeitpunkt kommt daher nicht in Betracht“, unterstrich das Bundeskartellamt. Die Kartellwächter in Brüssel und Bonn arbeiten in solchen Fällen aber eng zusammen.
Der „Spiegel“hatte über ein angeblich seit mehr als 20 Jahren bestehendes Kartell deutscher Autobauer berichtet. Vertreter von VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler hätten sich seit den 90er-jahren über ihre Fahrzeuge, Kosten, Zulieferer und auch die Reinigung von Dieselabgasen abgesprochen.
Die Entdeckung des möglichen Autokartells ist für die Europäische Union peinlich. Denn zwei Jahre nach dem Auffliegen des Abgasbetrugs, ein Jahr nach der Abstrafung eines internationalen Lkw-kartells kommt jetzt heraus: Das war es noch lange nicht. Die Schlüsselindustrie in Europas Volkswirtschaft Nummer eins hat offenbar Kungelei statt Konkurrenz betrieben – blamabel nicht nur für die Kartellaufsicht und Politik in Deutschland, sondern auch für die Hüter des Wettbewerbs im europäischen Binnenmarkt. Entsprechend vollmundig fällt die Reaktion der Brüsseler Eu-zentrale aus. Jetzt müssten „endlich alle ihre Arbeit tun und im Rahmen der Zuständigkeit ihrer Verantwortung gerecht werden“, sagt Kommissionschef Jean-claude Juncker.
Glaubwürdigkeit der BRD steht auf dem Spiel
Es ist eine Rundumermahnung, bei der sich Hersteller, technische Dienste, Zulassungsbehörden und die Politik angesprochen fühlen dürfen. Die Brüsseler Eu-zentrale, so die Botschaft, hat begriffen, was die Stunde geschlagen hat, und will mit gutem Beispiel vorangehen.
Bereits mit dem Fall beschäftigt ist die Brüsseler Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Wie weit ihre Voruntersuchung gediehen ist, mag die Dänin nicht enthüllen. Sie lässt nur bestätigen, dass ihrer Abteilung Informationen zu dem Fall vorlägen.
Michael Cramer, Grünenverkehrsexperte und vormals Chef des Transportausschusses im Europaparlament, ist empört: „Die größten deutschen Autofirmen haben kartellrechtlich kriminell agiert. Und von denen sitzt keiner hinter Gittern, keiner ist angeklagt – das ist ein Skandal! Wenn es um die Automobilbetrüger geht, ist der Rechtsstaat offenbar außen vor.“Cramer verlangt von Vestager harte Strafen wie im Falle Google. Auf dem Spiel stehe die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik, die gegenüber anderen so gern auf Rechtsstaatlichkeit und Umweltschutz poche. „Kein Wunder, dass die Polen sauer sind auf die Deutschen. Die reden immer vom Klimaschutz und wollen die polnischen Kohlekraftwerke schließen. Aber wenn es gegen die Automobilindustrie geht, ist Umweltschutz egal.“