Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
„Wenn das neue Schulgesetz nicht kommt, droht Chaos“
Spd-bildungspolitiker Hartung mahnt die rot-rot-grünen Koalitionäre, die Kritik an der Novelle auszuhalten
ERFURT. Der Bildungspolitiker der Spd-landtagsfraktion, Thomas Hartung, warnt im Tlz-interview davor, die Schulgesetzesreform abzublasen.
Herr Hartung, Bildungsminister Helmut Holter (Linke) will auf dem Land nun auch kleinere Grundschulen zulassen. Sind Sie mit dieser Korrektur des Schulgesetzes zufrieden?
Dass Dorfschulen mindestens 80 Schüler haben sollen, halte ich für eine realistische Kennziffer. Holter hat damit auf berechtigte Kritik der Landkreise als Schulträger reagiert und folgt dem Grundsatz: Kurze Beine, kurze Wege. Ich finde das Gesetz aber in Gänze richtig gut. Dennoch merke ich innerhalb unserer rot-rot-grünen Koalition, dass die Leute nervöser werden. Und das bereitet mir Sorgen.
Inwiefern?
Die vorgelegten Mindestgrößen bedeuten, dass viele Schulen kooperieren müssen, weil sie ansonsten zu klein sind.
Aber das ist doch genau das, was Linke, SPD und Grüne beabsichtigen.
Das stimmt. Gleichwohl wächst bei einigen von uns die Angst, dass die CDU die Debatte mit ihrer Panikmache anfeuert und wird uns damit eine weitere Pleite wie bei der gescheiterten Gebietsreform einhandeln. Etliche Koalitionäre befürchten, dass wir unseren Kurs nicht durchhalten, weil der Widerstand der Schulträger und Bürger zu groß ist. Wenn das Schulgesetz im Frühjahr 2019 im Landtag zur Abstimmung steht, sind wir mitten im Kommunalwahlkampf.
Klingt so, als könnten Sie sich vorstellen, dass die Novelle doch nicht verabschiedet wird.
Ehrlich gesagt, bin ich bei dem Thema völlig emotionslos. Demnächst steht ein Spd-landesparteitag an. Sollte dort beschlossen werden, dass das Schulgesetz in der jetzigen Form nicht gewollt wird, dann ist es so. Ich bin Parteisoldat und halte mich an Mehrheitsentscheidungen.
Aber die Konsequenz wäre?
Das würde erstens bedeuten, dass der Stellenabbaupfad endgültig Geschichte wäre. Zweitens: Innerhalb kürzester Zeit bräuchten wir weitere 1000 neue Lehrer. Und zwar zusätzlich zu allen Einstellungen, die wir bereits beschlossen haben.
Aber das ist doch illusorisch, Bereits jetzt gibt es ja zu wenige Bewerber auf freie Lehrerstellen.
dass der Stundenausfall noch weiter ansteigen würde. Und am Ende, prophezeie ich, wird man dann in einem Krisenmodus neue Lösungen finden müssen: Das wird dazu führen, dass kleine Schulen dicht gemacht werden müssen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Sie meinen, anstelle der angestrebten Kooperationen würde es dann auf jeden Fall zu einem Schulsterben kommen.
Natürlich. Im Eichsfeld oder Saale-orla-kreis gibt es Orte mit Schulen, die haben 150, 160 Schüler und 16 bis 18 Lehrer. So ein Betreuungsverhältnis haben wir in keiner Stadt. Das ist dann nicht mehr aufrechtzuerhalten. Dann werden dieselben Schulträger die jetzt gegen Mindestgrößen Sturm laufen, kleine Schulen schließen müssen. Deshalb sage ich: Die rot-rot-grüne Koalition muss die Kritik aushalten und das Gesetz verabschieden. Alles andere führt ins Chaos.
Und Lehrer müssen in Kauf nehmen, mehr zu pendeln?
Nicht unbedingt. Die rechtliche Regelung zurzeit sieht vor, dass Lehrer im gesamten Schulamtsbezirk eine Vertretung übernehmen müssten, also in einem Fünftel von Thüringen. Wenn Lehrer künftig in einem Kooperationsmodell integriert sind, ist die Wahrscheinlichkeit relativ gering, dass sie außerhalb dieser fünf, sechs Schulen, die dazu gehören, eingesetzt werden.
Der Lehrerverband ist der Ansicht, dass nicht nur bei Grundschulen nachgebessert werden muss: Auch die Anforderungen an andere Schulen seien zu hoch.
Wenn es vernünftige, sachlich fundierte Begründungen gibt, bin ich offen für weitere Veränderungen bei den Mindestgrößen. Sollten zehn Schüler weniger bedeuten, dass sofort 30 Prozent der Schulen aus dem Schneider sind und nicht mehr schließen müssen, können wir darüber sicherlich reden.
Gemeinschaftsschulen kommen bei den Vorgaben mit 264 Schülern am besten weg. In Gymnasien müssen mindestens 540 Schüler lernen. Warum?
Thüringen ist das Land der kleinen Gymnasien. Deshalb setzen wir hier auf Kooperationen. Und ja, ich gebe es zu: Ich bin ein Fan der Gemeinschaftsschule und des längeren gemeinsamen Lernens. Wir sollten aufhören so zu tun, als müssten wir veraltete Strukturen für immer und ewig konservieren. Das kostet Geld und vor allem Manpower, in diesem Fall Lehrer, die wir nicht haben.