Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
„Die Idee, während des Studiums eine Familie zu gründen, hat uns beiden gut gefallen“
Ein Studentenpaar aus Erfurt erzählt von seinem Alltag mit Kind – Einfach ist es nicht immer – Bereut haben die beiden ihre Entscheidung trotzdem nicht
ERFURT. Gut gelaunt radeln Maria Hoffmann und Niels Jüngling mit Bjarne an der Fachhochschule (FH) Erfurt vorbei. Soeben haben die beiden Studierenden ihren Sohn von der Tagesmutti abgeholt. Denn obwohl für die beiden noch Semesterferien sind, halten sie am gewohnten Alltagsrhythmus fest. Das heißt: sieben Uhr aufstehen, frühstücken und fertigmachen für den Tag. Um neun Uhr geht es für Bjarne dann zur Tagesmutti und für Maria zur Arbeit, ein Nebenjob in einem Architekturbüro. Niels arbeitet ebenfalls, als studentischer Mitarbeiter sowie ehrenamtlich für diverse Projekte. Am späten Nachmittag kommt die junge Familie wieder zusammen. Bis zum Abendbrot wird gemeinsam gespielt, getanzt oder es werden Bücher angeguckt. Erst ab etwa 20 Uhr bleibt den Eltern Zeit, sich um Studienangelegenheiten oder E-mails zu kümmern.
„Klar ist es nicht immer leicht, Kind und Studium unter einen Hut zu bekommen. Dennoch hat uns die Idee, uns noch während des Studiums auf ein Kind einzulassen, beiden gut gefallen“, sagt Niels Jüngling. Und: „Der Vorteil daran ist, dass man sich seine Zeit freier einteilen kann und vor allem etwas von seinem Kind hat. Wir sind viel flexibler als Eltern mit einem Vollzeitjob, die ihr Kind selten vor 18 Uhr zu sehen bekommen.“Als der Masterstudent der Stadt- und Raumplanung Maria vor zweieinhalb Jahren kennengelernt hat, war sie für ihn die erste Frau, mit der er sich auch die Gründung einer Familie vorstellen konnte. „In meinen vorherigen Beziehungen war das nie ein Thema für mich“, erinnert sich der 32-Jährige.
Ohne Nebenjob funktioniert es nicht
„Wir haben viel darüber geredet. Als Niels dann zwei Wochen alleine in den Urlaub gefahren ist, haben wir uns einander Bedenkzeit gegeben“, blickt Maria zurück. Während sich die 28Jährige überlegen sollte, ob sie sich auch eine Zukunft ohne Kinder vorstellen könne, sollte Niels für sich klären, ob er bereit sei, Vater zu werden.
„Nach nur zehn Tagen stand Niels überraschend vor der Tür“, erzählt Maria. Beide waren davon überzeugt, ihre Beziehung nicht von einem Kind abhängig machen zu wollen. „Mit Niels hätte ich mir auch ein Leben ohne Kind vorstellen können. Zugleich hat es mich gefreut, dass er offen für eine Familiengründung mit mir war“, verrät die Architektur-studentin. Und dann ging es schneller als gedacht. „Wir hatten gerade den Mietvertrag für unsere Zwei-raum-wohnung unterschrieben, als wir erfahren haben, dass Maria schwanger ist“, lacht Niels. Sie blieben vorerst.
Bis es für Maria sechs Wochen vor der Geburt in den Mutterschutz ging, studierte sie ganz regulär in Vollzeit weiter. Die ersten vier Wochen, als Bjarne dann auf der Welt war, blieben beide Elternteile zu
Hause. „Das war total schön. Wir konnten die
Zeit zu dritt sehr genießen. Wir haben viel miteinander gekuschelt und hatten genug Zeit, uns aneinander zu gewöhnen“, schwärmt Maria. Während sie sich anschließend ein Urlaubssemester und ein Semester in Teilzeit gönnte, setzte Niels sein Master als Vollzeitstudent fort. Zudem nahm er seine Tätigkeit als Tutor wieder auf und engagierte sich mit Gremientätigkeiten im Fakultäts- und Fachschaftsrat.
„Es funktioniert wirklich gut, das Studium mit unserem Famiangaben lienleben zu vereinbaren“, stellt Maria zufrieden fest. Schon während der Schwangerschaft habe sie etwa von dem Beratungsangebot an der FH Erfurt profitieren können. Und seitdem sie als Mutter wieder Lehrveranstaltungen besucht, erfahre sie viel Verständnis und Entgegenkommen vonseiten der Professoren. Beinahe stolz erzählt die angehende Architektin, wie sie zur Initiatorin für einen Wickelraum im Fakultätsgebäude wurde: „Entgegen den auf dem Campusplan für Eltern habe ich am Standort Schlüterstraße vergeblich nach einer Wickelstation gesucht. Wie sich herausstellte, standen die Einzelteile für den Wickeltisch alle noch im Lager. Es hatte bisher einfach noch keiner gebraucht. Erst auf unsere Anfrage hin wurde er schließlich zusammengebaut.“Wenngleich es die vielen positiven Erfahrungen sind, die Maria und Niels darin bestätigen, sich richtig entschieden zu haben, gab es auch Momente, in denen alles zu scheitern drohte. Hatte das Studi-pärchen die Doppelbelastung möglicherweise unterschätzt? Anders als das Kind eines befreundeten Elternpaars, war Bjarne vor allem im ersten Jahr ein schlechter Schläfer. „Es gab Nächte, in denen hat Bjarne nicht einmal eine halbe Stunde durchgeschlafen“, erinnert sich Maria Hoffmann. In einem Schlafprotokoll notierte sie bis zu elf Schreiphasen pro Nacht: „Das war körperlich wie mental eine enorme Belastung, auch für die Beziehung. Du wirst sehr dünnhäutig und irgendwann fehlt dir einfach die Energie und du hörst auf, zu funktionieren.“
Besonders angespannt sei die Situation in der Prüfungsphase von Niels gewesen. „Auf 60 Quadratmetern gibt es nicht viele Alternativen, wenn das Kind die ganze Nacht schreit“, gibt der junge Vater zu bedenken. So habe Niels vor einer Klausur schließlich mit Ohropax auf der Couch geschlafen. Ein Zustand auf Dauer konnte dies für die Familie jedoch nicht sein. Rückblickend staunen sie fast über sich selbst, an den Strapazen nicht zerbrochen zu sein. Erklären können sie es sich nur anhand der stimmigen Grundbasis: „Wir wissen einfach genau, dass wir auch als Omi und Opi noch zusammen sein wollen. Daher gehen wir Herausforderungen gemeinsam an, geben einander Halt und kommunizieren ganz viel.“
Inzwischen habe sich die Lage wieder beruhigt und Bjarne schläft die Nächte durch. Was den beiden nach wie vor Sorgen bereite, sei die finanzielle Situation. „Als Studi haben wir kaum Einnahmen. Derzeit leben wir von meinem Bafög und den Gehältern, die wir in Nebenjobs verdienen. Hinzu kommt das Kindergeld“, rechnet Niels vor. Die Finanzierung sei von Beginn an die größte Herausforderung für die beiden gewesen. Zwar seien sie bisher gut zurechtgekommen, „doch richtig teuer wird es erst noch. In den ersten zwei Jahren kostet ein Kind ja noch nicht so viel“, befürchtet Maria. Und erklärt: „Wenn man seinen Lebensstandard etwas herunterschraubt, dann funktioniert das schon. Wir legen viel Wert auf gute Nahrung. Ansonsten kaufen wir zum Beispiel Kleidung gern auf dem Flohmarkt. Kinder wachsen ohnehin viel zu schnell aus allem heraus.“Kritisch sei es vor allem, wenn kurzfristig größere Anschaffungen bevorstehen. „Würde bei uns zum Beispiel die Waschmaschine kaputt gehen, hätten wir finanziell ein Problem. Das ist nicht mal eben so drin“, sagen die jungen Eltern.
Hinzu käme, dass sie erst im Juli in eine neue Wohnung gezogen sind. „Ohne die Unterstützung von Familie und Freunden hätten wir das gar nicht geschafft“, geben sie zu. Und obwohl es ein großer Aufwand war, freut sich Maria nun umso mehr über die Vorteile ihres neuen Domizils: „Hier haben wir als Familie genug Platz, wohnen nah am Zentrum und haben den Stadtpark in der Nähe.“Zudem schwärmt sie von der freundlichen Hausgemeinschaft, zu der auch eine befreundete WG in der Etage über ihnen gehöre: „Das ist für uns ein Glücksfall. So können wir am Abend auch mal mit unseren Freunden zusammensitzen, ohne das Haus zu verlassen und für Bjarne einen Babysitter zu engagieren.“
Auch längerfristig können sich die beiden Studierenden vorstellen, hier wohnen zu bleiben. Nicht zuletzt aufgrund der Nähe zu Freunden und der Familie. „Derzeit versuchen wir, einen Tag bei Oma und Opa fest einzuplanen. Dann kann Bjarne auch mal eine Nacht dort schlafen und wir haben wieder mehr Zeit für uns als Paar“, verrät Niels. Denn das sei das einzige, was sie vermissen, seitdem sie Eltern sind.
Überraschender Heiratsantrag im Urlaub
Entsprechend gestaltete sich auch der erste gemeinsame Familienurlaub anders, als es sich die beiden erhofft hatten. „Da mussten wir schmerzhaft lernen, dass Urlaub mit einem Kleinkind einfach nur Alltag in einer anderen Umgebung heißt“, berichtet Maria Hoffmann. Mittlerweile könne sie darüber lachen. „Das gehört dazu. Wir versuchen einfach, aus solchen Erfahrungen zu lernen, sodass wir es beim zweiten Kind dann besser wissen“, erzählt Maria und zwinkert Niels keck zu. In diesem Jahr ging es zusammen mit den Großeltern in den Urlaub ins Zillertal im österreichischen Bundesland Tirol. Noch immer schwärmt Niels von der gewonnenen Zweisamkeit und verrät mit strahlenden Augen: „Als wir eine Nacht für uns hatten, sind wir zu zweit auf einen Berg gewandert und haben in einer Hütte übernachtet. Kurz vor Sonnenuntergang habe ich Maria dann einen Heiratsantrag gemacht. Die Kulisse konnte auf knapp 2500 Meter Höhe vor herrlichem Alpenpanorama kaum romantischer sein.“Sichtlich gerührt habe Maria schließlich mit einem freudigen „Ja“geantwortet. Bevor sich die beiden frisch Verlobten jedoch eifrig in die Hochzeitsplanung stürzen können, kehrt zunächst der Alltag zurück. Und da steht der jungen Familie ab diesem Montag eine spannende Zeit bevor. Dann startet nicht nur das neue Wintersemester und beide Elternteile werden wieder in Vollzeit studieren. Auch für Bjarne wird es eine Veränderung geben: „Statt wie bisher zur Tagesmutti, wird Bjarne die Campus-kita Kinderland an der Universität Erfurt besuchen. Dort haben wir einen Platz bekommen“, erzählt Maria. Gebracht und abgeholt wird der kleine Mann dabei nach wie vor mit dem Fahrrad.