Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Wie viele Auto-jobs sind in Gefahr?
Experten bezweifeln, dass neue Klimavorgaben für die Autohersteller zu einem massiven Arbeitsplatzverlust führen
BERLIN. Vw-vorstandschef Herbert Diess bemüht drastische Worte, wenn er über die Konsequenzen von schärferen Umweltauflagen für die deutschen Autohersteller spricht. „So eine Industrie kann schneller abstürzen, als viele glauben“, sagte der Chef von 650.000 Menschen der „Süddeutschen Zeitung“. Die Eu-umweltminister haben sich darauf geeinigt, dass der Co2-ausstoß von Neuwagen bis 2030 um weitere 35 Prozent sinken soll. Diess geht das zu weit, die Auflagen seien nur mit einem hohen Anteil von Elektroautos zu erreichen. Der Branche drohe eine „schmerzhafte Revolution“statt eines „beherrschbaren Übergangs“.
Bei zu scharfen Anforderungen würden in zehn Jahren ein Viertel der Arbeitsplätze in den Werken des Vw-konzerns entfallen, so Diess, insgesamt 100.000. „Die Transformation in dieser Geschwindigkeit und mit den Auswirkungen ist kaum zu managen“, sagte er.
Schon aktuelle Auflagen sind ein Problem
Claudia Kemfert, Energieexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), ist empört über solche Aussagen. Die Politik dürfe keine Rücksicht nehmen auf solche Warnungen. „Umgekehrt wird ein Schuh draus. Zu viel Rücksichtnahme und das lange Festhalten an Vergangenem gefährden zukunftsfähige Jobs – dies kann man bei der Energiewirtschaft beobachten“, sagte sie der „Passauer Neuen Presse“. Eine Verkehrswende mit klimaschonenden Antrieben schaffe ihrer Ansicht nach „enorme wirtschaftliche Chancen und zukunftssichere Arbeitsplätze“.
Tatsächlich stellt der Umstieg auf alternative Antriebe die deutsche Autoindustrie vor große Herausforderungen. Ein Viertel der Wertschöpfung entfällt auf Motor und Getriebe, die bei E-autos viel weniger komplex sind. In diesem Bereich sehen Experten asiatische Hersteller und den Us-pionier Tesla als führend an. Sie haben jahrelange Produktionserfahrung, während die deutsche Elektro-revolution noch aussteht. Das Münchener Ifo-institut geht von 457.000 Arbeitsplätzen aus, die am Verbrennungsmotor hängen. Insgesamt arbeitendem Branchenverband VDA zufolge 820.000 Menschen bei Herstellern und Zulieferern. Auch Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer glaubt nicht an die von Vw-chef Diess aufgebaute Drohkulisse des massenhaften Arbeitsplatzverlustes. „Ich glaube, das Gegenteil wird der Fall sein. Wenn die Vorgaben zu lasch wären, dann hätten wir das Risiko, dass wir 200.000 Jobs verlieren“, sagte er dem NDR. Die neuen Vorgaben beschleunigten den Wandel.
Dabei haben die Autobauer schon ein großes Problem mit den aktuellen Umweltauflagen. Bis 2020 müssen sie den Co2ausstoß ihrer Flotte im Schnitt unter 95 Gramm je Kilometer bringen. Sonst drohen Milliardenstrafen. Ein Blick in die Statistik fällt ernüchternd aus: Die in diesem Jahr in Deutschland neu zugelassenen Pkw kommen im Schnitt auf 130,2 Gramm Kohlendioxid je Kilometer. Im Vorjahr waren noch es 127,9 Gramm. Die Emissionen steigen, statt zu sinken. Die Hersteller verkaufen immer mehr schwere SUV – und sie hatten auf den Diesel gesetzt. Der stößt deutlich weniger CO2 aus als ein Benziner. Doch weil nach dem millionenfachen Betrug bei der Abgasreinigung und drohenden Fahrverboten das Vertrauen in den Selbstzünder erschüttert ist, brechen die Absatzzahlen ein. Laut Kraftfahrt-bundesamt (KBA) verkaufen die Autobauer in diesem Jahr ein Fünftel weniger Diesel als im Vorjahr. Das verschärft die Lage zusätzlich.
Die um 35 Prozent strengeren Umweltauflagen bis 2030 ließen sich laut Vw-chef Diess nur erfüllen, wenn weit mehr als jedes dritte Auto einen reinen Elektroantrieb hat. Im Jahr 2018 sieht die Realität noch völlig anders aus. Bis Ende September sind 97.313 Hybrid-pkw, also Fahrzeuge mit Verbrennungsund Elektromotor, neu zugelassen worden. In der Kba-statistik kommen sie auf 3,6 Prozent Marktanteil. Außerdem sind 24.574 reine Elektroautos neu auf die Straße gekommen, 0,9 Prozent des Automarkts.