Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
„Wir verneigen uns vor den Opfern“
Beim Staatsbesuch in Griechenland will Bundespräsident Steinmeier nach vorne schauen – doch die Reparationsfrage steht im Raum
ATHEN. Der Bundespräsident hat sich sehr früh von seinem Hotel am Syntagma-platz unterhalb der Akropolis auf den Weg gemacht. Auf Frank-walter Steinmeier wartet ein Besuch im „Herz der Hölle“. Es sind nur knapp sechs Kilometer bis Chaidari im Westen der Hauptstadt. Dort pferchte die SS während der Besatzung im Zweiten Weltkrieg Tausende Juden im größten deutschen Konzentrationslager auf hellenischem Boden ein. Wer das überlebte, wurde in die Vernichtungslager im Osten deportiert und dort ermordet.
Chaidaris Bürgermeister Michaelis Selekos zeigt Steinmeier die zweistöckige Baracke mit den dunklen Zellen. Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender legen Blumen nieder. Von dem Besuch gibt es viele Bilder. Mehr aber nicht. Die deutschen Journalisten, die Steinmeier auf seiner dreitägigen Reise in das Euro-krisenland begleiten, dürfen in dem früheren KZ nicht dabei sein. Es sollte ein stilles Gedenken sein, heißt es.
Ein paar Stunden später, nach seinem Treffen mit Ministerpräsident Alexis Tsipras vom linken Syriza-bündnis, entschuldigt sich Steinmeier für die Nazi-verbrechen. „Wir verneigen uns vor den Opfern, die Folterungen erlitten haben, die von Athen aus in KZS nach Dachau und Auschwitz geschickt worden und dort zu Tode gekommen sind. Aber vor allen Dingen bitten wir um Verzeihung, hier in Griechenland, für das, was geschehen ist.“
Der von Steinmeier bewusst gesetzte Auftakt seines Staatsbesuchs zeigt, dass der angestrebte Neustart im deutsch-griechischen Verhältnis nicht ganz einfach ist. In der Euro-schuldenkrise wurden in beiden Ländern kräftig Vorurteile gepflegt, alte Wunden rissen auf. Tage vor Steinmeiers Ankunft geistern erneut gigantische Zahlen durch die Medien, die Griechenland als Reparationen für Ns-kriegsverbrechen von Deutschland eintreiben wolle. Mehr als drei Jahre alt ist eine Studie, in der Experten des griechischen Finanzministeriums und der Zentralbank Forderungen von bis zu 330 Milliarden Euro auflisteten.
Die Deutschen kommen in Scharen
Berlin will sich darauf nicht einlassen. Die Reparationsfragen seien geklärt, Griechenland habe völkerrechtlich keinen Anspruch. Die Griechen kennen diese Position. Aber Ende Mai nächsten Jahres könnte es vorgezogene Neuwahlen geben, parallel zur Europa- und Kommunalwahl. Ob danach der Ministerpräsident noch Tsipras heißt, ist ungewiss. Steinmeier traf vorsorglich den konservativen Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis, der in Umfragen deutlich führt. Auf deutscher Seite glaubt man, dass der Ruf nach Reparationen vor allem dem Wahlkampf geschuldet ist.
Wirtschaftlich gesehen geht es dem griechischen Patienten etwas besser. Mitte August verließ das Land den Euro-rettungsschirm. Die Wirtschaft wächst, deutsche Touristen kommen in Scharen. Das täuscht nicht über die Armut hinweg. Vernünftig bezahlte Jobs bleiben Mangelware. Auch die Flüchtlingszahlen steigen wieder, die Lage in Notunterkünften auf Lesbos und anderswo ist teils dramatisch. Die EU ist besorgt, dass ein Teil der 1,6 Milliarden Euro an Flüchtlingshilfe in dunklen Kanälen versickert sein könnte. Präsident Pavlopoulos fordert mehr europäische Solidarität, Steinmeier kritisiert die Eu-spitzen, die in der Migrationspolitik zu zaghaft agierten. Dazu riskiert Tsipras neuen Streit mit den Geldgebern. Er wirbt dafür, eine für 2019 vereinbarte Rentenkürzung zu streichen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz gilt bei diesem Punkt als hartleibig.
Nun gibt es aber auch Erfolgsgeschichten. Eine verkündet Franziska Giffey (SPD), die dafür Steinmeier hinterhergeflogen ist. Die Familienministerin unterzeichnet den Gründungsvertrag für das deutsch-griechische Jugendwerk. Jugendliche sollen Lehren aus den Schrecken der Vergangenheit ziehen, Fundamente für neue Freundschaften legen. Seit 1963 wird diese Aussöhnung mit Frankreich gepflegt, seit 1991 mit Polen. Beide Jugendwerke erreichen mehr als 300.000 junge Menschen, in Griechenland startet der Austausch auf einem bescheidenen Niveau von 2000. Giffey glaubt, dass Jugendwerke Bollwerke gegen Demokratieverachtung sein können: „Jeder, der an einem Austausch teilgenommen hat, wird nicht so empfänglich für Populismus und Hetze sein.“