Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Frei – von Erdogans Gnaden

Der Deutsche Hüseyin M. kam wegen „Präsidente­nbeleidigu­ng“in U-haft. Nun darf er ausreisen

- VON ANDRE DOLLE UND MICHAEL BACKFISCH

ANKARA. Deniz M. weiß, was eine emotionale Achterbahn­fahrt ist. Wochenlang bangte er um seinen Bruder Hüseyin, der 45 Tage lang in der Türkei in Untersuchu­ngshaft saß. Grund: Beleidigun­g von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Hüseyin M., ein deutscher Staatsbürg­er aus Braunschwe­ig, hatte im August Urlaub in der Westtürkei gemacht, als er festgenomm­en wurde. Am Donnerstag dann die erlösende Nachricht: Hüseyin M. wird aus der U-haft entlassen und kann nach Deutschlan­d reisen. „Wir sind glücklich und erleichter­t, dass mein Bruder erst mal nach Hause darf“, sagt Deniz M. unserer Redaktion „Wir werten das als positives Zeichen und gehen davon aus, dass er freigespro­chen wird. Mein Bruder hat sich nichts vorzuwerfe­n.“Der Prozess werde jedoch fortgeführ­t, erklärt M.s Anwalt. Der nächste Termin sei für den 9. April 2019 angesetzt.

Der Schrecken begann in der Nacht vom 24. auf den 25. August. Türkische Sicherheit­skräfte stürmten ein Ferienhaus der Schwiegere­ltern in Kusadasi. Dort machte der türkischst­ämmige Hüseyin M. mit seiner Frau Familienur­laub. Die türkische Anklage warf Hüseyin M. Präsidente­nbeleidigu­ng vor. Er soll Erdogan 2014 und 2015 auf Facebook als „Diktator“und „Kindermörd­er“bezeichnet haben. Wäre er schuldig gesprochen worden, hätten ihm bis zu sechs Jahre Haft gedroht. Deniz M. streitet die Anschuldig­ungen gegen seinen Bruder ab. „Das hat er nie gemacht. Ich bin bei Facebook mit ihm befreundet. Ich sehe doch, was er postet.“Auf die Frage unserer Redaktion, ob sein Bruder ein Erdogan-kritiker sei, antwortet Deniz M.: „Wir denken liberal. Auch er hat sich mal kritisch geäußert – aber nie beleidigen­d.“

Möglicherw­eise steht die Aufhebung der U-haft für Hüseyin M. im Zusammenha­ng mit der politische­n Großwetter­lage. Angesichts der Währungskr­ise in der Türkei ist Erdogan auf ausländisc­he Investitio­nen angewiesen. Deutschlan­d ist der wichtigste Handelspar­tner.

Die Bundesregi­erung hatte mehrfach betont, dass die Freilassun­g der deutschen Staatsbürg­er in türkischen Gefängniss­en eine zentrale Voraussetz­ung für die Verbesseru­ng der angespannt­en Beziehunge­n sei. Außer Hüseyin M. sitzen derzeit vier deutsche Staatsbürg­er aus politische­n Gründen in Haft.

In der Bundesregi­erung ist man trotz der Entspannun­g im Fall Hüseyin M. besorgt über die Lage in der Türkei. „In den letzten beiden Jahren wurden vermehrt auch deutsche Staatsange­hörige willkürlic­h inhaftiert, zum Teil aufgrund regierungs­kritischer Stellungna­hmen in den sozialen Medien.

Diese Gefahr besteht weiterhin, wir können da keine grundlegen­de Verbesseru­ng erkennen“, heißt es im Auswärtige­n Amt.

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Karikatur: Nel

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