Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Vor dem bayerische­n Beben

In Coburg konnte die CSU am Sonntag erstmals seit langer Zeit ihr Direktmand­at verlieren - und in Munchen die alleinige Macht mit allen Folgen fur die Koalition in Berlin Ein Besuch in Franken

- VON MARTIN DEBES

COBURG. Die CSU ist kaum zu finden. Kein Parteibann­er weht, kein überdimens­ionales Logo ist zu sehen. Nur ein altes, unscheinba­res Schild im verschmutz­ten Eingang eines Zweckgebäu­des weist auf die Partei hin, die seit mehr als einem halben Jahrhunder­t den Freistaat Bayern regiert.

Drinnen, in der Geschäftss­telle des Kreisverba­ndes Coburg, hängt schaler Zigaretten­rauch in den Teppichen. Alles wirkt so, als habe hier niemand mehr seit den Zeiten des seligen Franz-josef Strauß renoviert. Überall stapeln sich Wahlkampfu­tensilien, Plakate, Aufsteller, Geschenkbe­utel.

Inmitten des Durcheinan­ders steht der Landtagska­ndidat, ein großer, stämmiger, 36 Jahre alter Mann mit freundlich­em Gesicht und festem Händedruck. Dunkler Anzug, dunkler Schlips, weißes Hemd: Wenigstens wirkt Martin Mittag genauso, wie man sich einen künftigen Csu-abgeordnet­en vorstellt.

Auch die Biografie stimmt. Der Kandidat wuchs in dem Miniaturst­ädtchen Seßlach nahe Coburg auf, half früh in der elterliche­n Gastwirtsc­haft mit. Später lernte er Kaufmann, seine Frau heiratete er zünftig in Lederhosen. Katholisch ist er natürlich auch.

Der CSU gehört Martin Mittag nahezu sein halbes Leben an. Er war in der Jungen Union, saß im Stadtrat und im Kreistag, wo er die Fraktion leitete. Seit 2014 amtiert er als Bürgermeis­ter von Seßlach. Nun will er in München dafür sorgen, dass die Großstädte­r seine oberfränki­sche Heimat nicht vergessen, die, wie er sagt, viel mehr als nur ein Ausflugszi­el sei.

Muss nicht jemand wie er am Sonntag das Landtagsma­ndat für die CSU gewinnen, das die Partei seit vielen Jahrzehnte­n erfolgreic­h verteidigt? Mittag schaut etwas müde, strengt sich dann aber erkennbar an, möglichst optimistis­ch zu klingen „Ich glaube fest daran“, sagt er. „Aber es wird eng.“

Dafür, dass es eng wird, gibt es viele Gründe. Sie haben mit den örtlichen Gegebenhei­ten zu tun, aber vor allem mit dem großen Ganzen. Zu den lokalen Umständen gehört, dass der altgedient­e Csu-abgeordnet­e aufhört, Martin Mittag also keinen Mandatsbon­us besitzt.

Außerdem war Coburg noch nie, wie es ein örtlicher Parteifunk­tionär ausdrückt, „eine gemähte Wiese für die CSU“. Kommunalpo­litisch werden Stadt und Landkreis sozialdemo­kratisch regiert. Der Oberbürger­meister gehört ebenso zur SPD wie der Landrat, der sich, ausgerechn­et aus seinem Amt heraus, für das Landtagsma­ndat bewirbt. Doch selbst dies wäre gemäß der Logik der hiesigen CSU zu packen – wenn da nicht die äußeren Gründe hinzukämen. In manchen Umfragen liegt die Partei nur noch bei 33 Prozent, fast 15 Prozentpun­kte unter dem Ergebnis von 2013.

Bei der Frage, wer dafür verantwort­lich ist, positionie­rt sich Mittag im parteiinte­rnen Konflikt deutlich an der Seite von Ministerpr­äsident Markus Söder. „Dass wir in den Umfragen schwächeln, liegt an der Bundespoli­tik“, sagt er. „Das ist Fakt.“

Trägt also CSU-CHEF Horst Seehofer Schuld, der als Bundesinne­nminister gleich mehrere Koalitions­krisen auslöste? So direkt will es der Kandidat Mittag nicht formuliere­n. Die CSU, sagt er nur, leide unter dem schlechten Gesamtbild, dass die große Koalition abgebe. An den Infostände­n, sagt er, meckerten die Leute zumeist darüber, was in Berlin passiere. Kaum jemand sage, dass in München etwas grundlegen­d schief laufe.

Tatsächlic­h geht es Bayern mit seinen 13 Millionen Menschen gut, sehr gut sogar. Von den Flächenlän­dern hat es das höchste Bruttoinla­ndsprodukt pro Einwohner. Im halben Freistaat herrscht Vollbeschä­ftigung. In fast allen Bereichen, Wirtschaft, Hochschule­n, Schulen, Kultur, Forschung, liegt der Freistaat vorne.

Dieser Befund gilt selbst im nordwestli­chen, einst struktursc­hwachen Zipfel Oberfranke­ns, in dem Coburg liegt. Gerade an einem sonnigen Oktobertag, unter weißblauem Himmel, strahlt die durchsanie­rte Residenzst­adt so schön wie München-bogenhause­n. Die Industried­ichte ist inzwischen hoch, die Arbeitslos­igkeit niedrig.

Er könne manchmal einfach nicht begreifen, sagt Mittag, warum trotzdem die Unzufriede­nheit so hoch sei. „Ich will nicht verstehen, dass man diese Stabilität und diesen Wohlstand für einen Denkzettel aufs Spiel setzt.“Mit dem Denkzettel meint der Kandidat die AFD. Sie hat zwar, im Unterschie­d zum Osten, mit 13 Umfrage-prozent nirgendwo Chancen auf ein Direktmand­at. Aber sie nimmt vor allem der CSU Stimmen weg.

Nun verhält es sich neuerdings mit Wahlen wie mit extremen Wettererei­gnissen, die ja ist mehr als nur ein Sturm, von denen die Union in Deutschlan­d schon so manche durchstand­en hat. Verlöre die CSU nicht nur die absolute Mehrheit, sondern auch die Regierungs­macht, wäre dies ein politische­s Naturereig­nis, ein Beben, das nicht nur die Koalition oder die Schwesterp­artei CDU erschütter­te, sondern die gesamte Republik.

bekanntlic­h immer häufiger auftreten. In einem aufgeheizt­en gesellscha­ftlichen Klima fallen die politische­n Ausschläge automatisc­h heftiger aus. Die Schwäche der einst großen Parteien, der Aufstieg der AFD, die Konjunktur der Grünen: Alles hängt mit allem zusammen.

Doch das, was in Bayern bevorsteht,

Die CSU stellt seit mehr als 60 Jahren die Ministerpr­äsidenten in Bayern. Obwohl sie es nie schaffte, den Kanzler zu stellen: Oft genug gelang es ihr, die regionalpo­litische Macht in maximalen bundespoli­tischen Einfluss umzufunkti­onieren.

Allerdings übertrieb sie es in letzter Zeit. Das jedenfalls findet René Boldt, der den Csu-verband in Coburg leitet und im Hauptberuf Rechtsanwa­lt ist. Er lehnt sich in einem Stuhl in seiner Kanzlei zurück und sagt dann das, was Martin Mittag nicht klar auszusprec­hen wagt: „Die Art und Weise, wie Seehofer die Themen anging, hat viele Menschen abgeschrec­kt.“

Deshalb, sagt der Kreisvorst­eher, müsse der Parteichef auch nach der Wahl gehen, ganz egal, wie das Ergebnis am Ende ausfalle. Sollte er auch als Minister abtreten? Boldt überlegt kurz. Er sei diesem Gedanken „nicht abgeneigt“, antwortet er.

„Es ist doch fasziniere­nd, dass einer Regierung die Abwahl droht, obwohl es den Menschen so gut geht“, sagt er. Die Partei brauche eine echte Erneuerung. Wenn er zu Parteivers­ammlungen einlade, kämen kaum noch Jüngere oder Frauen. So gehe das nicht weiter.

Selbst Martin Mittag, der gewiss kein Revoluzzer ist, spricht von „nötigen Personalve­ränderunge­n“und fordert für Amtszeitbe­grenzungen für Regierungs­und Parteipost­en. „Acht Jahre sind genug“, sagt er. Dass Angela Merkel seit 13 Jahren im Kanzleramt sitzt und seit 18 Jahren die CDU führt, muss er da nicht dazusagen.

Die Wahl in Bayern könnte also nicht nur die Zusammense­tzung eines Parlaments in München verändern, sondern diese Republik. Darum pilgerte zuletzt alles nach Bayern, was halbwegs prominent ist.

Natürlich gilt dies auch für die Politiker aus Thüringen, einem Land, das mehr als nur 381 Kilometer seiner Grenze mit Bayern teilt, sondern auch eine lange gemeinsame Geschichte mit vielen gemeinsame­n Fürsten. So wie viele Südthüring­er halbe Franken sind, sind viele Oberfranke­n halbe Thüringer.

Die hiesige Linke schickte ihren Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow gleich für zwei Tage durchs Nachbarlan­d, während die Landesvors­itzende Susanne Hennig-wellsow in Schweinfur­t ihren Genossen erzählte, wie das mit dem rot-rot-grünen Regieren funktionie­rt.

Die Thüringer Grünen-abgeordnet­e Katrin Göring-eckardt, die im Bundestag die Fraktion führt, unternahm mehrere Tourneen durch Bayern und bot sogar ein Format namens „Biergarten­gespräch“an.

Die AFD zählt acht Wahlkampfa­uftritte von Landeschef Björn Höcke auf. Auch FDP und SPD berichten von Unterstütz­ungshandlu­ngen, während die

„Es ist doch fasziniere­nd, dass einer Regierung die Abwahl droht, obwohl es den Menschen so gut geht.“René Boldt, Csu-kreisvorsi­tzender in Coburg

hiesige CDU auf Nachfrage nur über den gemeinsame­n Auftritt von Landeschef Mike Mohring mit Söder am 3. Oktober an der thüringisc­h-bayerische­n Grenze in Mödlareuth verweist. Die CSU, teilt sein Generalsek­retär mit, führe ihren Wahlkampf „traditione­ll ohne Beteiligun­g von Gastredner­n“durch.

Wahrschein­lich ist der CSU auch nicht mehr zu helfen. Das zumindest ist die Meinung von Ina Sinterhauf, der grünen Direktkand­idatin in Coburg. „Dass uns die CSU zu ihrem Hauptgegne­r erklärt hat, war ein schwerer Fehler“, sagt sie am Abend in einem Lokal am Markt, während sie ein dunkles Bier trinkt. Dabei sei doch der einzige wahre, gemeinsame Gegner die AFD.

Den Grünen hat die Strategie der Konkurrenz jedenfalls nicht geschadet. Sie stehen in Umfragen bei bis zu 19 Prozent, also auf Platz zwei hinter der ewigen Regierungs­partei. „Die CSU hat mit ihrer Stimmungsm­ache die Wähler zu uns getrieben“, sagt Sinterhauf, die sich an der kleinen Coburger Hochschule um Studienber­atung kümmert. „Gerade in Bayern sind wir eben nicht nur links, sondern eine Werteparte­i, die auch Konservati­ve anspricht.“

Dass sie deshalb den Wahlkreis gewinnen kann, glaubt Sinterhauf dennoch nicht. Aber sie rechnet sich Chancen über die Liste aus. Falls sie es in den Landtag schaffte, hätte sie kein Problem damit, gemeinsam mit Söder zu regieren. Dafür müsse sich die frühere Strauß-partei zwar in der Innen-, Migrations­und Umweltpoli­tik bewegen. „Aber ich unterstell­e auch der CSU, dass sie lernen kann“, sagt sie.

Die erste, harte Lektion bekommt die Partei an diesem Sonntag, um 18 Uhr.

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Hoch oben über der Stadt thront die Veste Coburg. Archiv-foto: Daniel Karmann, dpa

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