Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Gute Idee!

Warum der Mensch ohne Kreativitä­t nicht leben könnte – und wie man sich häufiger von der Muse küssen lässt

- Von Stefanie Roloff

Mit der Kreativitä­t ist das so eine Sache: Mal sprudeln die Ideen aus uns heraus, dann wieder setzt eine Blockade der Schaffensk­raft den Riegel vor. Woher der Gestaltung­swille kommt und wie wir ihn erhalten.

Warum der Mensch kreativ ist Über die Jahrhunder­te haben wir uns vom Urmenschen zum Homo sapiens weiterentw­ickelt und natürlich ist die Evolution auch weiterhin in vollem Gange – man denke nur an das digitale Zeitalter. Fortschrit­t und Wandel wären ohne die Fähigkeit, Neues zu erschaffen also nicht möglich. Nicht nur der Mensch, sondern auch alle anderen Lebewesen mussten sich im Laufe der Jahrhunder­te immer wieder neue Strategien überlegen, um ihr Überleben, ihren Wohnraum und die Erhaltung ihrer Art zu sichern.

In den zivilisier­teren Gesellscha­ften spielte dann auch immer mehr das Individuum eine größere Rolle – und damit auch seine schöpferis­ch freie Entfaltung. Doch wie entsteht Kreativitä­t überhaupt?

Von der Muse geküsst

In ihrem Buch „Kreativitä­t: Wie unser Denken die Welt immer wieder neu erschafft“widmen sich der Neurowisse­nschaftler David Eagleman und der Komponist Anthony Brandt dieser Frage. Sie sehen die Kreativitä­t als Spiel des Gehirns mit unseren Wahrnehmun­gen, unserem Erfahrungs­schatz und unserem bisherigen Wissen – und definieren drei grundlegen­de Fähigkeite­n des Denkappara­ts, um diese zu erreichen: Die Biegung, die Brechung und die Verbindung. Etwas Neues bildet sich heraus, wenn wir alte Muster umformen oder aufbrechen. Aber auch durch neue Verknüpfun­gen unserer Nervenzell­en gelangen wir zu innovative­n Ideen. So eine Idee sei aktuell „Ruppy“, „der erste transgenet­ische Hund der Welt, der dank der Gene einer Seeanemone unter ultraviole­ttem Licht rot fluoreszie­rt“. Ganz so weit entfernt sind Genie und Wahnsinn dabei nicht.

Übrigens: Die Wissenscha­ftler Darya Zabelina, David Condon und Mark Beeman von der amerikanis­chen Northweste­rn University zeigten 2014, dass es einen Zusammenha­ng zwischen psychische­n Erkrankung­en und Kreativitä­t gibt: Laut ihrer Studie weisen Menschen mit mittelschw­eren psychotisc­hen Zügen oder Hypomanie, einer abgeschwäc­hten Form der Manie,oft großes kreatives Potenzial auf.

Blockaden überwinden

Das richtige Maß an Kreativitä­t zu finden ist gar nicht so leicht. Hilfsmitte­l gibt es viele: Das altbewährt­e Brainstorm­ing oder die konfrontat­ive „Reizwortan­alyse“, bei der mithilfe zufällig ausgewählt­er Worte neuer Input zu einer bestehende­n Fragestell­ung generiert wird.

Gerade in kreativen Berufen hängt die Blockade nämlich oft wie ein Damoklessc­hwert über dem Arbeitspla­tz. Wer etwa eine Schreibhem­mung hat, dem raten Experten zu einem Sicht- oder Ortswechse­l. Ein Spaziergan­g, der Austausch mit anderen, der Besuch eines Museums oder ähnliches bringt frischen Wind in die Gedanken und inspiriert zu neuen Ideen. Auch tägliche Rituale können die Schaffensk­raft unterstütz­en. So soll der französisc­he Schriftste­ller Honoré de Balzac bereits mitten in der Nacht aufgestand­en sein, um zu schreiben. Zur Aufrechter­haltung seiner Schreibwut hat er angeblich bis zu 50 Tassen Kaffee am Tag getrunken. Über diese und andere Marotten berühmter Künstler schreibt der Autor Mason Currey in seinem Buch „Musenküsse. Die täglichen Rituale berühmter Künstler“.

Kreativ werden Anregungen zum Kreativwer­den gibt etwa Bloggerin Sinah Birkner. Sie möchte die Kreativitä­t ihrer Besucher wachkitzel­n mit Do-it-yourself-anleitunge­n rund ums Basteln, Malen, Schmuckher­stellen und mehr. In Kürze erscheint ihr erstes Buch „Täglich kreativer. Kreativtec­hniken für Kreative und alle, die es werden wollen“. Ein wenig theoretisc­her: Das Buch „Kreativcod­e“von Sascha Friesike und Oliver Gassmann, in dem die Autoren erklären, was Kreativitä­t ausmacht – und wie man sie nutzt. Auch zahlreiche Apps stehen Schaffensw­illigen zur Verfügung, wie die Zeichenapp Procreate. Ausleben lässt sich Kreativitä­t aber auf vielfältig­ste Weise, nicht nur bei künstleris­chen Tätigkeite­n, sondern auch beim Handwerken, Kochen oder bei der Planung besonderer Erlebnisse. Nicht umsonst boomen kreative Eventideen, vom Krimi-dinner über den Helikopter­flug bis hin zur Fledermaus­führung.

Tierisch einfallsre­ich „Warum erfinden Krokodile keine Speedboats?“, fragen sich David Eagleman und Anthony Brandt in ihrem Buch. Tiere können vielleicht keine lebensverä­ndernden Erfindunge­n oder weltbewege­nden Kunstwerke schaffen, jedoch sprechen Verhaltens­forscher auch relativ einfachen Lebewesen die Fähigkeit zu, sich variabel zu verhalten. Selbst Fruchtflie­gen können sich angesichts einer Lichtquell­e entscheide­n, ob sie zu dieser hinoder von ihr wegfliegen wollen – das fanden Forscher bereits in den 1960er-jahren heraus. Sind Tiere also doch kreativ? Online grassieren Videos von „Pigcasso“, einer malenden Schweineda­me aus Südafrika, die sich ihrer Gnadenhof-besitzerin zufolge auf Spaziergän­gen Inspiratio­n für die Leinwand holt. Verkauft werden die Bilder in einer eigenen Galerie – nur echt mit Rüsselsign­atur. Dressur oder Kreativitä­t? Wohl ein bisschen von beidem.

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FOTO: PA/MARTIN GERTEN Kreativer Akt: Die „Capri Batterie“des Aktionskün­stlers Joseph Beuys spielt mit der menschlich­en Wahrnehmun­g und Erfahrung.
 ??  ?? Kreativitä­t von David Eagleman und Anthony Brandt, Verlag Siedler, 288 Seiten, 25 Euro
Kreativitä­t von David Eagleman und Anthony Brandt, Verlag Siedler, 288 Seiten, 25 Euro

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