Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Gute Idee!
Warum der Mensch ohne Kreativität nicht leben könnte – und wie man sich häufiger von der Muse küssen lässt
Mit der Kreativität ist das so eine Sache: Mal sprudeln die Ideen aus uns heraus, dann wieder setzt eine Blockade der Schaffenskraft den Riegel vor. Woher der Gestaltungswille kommt und wie wir ihn erhalten.
Warum der Mensch kreativ ist Über die Jahrhunderte haben wir uns vom Urmenschen zum Homo sapiens weiterentwickelt und natürlich ist die Evolution auch weiterhin in vollem Gange – man denke nur an das digitale Zeitalter. Fortschritt und Wandel wären ohne die Fähigkeit, Neues zu erschaffen also nicht möglich. Nicht nur der Mensch, sondern auch alle anderen Lebewesen mussten sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder neue Strategien überlegen, um ihr Überleben, ihren Wohnraum und die Erhaltung ihrer Art zu sichern.
In den zivilisierteren Gesellschaften spielte dann auch immer mehr das Individuum eine größere Rolle – und damit auch seine schöpferisch freie Entfaltung. Doch wie entsteht Kreativität überhaupt?
Von der Muse geküsst
In ihrem Buch „Kreativität: Wie unser Denken die Welt immer wieder neu erschafft“widmen sich der Neurowissenschaftler David Eagleman und der Komponist Anthony Brandt dieser Frage. Sie sehen die Kreativität als Spiel des Gehirns mit unseren Wahrnehmungen, unserem Erfahrungsschatz und unserem bisherigen Wissen – und definieren drei grundlegende Fähigkeiten des Denkapparats, um diese zu erreichen: Die Biegung, die Brechung und die Verbindung. Etwas Neues bildet sich heraus, wenn wir alte Muster umformen oder aufbrechen. Aber auch durch neue Verknüpfungen unserer Nervenzellen gelangen wir zu innovativen Ideen. So eine Idee sei aktuell „Ruppy“, „der erste transgenetische Hund der Welt, der dank der Gene einer Seeanemone unter ultraviolettem Licht rot fluoresziert“. Ganz so weit entfernt sind Genie und Wahnsinn dabei nicht.
Übrigens: Die Wissenschaftler Darya Zabelina, David Condon und Mark Beeman von der amerikanischen Northwestern University zeigten 2014, dass es einen Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Kreativität gibt: Laut ihrer Studie weisen Menschen mit mittelschweren psychotischen Zügen oder Hypomanie, einer abgeschwächten Form der Manie,oft großes kreatives Potenzial auf.
Blockaden überwinden
Das richtige Maß an Kreativität zu finden ist gar nicht so leicht. Hilfsmittel gibt es viele: Das altbewährte Brainstorming oder die konfrontative „Reizwortanalyse“, bei der mithilfe zufällig ausgewählter Worte neuer Input zu einer bestehenden Fragestellung generiert wird.
Gerade in kreativen Berufen hängt die Blockade nämlich oft wie ein Damoklesschwert über dem Arbeitsplatz. Wer etwa eine Schreibhemmung hat, dem raten Experten zu einem Sicht- oder Ortswechsel. Ein Spaziergang, der Austausch mit anderen, der Besuch eines Museums oder ähnliches bringt frischen Wind in die Gedanken und inspiriert zu neuen Ideen. Auch tägliche Rituale können die Schaffenskraft unterstützen. So soll der französische Schriftsteller Honoré de Balzac bereits mitten in der Nacht aufgestanden sein, um zu schreiben. Zur Aufrechterhaltung seiner Schreibwut hat er angeblich bis zu 50 Tassen Kaffee am Tag getrunken. Über diese und andere Marotten berühmter Künstler schreibt der Autor Mason Currey in seinem Buch „Musenküsse. Die täglichen Rituale berühmter Künstler“.
Kreativ werden Anregungen zum Kreativwerden gibt etwa Bloggerin Sinah Birkner. Sie möchte die Kreativität ihrer Besucher wachkitzeln mit Do-it-yourself-anleitungen rund ums Basteln, Malen, Schmuckherstellen und mehr. In Kürze erscheint ihr erstes Buch „Täglich kreativer. Kreativtechniken für Kreative und alle, die es werden wollen“. Ein wenig theoretischer: Das Buch „Kreativcode“von Sascha Friesike und Oliver Gassmann, in dem die Autoren erklären, was Kreativität ausmacht – und wie man sie nutzt. Auch zahlreiche Apps stehen Schaffenswilligen zur Verfügung, wie die Zeichenapp Procreate. Ausleben lässt sich Kreativität aber auf vielfältigste Weise, nicht nur bei künstlerischen Tätigkeiten, sondern auch beim Handwerken, Kochen oder bei der Planung besonderer Erlebnisse. Nicht umsonst boomen kreative Eventideen, vom Krimi-dinner über den Helikopterflug bis hin zur Fledermausführung.
Tierisch einfallsreich „Warum erfinden Krokodile keine Speedboats?“, fragen sich David Eagleman und Anthony Brandt in ihrem Buch. Tiere können vielleicht keine lebensverändernden Erfindungen oder weltbewegenden Kunstwerke schaffen, jedoch sprechen Verhaltensforscher auch relativ einfachen Lebewesen die Fähigkeit zu, sich variabel zu verhalten. Selbst Fruchtfliegen können sich angesichts einer Lichtquelle entscheiden, ob sie zu dieser hinoder von ihr wegfliegen wollen – das fanden Forscher bereits in den 1960er-jahren heraus. Sind Tiere also doch kreativ? Online grassieren Videos von „Pigcasso“, einer malenden Schweinedame aus Südafrika, die sich ihrer Gnadenhof-besitzerin zufolge auf Spaziergängen Inspiration für die Leinwand holt. Verkauft werden die Bilder in einer eigenen Galerie – nur echt mit Rüsselsignatur. Dressur oder Kreativität? Wohl ein bisschen von beidem.