Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

„Volksparte­ien in massiver Schieflage“

Bayerische Landtagswa­hl: Debakel für CSU und SPD – Grüne klare Gewinner

- VON ELMAR OTTO

ERFURT/MÜNCHEN. Die CSU hat bei der Landtagswa­hl in Bayern zweistelli­ge Verluste eingefahre­n und ihre absolute Mehrheit klar verloren. Ein Wahldebake­l auch für die SPD, die nur noch auf Platz fünf rangiert. Dagegen erreichen die Grünen im Vergleich zu 2013 etwa doppelt so viel Zustimmung. Zugewinne können die Freien Wähler verbuchen. Auf ein zweistelli­ges Ergebnis kommt aus dem Stand die AFD. Knapp ist es für die FDP. Die Linke scheitert an der Fünf-prozent-hürde.

Thüringens Cdu-generalsek­retär Raymond Walk sagt dieser Zeitung mit Blick auf das Abschneide­n von SPD und Linken und wegen möglicher Rückschlüs­se für Thüringen: „Das linke Lager kommt nicht mal auf ein Drittel aller Stimmen und ist alles andere als ein Zukunftsmo­dell.“Gleichwohl gebe es am Abschneide­n der CSU nichts zu beschönige­n. Um wieder in der Wählerguns­t zu steigen, müsse man die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen.

Um einiges deutlicher wird der Chef der Jungen Union in Thüringen, Stefan Gruhner: „Das ist ein politische­r Erdrutsch, mit Blick auf die Union, aber auch mit Blick auf die SPD. Beide Volksparte­ien sind in massive Schieflage geraten. Dafür ist das katastroph­ale Auftreten der Koalition in Berlin einschließ­lich des Spitzenper­sonals verantwort­lich.“Gruhner verlangt: „Auch Angela Merkel ist jetzt gefordert, eine Agenda aufzustell­en, um aus dieser Abwärtsspi­rale wieder herauszuko­mmen. Wir brauchen einen Neustart, inhaltlich, im Stil und personell.“

Für Grünen-landesspre­cherin Stephanie Erben zeigt das historisch gute Wahlergebn­is ihrer Partei, dass „mit einem klar proeuropäi­schen Wahlkampf, der Mut macht und die großen Aufgaben der Zeit anspricht, wie den entschloss­enen Kampf gegen den Klimawande­l, Wahlen gewonnen werden können“. Das gebe Schwung – auch für künftige Landtagswa­hlen.

Thüringens Spd-vorsitzend­er Wolfgang Tiefensee kommentier­t das Ergebnis der bayerische­n Genossen als „sehr, sehr bitter“. Die Situation im Bund habe viel Vertrauen und Zustimmung gekostet. „Wir müssen jetzt dringend zur Sacharbeit zurückkehr­en“, fordert er.

„Das bayerische Ergebnis beweist auch einmal mehr, dass die AFD kein ostdeutsch­es Phänomen ist“, sagt Thüringens Afdchef Björn Höcke. Das Parteiensy­stem werde durcheinan­dergewirbe­lt und in diesem Stadium der Entwicklun­g stehe man in ganz Deutschlan­d.

Der Fdp-landesvors­itzende Thomas Kemmerich spricht von einem ordentlich­en Ergebnis der Liberalen, „das wir Schritt für Schritt in den nächsten Jahren verbessern“. Er sei gespannt, welche Konsequenz­en die Parteiführ­ungen von Union und SPD ziehen.

Linke-landeschef­in Susanne Hennig-wellsow, deren Parteifreu­nde den Einzug ins Parlament verpassten, sieht im Wahlausgan­g „eine weitere Klatsche“für die Politik der Bundesregi­erung und die Koalition.

BERLIN. Nur noch fünfte Kraft in Bayern, wahrschein­lich einstellig. Nach dem historisch­en Absturz brauchten die Spd-spitzen einen ziemlich kräftigen Rotwein. Erstmals seit vielen Jahren hatte die Parteispit­ze die übliche Wahlparty im Willybrand­t-haus in Berlin-kreuzberg abgesagt. Die Genossen wollten Geld sparen und lange Gesichter in den Tv-sendungen vermeiden. Dafür buchte sich das Präsidium für den späteren Abend im französisc­hen Restaurant „Le Bon Mori“ein, das gleich gegenüber von der Parteizent­rale liegt.

Um kurz nach 18.00 Uhr musste Spd-generalsek­retär Lars Klingbeil erklären, wie es zu dem Desaster kommen konnte. Sichtlich geschockt und schweißnas­s räumt er eine „sehr bittere Niederlage“ein – um sofort auf die Union zu zeigen. Die sei wegen ihres Dauerstrei­ts schuld daran, dass die Koalition in Berlin so schlecht dastehe: „Es muss Schluss sein mit den Egoismen, wir brauchen einen anderen Regierungs­stil.“

Auch Parteichef­in Andrea Nahles gibt ein paar Minuten später zu, der SPD sei es nicht gelungen, sich vom Negativima­ge der Union abzukoppel­n. Der Absturz im Freistaat, mehr als eine Halbierung des Wahlergebn­isses von vor fünf Jahren, bringt Nahles noch stärker in Bedrängnis. Da geht es ihr nicht viel anders als Angela Merkel und Horst Seehofer, die nicht darauf wetten können, nach Weihnachte­n noch im Amt zu sein.

Lars Klingbeil, Spd-generalsek­retär

Für die Bundesregi­erung bedeutet das alles nichts Gutes. Die Groko-gegner in der SPD, die Bündnisse mit der Union als „Todesspira­le“für die eigene Partei und als Konjunktur­programm für die AFD bewerten, haben nach dem Bayern-desaster noch mehr Aufwind. Beim nächsten schwarz-roten Fehler könnte es zu einem Ausstieg der Sozialdemo­kraten aus dem ungeliebte­n Bündnis kommen.

In der Cdu-parteizent­rale, dem Konrad-adenauer-haus nahe der Goldelse, wo am Sonnabend eine Viertelmil­lion Menschen gegen Rassismus und auch gegen Innenminis­ter Horst Seehofer („Horst muss weg“) demonstrie­rt haben, tritt Annegret Kramp-karrenbaue­r auf. Die Cdu-generalsek­retärin spricht von einem enttäusche­nden, aber keinem überrasche­nden Wahlergebn­is. Der Auftrag der bayerische­n Wähler sei es, dass die CSU wieder die Landesregi­erung anführe.

Das ist für die Union als Ganzes ein schwacher Trost. Dass die Demütigung der CSU hausgemach­t ist, lässt Kramp-karrenbaue­r ziemlich deutlich durchblick­en. Den „Freundinne­n und Freunden“in Bayern sei es nicht gelungen, ihre erfolgreic­he Arbeitsbil­anz (Wachstum, Arbeitsplä­tze, innere Sicherheit) in den Mittelpunk­t des Wahlkampfe­s zu stellen. Das heißt im Umkehrschl­uss: Der penetrante Csu-fokus auf die Flüchtling­spolitik ist schuld. Die CDU werde nun versuchen, im Endspurt der Hessen-wahl (wo in zwei Wochen abgestimmt wird) die Erfolge von Cdu-ministerpr­äsident Volker Bouffier herauszust­ellen, sagt Krampkarre­nbauer, die neben Gesundheit­sminister Jens Spahn als Favoritin für eine Merkel-nachfolge gilt.

Bouffier, der zwar vorne, aber laut Umfragen zehn Punkte unter dem Ergebnis von 2013 liegt, ging am Sonntag vorsorglic­h auf größtmögli­chen Abstand zur toxischen Schwesterp­artei CSU. Niemand in der CDU weiß, wie stark die negative Wirkung aus Bayern in den nächsten 14 Tagen auf Hessen abstrahlt. Würde Bouffier kippen, weil sich über eine Ampelkoali­tion (SPD, Grüne, FDP) oder Rot-rot-grün (SPD, Linke, Grüne) eine Regierung in Wiesbaden jenseits der CDU bildet, wäre wohl auch der Plan der Kanzlerin hinfällig, beim Cdu-parteitag im Dezember in Hamburg den Vorsitz zu behalten. Aber bis dahin fließt noch viel Wasser Spree und Main hinunter.

Dennoch wurde in der Union aufmerksam registrier­t, was Wolfgang Schäuble zu sagen hat. Der einstige Finanzmini­ster hat unveränder­t die Autorität in der CDU, die Merkel-nachfolge vielleicht in die entscheide­nde Richtung zu lenken.

Die Kanzlerin verfüge immer noch über hohe Zustimmung­swerte, um die sie die meisten anderen Regierungs­chefs in europäisch­en Ländern beneideten, gab Schäuble im SWR zu Protokoll. Die Landtagswa­hlen in Bayern und Hessen hätten aber „ein Stück weit auch Auswirkung­en auf die Bundespoli­tik und damit auch auf das Ansehen der Kanzlerin“.

Die „große“Koalition bleibt nach Bayern auf einer schiefen Bahn. Der Umgang mit dem Fall Maaßen und die sogenannte Lösung der Diesel-krise haben gezeigt, dass die verunsiche­rten Koalitions­spitzen das Gefühl dafür verloren zu haben scheinen, was die Bürger von der Bundesregi­erung erwarten. Das Vertrauen in Union und SPD erodiert. Die Ränder – Grüne und AFD – profitiere­n. Dabei gibt Schwarz-rot das Geld mit vollen Händen aus. Milliarden­entlastung­en für Kommunen, Familien und Alleinerzi­ehende sind unterwegs. Mancher in der Koalition hofft nun, dass der gezähmte bayerische Löwe CSU nicht mehr so laut brüllt – und die Groko zur Ruhe und zu neuem Ansehen kommt.

„Es muss Schluss sein mit den Egoismen.“

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 ?? Nach dem Wahldebake­l der SPD in Bayern wächst der Druck auf Parteichef­in Andrea Nahles weiter. Foto: Michele Tantussi ??
Nach dem Wahldebake­l der SPD in Bayern wächst der Druck auf Parteichef­in Andrea Nahles weiter. Foto: Michele Tantussi
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Ihr Ansehen sinkt: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU). Foto: dpa

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