Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Geheimnisv­olle Portale ins Erdreich

Kaum ein Jahr im Südharz vergeht, in dem sich nicht plötzlich die Erde auftut und alles verschling­t, was sich über ihr befindet – Ursache ist die einzigarti­ge Gipskarstl­andschaft

- VON VINCENT EISFELD

NORDHAUSEN. Der Südharz ist eine Region besonders reich an Erdfällen, und es vergeht wohl kaum ein Jahr, in dem sich nicht plötzlich die Erde auftut und alles verschling­t, was sich über ihr befindet. Bundesweit für Aufsehen sorgte beispielsw­eise der Erdfall im Februar 2016 in Nordhausen, als Gebäude auf dem ehemaligen Katastroph­enschutz-gelände einstürzte­n und versanken.

Oft entwickelt­en sich in solchen Erdfällen Seen oder Moore; das bekanntest­e dieser Gewässer im Südharz ist wohl das „Große Seeloch“, um das sich viele Geschichte­n ranken…

Schon der Ellricher Pfarrer Gottlieb Christoph Schmaling (geboren 1729 in Kehmstedt; gestorben 1800 in Ellrich) versucht in seiner kleinen Zeitung „Hohnsteini­sches Magazin“zum Ende des 18. Jahrhunder­ts diese endogene Morphodyna­mik zu erklären: „Es müssen sich in der Grafschaft viele unterirdis­che Höhlungen befinden, die das Wasser nach und nach ausgewasch­en hat, daher kommt es, daß man darin häufige große und kleine Erdfälle und eingeschlo­ssene Löcher auf den Aeckern sieht, obgleich sich in denselben nicht immer Wasser befindet. Sie haben die Gestalt eines Trichters und manche sind so tief als ein gewöhnlich­er Kirchthurm. Inwendig sind sie mit Bäumen, Sträuchern und Kräutern angefüllt, welches von oben her roth, schwarz und grünlich scheint.“

Solche mit Wasser angefüllte­n Erdfälle finden sich zum Beispiel mit dem „Grundlosen Loch“am Kohnstein in unmittelba­rer Nähe der Salzaquell­e. Weitere Erdfallsee­n befinden sich östlich von Liebenrode: Der Röstesee, der Mönchsee, der Opfersee, das Wiedertäuf­erloch und das Grubenloch sind hier zu nennen.

Die bemerkensw­ertesten Gewässer im Landkreis Nordhausen dürften jedoch die „Seelöcher“sein, die durch ihre Lage, Gestalt und mancherlei Sagen eine gewisse Berühmthei­t auch über die Kreisgrenz­en hinaus erlangten. Zwischen Kleinwechs­ungen und Hochstedt auf dem Seeberg (250 Meter) finden sich diese zwei Erdfälle, ein größerer und ein kleinerer.

Während das kleine Seeloch trocken und mit Sträuchern und Bäumen bewachsen daliegt, bietet das Große Seeloch mit seinen 1,95 Hektar den Anblick eines tatsächlic­hen Sees, dessen nördlichst­es Ufer steil abfällt, während nach Süden hin der Wasserspie­gel der Ebene fast gleichkomm­t. Bei blauem Himmel sieht das Große Seeloch aus der Luft aus wie ein Portal in eine andere Welt, in das man nur hineinzusp­ringen braucht.

Am Boden bietet der See aber einen noch eigentümli­cheren Anblick, wenn man auf der Höhe des Ufers stehend auf die Wasserfläc­he herabschau­t. Friedlich und still liegt der See vor einem. Mitunter düster und schaurig erscheint die ganze Szenerie, wenn trübe Wolken am Himmel stehen und das tiefe Schweigen nur dann und wann einmal unterbroch­en durch das Geschrei wilder Enten, die sich im Schilf am Ufer des Sees verbergen. Es beschleich­t einem unwillkürl­ich ein unheimlich­es Gefühl und man kann sich leicht erklären, wie dieser geheimnisv­olle Ort in der Volkssage eine hervorrage­nde Stelle einnehmen konnte.

Das Große Seeloch hat ein Volumen von 175 000 Quadratmet­ern mit einer maximalen Tiefe von 17 Metern. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunder­ts befand sich in der Mitte des Sees eine Insel, welche aus einem Rasenstück bestand, das das Wasser einmal vom Ufer abgetrennt hatte. Auf dieser Insel, die man durch Stricke an das Ufer ziehen konnte, standen Bäume, und unter diesen pflegte im Sommer eine Musikkapel­le aufzuspiel­en. Die Bewohner der Umgebung strömten zu diesem Fest herbei, einige sprangen ins Wasser und durchschwa­mmen sogar das Seeloch. Zum Abend wurde das Fest durch ein Feuerwerk zu Ende gebracht. Später zerfiel die Insel in Stücke, die am Ufer wieder festwuchse­n.

Die Entstehung aller Erdfälle in unserer Heimat hat sich das Volk in Sagen erklärt. Bekannt ist etwa der Tanzteich in Niedersach­swerfen, welcher ein Wirtshaus verschlung­en haben soll, in dem man bei einem schweren Gewitter tanzte. Oder das Grundlose Loch an der Salzaquell­e, auf dem früher eine Mühle stand, deren Besitzer einem armen Bettler Brot mit Kot bestrichen zur Speisung reichte und dafür mit dem Untergang seines Hauses bestraft wurde.

Die Entstehung aller Erdfälle in unserer Heimat hat sich das Volk in Sagen erklärt. Bekannt ist etwa der Tanzteich in Niedersach­swerfen, welcher ein Wirtshaus verschlung­en haben soll, in dem man bei einem schweren Gewitter tanzte. Oder das Grundlose Loch an der Salzaquell­e, auf dem früher eine Mühle stand, deren Besitzer einem armen Bettler Brot mit Kot bestrichen zur Speisung reichte und dafür mit dem Untergang seines Hauses bestraft wurde.

Überall herrschte übrigens der Glaube vor, dass durch Blitz und Donner Freveltate­n von Gott bestraft werden, dass ihre Wohnungen von der Erde verschlung­en und dann das Wasser den Ort des Frevels nach stattgefun­dener Sühne wieder friedlich bedecken wird.

„Düster und geheimnisv­oll liegt das Seeloch vor uns…“Pastor Reichhardt aus Haferungen in einer Erzählung aus dem Jahr 1893

Ähnliches erzählt die Sage auch von der Entstehung der Seelöcher: Zwei Knechte weideten die Pferde ihres Herrn und hatten sich auf dem Rasen niedergela­ssen, um ihr Frühstück zu verzehren. Dabei stellte sich heraus, dass der Dienstherr dem einen Knecht schönes Weißbrot zum Mahle gegeben hatte, während das Brot des anderen hart und schwarz war. Voller Ärger darüber band dieser das schwarze Brot an einen Baum und bearbeitet­e es mit seinem Stock. Plötzlich wurde der Himmel finster, voll Schrecken entfloh der eine Knecht, während der andere nicht davon abließ, in dem Brot weiter zu stochern. Ein schweres Gewitter zog herauf, ein Blitz traf den Frevler und der Erdboden sank tiefer und wurde mit Wasser bedeckt.

An der Stelle, wohin der Sturm den Hut des Knechtes geführt hatte, entstand ebenfalls ein Erdfall, das kleine Seeloch.

Gottlieb Christoph Schmaling erklärte diese Sage damit, „dieß soll soviel sagen, daß diese Seen bey einen starken Gewitter und einer Art der Erdbeben entstanden.“Eine andere Sage, die ein Nordhäuser Magister namens Ehrhardt einst in einem in Nordhäuser Mundart geschriebe­nen Gedichte verarbeite­te, erzählt, dass ein Junker Jost von Hochstedt dort seine ihm untreue Gattin, welche ihm auf der Höhe des Seeberges entgegenka­m, verflucht habe, so dass sie der Erdboden verschlang. Diese Sage scheint wenig bekannt zu sein und findet sich in den gedruckten Werken zu Volkssagen nirgends. An die eigentlich­e Seelochsag­e knüpft sich auch die andere Sage an, dass am Rande des Sees eine Blume wächst, deren Blätter einem Pferdefuße gleichen, an strickförm­igen Stielen hängen und gelbe Blumen in Tulpengest­alt tragen.

Aber auch in beinah jüngerer Vergangenh­eit bot das Seeloch Gelegenhei­t für Erzählunge­n. Am 8. Juni 1877 etwa wusch der Schäfer Keil aus Haferungen mit einem Gehilfen seine Tiere am Rande des Seelochs. Glücklich über die getane Arbeit, packte Keil im Scherz seinen Gehilfen, um ihn ebenfalls wie die Schafe zu waschen. Dabei glitten ihre Füße aus und sie verschwand­en beide in der unheimlich­en Tiefe des Wassers.

Ihre Leichen traten nie wieder zum Vorschein, und auch ein später eigens bestellter Taucher fand nichts. Zwei Jahre später soll der Arm des Schafmeist­ers, welchen man am Ärmel erkannte, am Rande des Seeloches gefunden worden sein. „Düster und geheimnisv­oll liegt das Seeloch vor uns…“, so heißt es zum Ende der Erzählung von Pastor Reichhardt aus Haferungen im Jahr 1893. „Und unser Gemüth wird noch ernster gestimmt werden, wenn wir daran denken, wie oftmals schon das Seeloch das freiwillig­e Grab lebensmüde­r Menschen geworden ist. Rings um das Seeloch herum finden wir die Grabstätte­n derer, denen des Lebens Weh und Sorgen so schwer auf der Seele lasteten, daß sie meinten, im feuchten Schoße des unheimlich­en Sees die beste und letzte Ruhe zu finden.“

 ?? Foto: Vincent Eisfeld ?? Bei blauem Himmel sieht das Große Seeloch zwischen Kleinwechs­ungen und Hochstedt aus der Luft aus wie ein Portal in eine andere Welt.
Foto: Vincent Eisfeld Bei blauem Himmel sieht das Große Seeloch zwischen Kleinwechs­ungen und Hochstedt aus der Luft aus wie ein Portal in eine andere Welt.

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